Fluchtversuch

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"Wo bringst du mich hin?", fragte ich Asmodeus, als wir aus der Höhle hinaustraten. Das grelle Tageslicht blendete mich und ich musste die Augen zusammenkneifen, bis sie sich nach Tagen voller Finsternis wieder an die Sonne gewöhnt hatten. Als ich meine Umgebung wieder vollkommen wahrnahm, bemerkte ich, dass wir uns in einem leerstehenden Zoo befanden. Überall sah ich verlassene Gehege, die der Witterung schutzlos ausgeliefert waren und nun schon ziemlich heruntergekommen aussahen.

"Das wirst du früh genug herausfinden", brummte der Dämon zurück und schob mich grob vorwärts. Ich versuchte weiterhin, mich gegen seinen Griff zu wehren, schaffte aber nicht, mich zu befreien. Deswegen beschloss ich die Taktik zu wechseln.

"Warum bist du auf Michaels Seite?", fragte ich. "Was bietet er dir an?"

Asmodeus lachte spöttisch auf. "Als ob du das nicht wüsstest."

"Mein Vater? Rache?", vermutete ich.

"Blitzmerker! Warum fragst du überhaupt? Du kennst die Geschichte. Nachdem Amenadiel dich in den Himmel gebracht hat, hat er seine ganze Wut darauf an mir ausgelassen. Warum sollte ich ihm danach noch loyal ergeben sein?" Wenn ich ehrlich mit mir war, verstand ich sogar ein bisschen, warum er sich gegen Dad gewandt hatte. Nach der Tortur, die er durch ihn erleben musste, würde wahrscheinlich jeder die Seiten wechseln. Trotzdem konnte ich seine Rachelust nicht zulassen. Ich würde immer auf der Seite meines Vaters bleiben, egal was er in seiner Vergangenheit getan hatte.

"Rache ist nicht immer die beste Lösung", meinte ich und der Dämon lachte nur noch einmal laut auf.

"Du bist nicht in der Position soetwas zu sagen, Schwesterlein." Ich zuckte bei dem Kosenamen zusammen. Wahrscheinlich würde ich mich niemals daran gewöhnen, dass Asmodeus mein Halbbruder war. "Du kennst das Gefühl nicht." Seine Stimme hatte einen düsteren Ton angenommen. "Die ewigen Schmerzen... egal, was ich getan hatte, um ihn zufrieden zu stellen, es war alles falsch. Er hatte immer nach Ausreden gesucht, um mich zu quälen. Er hatte keinen vernünftigen Grund dazu, er tat es einfach, weil er wollte, weil er konnte und ich mich nicht dagegen wehren konnte." Ich bemerkte, wie seine Gedanken zurück in die damalige Zeit wanderten und sich sein Griff um meine Arme ein bisschen lockerte. Trotzdem wagte ich es noch nicht, einen Fluchtversuch zu wagen. Ich musste noch etwas Geduld haben, bis er unvorsichtiger wurde.

"Ich weiß, dass ich nie auch nur annähernd wissen kann, wie es damals für dich war..."

"Nein, das kannst du nicht", unterbrach der Dämon mich verbittert, doch ich fuhr unbeirrt fort.

"...aber ist Rache wirklich die beste Lösung? Was willst du danach machen, wenn ihr gewonnen habt?"

"In Frieden leben", knurrte Asmodeus.

"Auf der Erde? Allein?"

"Es gibt Menschen auf der Erde..."

"... die irgendwann sterben werden. Immer und immer wieder. Du bist unsterblich, falls du es vergessen hast."

Er erwiderte nichts mehr darauf, weshalb ich einfach weiterredete. Ich spürte, wie sein Gehirn immer mehr ratterte; dass er überlegte, ob er vielleicht nicht doch einen anderen Weg einschlagen sollte. Und vor allem bemerkte ich, dass seine Konzentration, mich festzuhalten, immer mehr nachließ. "Glaubst du Michael wird dich danach weiterhin an seiner Seite sehen wollen? Er benutzt dich nur, um seine eigenen Ziele zu erreichen. Wenn er alles erreicht hat, wird er keinen Nutzen mehr in dir sehen."

"Na und? Wir verfolgen dasselbe Ziel - Lucifer. Wir arbeiten rein des Zwecks halber zusammen. Wenn es vorbei ist, werden wir beide eigene Wege einschlagen."

"Es wird aber nie vorbei sein. Falls Michael es wirklich schafft, Dads Leben zu zerstören - und ich meine damit nicht, ihn zu töten, denn du weißt selber, dass er trotz allem, seinen Bruder niemals töten würde - dann wird sich Dad rächen wollen. An Michael und... an seinen Verbündeten." Ich ließ die Worte einen Moment in der Luft hängen, damit sie in Asmodeus' Bewusstsein ankommen konnten, bevor ich weitersprach. "Du wirst niemals ein friedliches Leben führen können. Dad wird dich verfolgen, wohin auch immer du gehst, bis er seine Rache bekommen hat."

Der Dämon blieb stumm, die Worte verankerten sich in seinem Kopf und ließen ihn nicht wieder los. Ich war ziemlich stolz auf mich, dass ich es geschafft hatte, ihn so aus der Fassung zu bekommen. Ich war wohl doch nicht zu Nichts nutze.

Mittlerweile hatten wir den Eingang des Zoos erreicht, ich konnte in der Ferne Autos hören. Unauffällig blickte ich mich nach links und rechts um, um vielleicht eine Waffe zu finden, aber das einzige, was annähernd als eine dienen könnte, war ein kurzer Ast in der Nähe eines Baumes oder die kleinen Kieselsteine in dem staubigen Boden unter meinen Füßen.

Asmodeus' Griff hatte sich nun soweit gelockert, dass ich mir zutraute, mich zu befreien. Obwohl ich keine brauchbare Waffe fand, musste ich es dennoch wenigstens versuchen. Als wir also unter den steinernen Bogen hindurch liefen, der den Eingang des Zoos markierte, warf ich mich ruckartig und mit aller Kraft zur Seite, sodass der Dämon gegen eine steinerne Säule knallte. Ich hörte ihn leise stöhnen, als sein Hinterkopf gegen die harte Wand schlug. Sein Griff lockerte sich noch ein Stück mehr, sodass ich mich jetzt problemlos befreien konnte. Bevor er realisieren konnte, was gerade passierte, hatte ich ihm noch ein paar mal mit der Faust ins Gesicht geschlagen, dass er benommen taumelte und Blut an seiner Haut hinunterlief.

Ich hielt es fürs Beste, nicht zu warten, bis er sich wieder erholt hatte, sondern wirbelte herum, um möglichst schnell von hier zu verschwinden. Ich breitete meine Engelsflügel aus, in dem Wissen, dass Asmodeus mir so nicht folgen konnte und flog hoch zu den Wolken. Ein Grinsen breitete sich in meinem Gesicht aus, als ich realisierte, dass ich es wirklich geschafft hatte zu fliehen. Michael würde außer sich vor Wut sein, wenn er bemerkte, dass der Dämon es vermasselt hatte, mich wo auch immer hinzubringen oder was auch immer mit mir zu machen.

So schnell ich konnte, flog ich zum LAPD, um Dad und die anderen zu finden. Ich wusste zwar, wo Chloe war, sah aber ein, dass ich es nicht allein schaffen würde, sie zu befreien. In einer nahegelegenen Seitengasse landete ich. Kaum war ich auf dem Boden, rannte ich los und hätte beinahe einen Passanten umgerannt. Er beschwerte sich lautstark, aber ich ignorierte ihn und lief weiter. Wer weiß, was Michael gerade mit Chloe tat; ich musste so schnell wie möglich meinen Vater finden.

Schnell betrat ich die Polizeistation und ging zum Fahrstuhl. Währenddessen sah ich mich bereits nach bekannten Gesichtern um, konnte aber niemanden finden. Der Aufzug kam und ich quetschte mich zusammen anderen Polizisten hinein. "Komm schon", murmelte ich zu mir selbst, nachdem ich auf den Knopf zum richtigen Stockwerk gedrückt hatte. Unruhig wippte ich mit den Beinen auf und ab, während sich die Türen langsam, aber sicher schlossen und der Fahrstuhl sich in Bewegung setzte.

Ein etwas breiter Polizist warf mir von der Seite einen komischen Blick zu, vermutlich weil ich so unruhig war, aber ich beachtete ihn nicht, sondern rauschte, als die Türen sich zu meinem Stockwerk öffneten, hinaus. Meine Augen huschten hin und her auf der Suche nach der Gestalt meines Vaters, aber ich fand ihn nicht. Stattdessen blieb mein Blick auf einer gewissen dunkelhaarigen Forensikerin hängen und ich lief schnell zu ihr ins Labor.

"Ella! Weißt du, wo Dad ist?"

Sie blickte zu mir auf und ihre Miene erhellte sich. "Lilith!", rief sie mit Erleichterung in der Stimme. "Dir geht es gut!" Sie schloss mich in eine dicke Umarmung und ich erwiderte sie ungeduldig.

"Jaja, ich weiß, aber können wir das herzzerreißende Wiedersehen verschieben. Ich weiß, wo Chloe ist."

Sie löste sich von mir und trat ein Stück zurück, um mich näher zu betrachten. Meine Klamotten waren noch staubig und nachdem ich sie vier Tage lang nicht gewechselt hatte, rochen sie bestimmt auch nicht mehr besonders gut.

"Lucifer, Maze und Dan sind schon unterwegs zu ihr", erklärte Ella und ich atmete erleichtert aus. Jetzt würde bestimmt endlich alles gut werden. Sie würden den Detective befreien und Michaels Plan wäre gescheitert. Ich hatte gedacht, dass bald alles wieder normal werden würde, aber schon bald würde sich herausstellen, dass das erst der Anfang war.

Tochter des Teufels 2 (Lucifer ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt