Prolog

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Vor einiger Zeit...
Noch bevor Lilith den Himmel verlassen hat...

Eine junge Frau stand im Badezimmer vor dem großen Spiegel über einem runden Waschbecken. Leise Pop-Musik lief im Hintergrund und sie summte verträumt mit, während sie sich die nassen Haare kämmte - ihre langen, schwarzen Haare, die ihr in leichten Wellen auf den Rücken fielen. Sie trug nichts weiter als ein weißes Handtuch um den Körper, das gerade so ihre Intimzonen verdeckte. Es stand im Kontrast zu ihrer braungebrannten Haut und den braunen Augen, die ihr im Spiegel entgegensahen. Langsam betrachtete sie ihr Gesicht von oben bis unten - die langen, schwungvollen Wimmpern, die vollen, roten Lippen. Sie hatte sich schon immer recht hübsch gefunden.

Plötzlich reißt sie ein dumpfes Geräusch aus ihren Gedanken. Erschrocken hielt sie in ihrer Bewegung inne und sah in Richtung Tür. "Hallo!", rief sie auf gut Glück, aber niemand antwortete. Vielleicht hatte sie sich auch nur verhört. Schulterzuckend wandte sie sich wieder ihrem Spiegelbild zu und drehte die Musik noch etwas lauter. Ihr Lieblingslied schallte nun von den weißen Fließen ihres Badezimmers wider. Von der großen Regendusche in der Ecke tropften die letzten Wassertropfen in den Abfluss. Die junge Frau hörte nicht, wie ein Tropfen nach dem anderen auf dem Boden zerplatzte. Genauso wenig nahm sie wahr, wie aus dem Flur leise Schritte näherkamen. Die Musik war zu laut. Erst als der braunhaarige Mann schon direkt hinter ihr stand und eine Pistole auf sie richtete, bemerkte sie ihn im Spiegel. Er starrte sie mit einem verrückten Glanz in den blauen Augen an, sein Kiefer war angespannt, die Finger um der Waffe verkrampft. Sie wirbelte herum.

"Du miese Schlampe!", fauchte er sie an und die Frau taumelte erschrocken gegen das Waschbecken. Die Haarbürste fiel ihr aus der Hand und landete mit einem Knall auf den Fliesen.

"Jack! Was machst du...?" Ihre verängstigten Augen fokussierten den Mann.

"Ruhe!", unterbrach Jack sie und kam einige Schritte auf sie zu. Jetzt war sie ihm so nah, dass er die Pistole direkt an ihren Kopf halten konnte. Die Frau wimmerte leise.

"Bitte, Jack. Es tut mir leid. Ich wollte das nicht."

"Was wolltest du nicht?!" Jack war außer sich vor Wut. Die Waffe in seiner Hand zitterte. Er haderte noch mit sich, ob er abdrücken konnte. Konnte er sie wirklich töten? "Du wolltest nicht mit diesem Wichser schlafen?! Willst du mir das damit sagen? Ist sein Schwanz nur zufälligerweise in dich hineingerutscht?"

"Jack, bitte. Es tut mir leid. Ich hätte das nicht tun sollen." Die Frau war nur noch ein Häufchen Elend. Ihre Beine waren weich und schienen sie kaum noch mehr zu tragen. Sie hatte panische Angst - Todesangst.

"Ja, das hättest du nicht", dröhnte Jack und wurde dann ruhig und verbittert. "Du hast mir das Herz gebrochen, Alice. Und jetzt..." Er holte tief Luft. "Jetzt werde ich deines brechen." Mit diesen Worten senkte er die Pistole auf Alice' Herz und drückte ab. Mit weit aufgerissenen Augen sackte die junge Frau in sich zusammen, während Jack über ihr stand und hasserfüllt auf sie herunterstarrte. Wie hatte er diese Frau je lieben können?

"Eine tolle Aufführung", drang plötzlich eine Stimme an sein Ohr. "Wirklich großartig!" Er wirbelte herum und sah direkt in das düster lächelnde Gesicht eines schwarzhaarigen Mannes. Er trug einen Rollkragenpullover und darüber ein beiges Jacket. Die Hose hatte dieselbe Farbe und die schwarzen Schuhe glänzten in dem hellen Licht, das von der Deckenlampe schien. Lässig lehnte er an der Wand, direkt neben der Dusche.

Jack ließ langsam die Pistole sinken und sah den Mann verwirrt an. "Herr? Was...?"

Der schwarzhaarige Mann beugte sich ein Stück nach vorne. Den Kopf schob er ein Stück nach vorne, die Schultern zog er nach oben. "Ich bin nicht er, Asmodeus." Ein Grinsen huschte über das Gesicht des Mannes, als Jack - beziehungsweise Asmodeus - noch verwirrter dreinblickte.

"Wenn ich mich vorstellen darf?" Der Fremde stieß sich von den Fließen weg. "Mein Name ist Michael. Ich bin Lucifers Zwillingsbruder und ich weiß, dass du deinen Herrn genauso wenig leiden kannst wie ich. Wenn du willst, helfe ich dir, die Hölle zu verlassen."

Asmodeus' Augen weiteten sich, obwohl man in ihnen noch eine gewisse Skepsis sehen konnte. Er wusste nichts von einem Zwillingsbruder seines Herrn. Es könnte auch sein, dass Lucifer ihm nur einen Streich spielen wollte, um wieder einen Grund zu haben, seine Wut an ihm auszulassen. Eine Wut, die ursprünglich nicht einmal ihm galt...

"Ich weiß, du bist misstrauisch", fuhr Michael fort. "Verständlich, wenn man bedenkt, wie Lucifer mit dir umspringt. Du bist für ihn nichts weiter als eine Puppe, eine Marionette, ein Sklave, an dem er seine Wut auslassen kann."

Asmodeus biss sich auf die Lippe und sah grimmig zur Seite. In dem Hauch einer Sekunde verschwand die Gestalt Jacks und er wurde zu dem Dämon, der er schon immer war. Fünf Hörner wuchsen aus seinem Kopf, seine Haut verfärbte sich rot, an den Händen und Beinen wuchsen ihm Krallen.

"Ist es nicht einen Versuch wert?", versuchte Michael ihn zu überreden. "Du willst doch hier weg, oder nicht?"

Asmodeus sah zu ihm hoch. "Schon..."

"Ich bringe dich zur Erde. Mein Bruder wird überhaupt nichts davon merken."

Der Dämon blickte auf die junge Frau zu seinen Füßen hinab, wie das letzte bisschen Leben aus ihr verschwand. Wie oft hatte er sie nun schon getötet? Immer und immer wieder dieselbe Prozedur. Und nicht nur sie. Wie viele verdammte Menschenseelen hatte er tagtäglich unter Lucifers Anordnungen gequält und gefoltert? Und als Dank ließ der Höllenfürst seine Wut an ihm aus. Hatte er sich nicht einmal eine Pause verdient?

"Na gut", sagte er schließlich mit tiefer, rauer Stimme zu Michael. "Bring mich hier raus!"

Tochter des Teufels 2 (Lucifer ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt