Die zurückgelassene Dämonin

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Maze hatte schon immer gerne Menschen oder Seelen gefoltert - nicht nur, weil es als Dämonin ihr Job war, sondern auch wegen dem Spaß, den sie dabei hatte. In meinen ersten Lebensjahren in der Hölle war sie manchmal sowas wie eine Babysitterin für mich gewesen. Sie hatte auf mich aufgepasst und mit mir gespielt, während Dad seinen Aufgaben als Teufel hatte hinterhergehen müssen. Wenn man es genau nahm, war das ziemlich oft gewesen, sodass Maze in meiner Kindheit mehr Zeit mit mir verbracht hatte als mein eigener Vater. Ich machte es ihm nicht zum Vorwurf. Für mich war das normal gewesen und außerdem hatte es die Momente, die Dad und ich zusammen verbracht hatten, umso schöner und besonderer gemacht. Wie Maze das fand, da war ich mir nicht so sicher. Ich glaube kaum, dass sie gerne Babysitterin gespielt hatte; sie hätte bestimmt lieber weiter Seelen gefoltert. Vielleicht hatte sie mir deswegen immer ihre Dämonenmesser zum Spielen gegeben - damit ich mich aus Versehen selbst absteche. Oder sie hatte einfach nicht besser gewusst, wie man mit einem Kleinkind umging. Letzteres hielt ich für wahrscheinlicher, weil sie mich auch des Öfteren zu ihren Foltereien mitgenommen hatte. Ich hatte zugeschaut, wie sie Seelen Gliedmaßen rausriss oder andere Dinge mit ihnen anstellt, die ich jetzt nicht näher beschreiben will - und ich hatte sie begleitet, während sie meine Grandma quälte. Allerdings nur für kurze Zeit, denn für die Göttin der Schöpfung war, ihre Enkelin zu sehen, alles andere als eine Folter. Ihr seht, meine Kindheit war dank Maze alles andere als kindgerecht gewesen. Trotzdem hätte ich sie mir, bis zu dem Zeitpunkt als Amenadiel mich in den Himmel gebracht hatte, nicht anders gewünscht. Vor allem hatte sie mir gezeigt, wie Dads treuste Dämonin tickte. Deswegen überraschte es mich auch nicht wirklich, dass sie gerade versuchte, meinen Vater mit ihren Dämonenmessern zu durchlöchern.

Himmelswesen waren eigentlich unverwundbar und konnten nicht von herkömmlichen Waffen der Menschen verletzt werden, allerdings waren Maze' Klingen im Höllenfeuer geschmiedet worden, sodass sie sowohl Dad, als auch mich und alle anderen in meiner Verwandtschaft verletzen und töten konnten. Deswegen könnt ihr euch bestimmt vorstellen wie ernst und in keinsterweise amüsiert der Blick meines Vaters war. Neben ihm in der Wand steckte bereits eines der Dämonenmesser, während Dad mit schnellen Bewegungen das andere abwehrte. Keiner der beiden hatte mich bis jetzt bemerkt.

Mein Blick huschte durch den Raum. In meiner Nähe stand Dads Flügel, besser gesagt die Überreste. Er war in mehrere Stücke zerhackt worden und offensichtlich nicht mehr zu retten. Es versetzte mir einen kleinen Stich ins Herz. Ich hatte zwar nicht oft auf ihm gespielt, aber ich wusste, wie sehr Dad an ihm gehangen hatte. Natürlich konnte man ganz leicht einen neuen kaufen, aber es würde nie derselbe sein, wie dieser hier. Wenn ich den Kopf von den Bruchstücken hob, blickte ich direkt in das weitläufige Zimmer in Richtung der großen Glaswand, die zum Balkon führte. Auf ihm konnte man wundervoll über LA schauen. Weiter vorne im Raum standen mehrere Sofas, Sessel und ein Fernseher. Zu meiner Rechten stattdessen befand sich die Bar. Darüber waren in der Wand Regale eingelassen, auf denen sich reihenweise Flaschen mit allem möglichem Alkohol stapelten.

Ich sah wieder zurück zum Geschehen. Maze hatte Dad ins Schlafzimmer nebenan gedrängt, sodass ich sie nicht mehr sehen konnte. Deswegen ging ich leise ein paar Schritte in ihre Richtung.

"Ich bin nicht Michael!", schrie Dad gerade in der Hoffnung, Maze würde von ihm ablassen, aber sie starrte ihn weiterhin wütend an. Wer konnte es ihr verübeln? Wahrscheinlich hatte Michael sogar noch Salz in die Wunde gestreut, sodass Maze jetzt noch zorniger war, weil wir sie zurückgelassen hatten.

Bevor diese Situation in irgendeiner Art und Weise außer Kontrolle geraten konnte, machte ich sehr subtil mit einem Räuspern auf mich aufmerksam. Dad blickte an Maze vorbei und in seinen Augen spiegelte sich Erleichterung. Die Dämonin, die mit dem Rücken zu mir stand, drehte ihren Kopf stattdessen ruckartig in meine Richtung und funkelte mich böse an. Ugh, ich glaube, sie war auf mich auch nicht so gut zu sprechen. Sie ließ von Dad ab, was mich für einen kurzen Moment ausatmen ließ, jedoch hielt sie mir in der nächsten Sekunde das Dämonenmesser an die Kehle. Reflexartig und um zu zeigen, dass ich ihr nichts tun wollte, hob ich die Hände.

"Maze, bitte!", begann ich, möglichst ruhig zu reden und schielte vorsichtig auf die Klinge hinunter. "Du willst das doch gar nicht tun."

Sie fletschte die Zähne und drückte das Messer noch einige Zentimeter näher an meinen Hals. Ich spürte, wie die Spitze in die zarte Haut stich und ein kleiner, heißer Bluttropfen nach unten lief. Ich schluckte schwer und trat langsam ein paar Schritte zurück. Wenn sie wollte, hätte sie mich schon längst umgebracht, dachte ich hoffnungsvoll.

"Michael will uns nur gegeneinander aufhetzen", versuchte ich es weiter, aber es beschwichtige sie kein bisschen. Im Gegenteil, sie schien - wenn das überhaupt möglich war - noch wütender zu werden. Oh Grandpa! Das wird nicht gut ausgehen!

"Michael hat nichts damit zu tun!", zischte sie und stach mit dem Messer unterstreichend noch einmal in meine Richtung. Reflexartig sprang ich zurück und konnte gerade rechtzeitig ausweichen. "Das habt alles ihr zu verantworten! Wie konntet ihr mich nur hier zurücklassen?!"

Hilfesuchend sah ich an Maze vorbei zu Dad. Er trat ein paar Schritte in unsere Richtung, hielt aber noch genügend Abstand, um nicht aus dem Nichts heraus von einem Messer aufgeschlitzt zu werden. "Du hättest ja nachkommen können." Oh Dad, nein, das war eindeutig das Falsche, das du gesagt hast.

Zu meiner Bestätigung wirbelte die Dämonin herum - glücklicherweise ohne mich dabei weiter zu verletzen - und funkelte jetzt meinen Vater an. Erleichtert, dass sie nicht mehr mich mit ihren Messern bedrohte, ging ich einige große Schritte weg von ihr. Währenddessen fauchte Maze laut: "Wie denn?! Ich hab keine Flügel, du Idiot!"

"Aber Amenadiel hat welche", entgegnete Dad und ich hätte ihn erwürgen können. Merkte er denn nicht, dass er es nur noch schlimmer machte? Ich warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, den er aber nicht zu bemerken schien. Maze währenddessen sah ihn fassungslos an, öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn aber anschließend wieder. Sie schüttelte den Kopf, brach den Blick zu meinem Vater ab und machte sich daran die Treppe aus dem Schlafzimmer hinunterzusteigen. Als sie an mir vorbeilief, hielt sie noch einmal einen Moment inne und sah mich mit einem undurchdringlichen Blick an. Ich erwiderte ihn starr, wagte nicht, mich zu bewegen oder zu atmen. Eine seltsame Spannung machte sich zwischen uns breit. In ihren dunklen Augen lag etwas - etwas, das sie mir sagen wollte. Für einen kurzen Moment sah es so aus, als wollte sie die Worte, die ihr auf der Zunge lagen, aussprechen, aber dann wandte sich sich doch ab und ging, ohne ein weiteres Wort zu sagen zum Fahrstuhl. Ich hörte das vertraute Pling und während die Dämonin auf dem Weg nach unten war, fragte ich mich noch lange, was sie mir hatte sagen wollen.

Tochter des Teufels 2 (Lucifer ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt