Das schreiende Baby

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Amenadiel erwartete mich bereits an der Tür. Er sah genauso aus, wie er am Telefon geklungen hatte - gestresst und fertig mit den Nerven. Es war eben nicht einfach, Vater zu sein. Ich hatte ihn noch nicht einmal am Eingang erreicht, als ich auch schon eine große Vermutung hatte, warum er mich hierher geholt hatte. Aus dem Haus drang lautes Babygeschrei zu uns nach draußen. Eigentlich hatte ich ja keine Lust, Babysitterin zu spielen; vor allem wenn das Baby so laut war.

"Vielleicht ein bisschen schneller, Lilith?", rief Amenadiel, weil ich sehr gemächlich die Einfahrt hochgelaufen kam.

"Jaja." Ich verdrehte die Augen und ging an ih, vorbei in Lindas Haus hinein. Ich glaubte, obwohl die beiden nicht zusammen waren, dass mein Onkel bei der Therapeutin wohnte. Wahrscheinlich lag es daran, dass er keinen Job auf der Erde hatte und sich somit auch keine eigene Wohnung leisten konnte oder er wollte einfach nahe bei seinem Sohn sein. Meiner Meinung nach war es mehr der erste Grund als der zweite, obwohl Amenadiel vermutlich etwas anderes behaupten würde.

"Lucifer war vor einer Stunde hier und wir haben herausgefunden, wie wir Charlie dazu bringen können, dass er aufhört zu schreien", erklärte mein Onkel und folgte mir zu der Krippe, in der mein Cousin lag und... weinte. Warum war unklar.

"Ihn füttern?", erwiderte ich und beugte mich über das Bettchen um das Baby hochzunehmen. "Oder ihm ein Spielzeug geben?" Ein bisschen war ich beleidigt, weil er, obwohl ich ihn auf dem Arm hielt, weiter schrie. Man hätte doch meinen können, dass er, sobald er seine Lieblingscousine sah, aufhörte zu schreien. Ich wiegte ihn etwas im Arm hin und her, aber das brachte auch nichts. Verdammt!

"Du musst dein Dämonen- oder Teufelsgesicht, oder wie auch immer du es nennst, zeigen." Ich warf ihm einen verständnislosen Blick zu. Würde das den kleinen Charlie nicht verängstigen? Mein Teufelsgesicht sah nicht gerade harmlos aus. "Vertrau mir einfach! Bei deinem Vater hat es auch funktioniert."

Ich erwiderte nichts mehr darauf und tat einfach das, was er von mir verlangte. War ja nicht meine Schuld, wenn Charlie danach aus Angst nur noch lauter weinte.

Ich holte tief Luft und tat das, was ich schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr getan hatte - ich ließ mein Teufelsgesicht an die Oberfläche kommen. Ich mochte dieses Gefühl, wenn ich es tat, nicht - warum wusste ich auch nicht so genau. Asmo hatte, als wir noch zusammen waren, mich in der Hölle oft dazu aufgefordert, es zu zeigen. Am Anfang hatte ich ihm auch noch liebestrunken diesen Gefallen getan, aber irgendwann hatte sich ein beklemmendes Gefühl in meinem Magen ausgebreitet, wenn immer ich es getan hatte. Seitdem ließ ich mein Teufelsgesicht verdeckt. Auch dieses Mal zog sich alles in mir zusammen, als sich meine Haut rot verfärbte. Meine Haare verschwanden und meine Augen begannen gefährlich rot zu glühen. Mein Gesicht bekam markantere Züge und wurde faltrig. Es waren nicht solche Falten, die Menschen bekamen, wenn sie alt wurden, sondern eher solche wie bei einer Fleischwunde. Zum Schluss wuchsen noch zwei sehr kleine Hörner oben aus meinem Kopf.

Ich blickte zu Charlie hinunter und bemerkte, dass er aufgehört hatte zu schreien. Es war erstaunlich. Mit großen, dunklen Augen blickte er fasziniert zu mir hoch. War mein Gesicht jetzt wirklich interessanter als davor?

"Schau! Was habe ich gesagt?"

"Jaja", erwiderte ich und verdrehte die Augen, während ich Charlie weiterhin auf den Armen schaukelte. "Willst du mir jetzt vielleicht mal die Frage beantworten, warum du auf der Erde bist? Wer passt auf die Hölle auf?"

"Niemand", antwortete mein Onkel. "Vater hat gesagt, dass die Hölle keinen Herrscher mehr braucht." Seine Augen funkelten kurz auf.

"Grandpa hat mit dir gesprochen?"

"Ja!" Er grinste mich breit an. "Unglaublich, oder?"

Ich rollte abermals mit den Augen. Natürlich war es etwas Besonderes, dass sich mein Großvater dazu herabließ, mit seinen Kindern zu sprechen, aber Amenadiel übertrieb es etwas mit der Begeisterung. Gott war zu seiner Verwandtschaft nicht immer so gütig wie zu den Menschen. Ich möchte nur noch einmal daran erinnern, dass er Dad in die Hölle verbannt und dann auch noch mich ihm weggenommen hatte.

Tochter des Teufels 2 (Lucifer ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt