Mein zu Hause

419 19 0
                                    

Gegenwart

Fette, haarige Spinnen. Tausende von Spinnen, die alle in eine Richtung schwärmten. Sie krabbelten auf ihren langen Beinchen auf eine Person zu, die an der Wand eines kahlen Zimmers angekettet war. Der Mann, Ende 50, schaute angsterfüllt und schreiend der herankommende Menge an kleinen Viechern entgegen. Ich konnte die Verzweiflung und Panik in seinen Augen lesen, die er, kurz bevor die Spinnen ihn erreichten, zusammenkniff, um nicht mitzubekommen, wie sie über ihn herfielen. Die kleinen Tierchen waren keine normalen Spinnen. Sie hatten spitze, scharfe Zähne und acht rot funkelnde Augen, die allesamt auf den armen Herren gerichtet waren. Als sie ihn erreicht hatten, krabbelten sie an seinen Beinen hoch - er begann, noch lauter zu schreien. Bald schon hatten sie seinen ganzen Körper bedeckt und nagten an seinem Fleisch. Ein grausamer Tod wird ihn ereilen und es war nicht das erste Mal. Tausende von Malen musste er dieses Grauen schon durchleben und er wird es noch viele viele weitere Male durchstehen müssen.

Wenn ich ehrlich war, hatte ich kein Mitleid mit ihm. Er war selbst Schuld, dass er hier, in der Hölle, war. Was auch immer er in seinem Leben angestellt hatte, es bereitete ihm teuflische Schuldgefühle. Genau deswegen war er hier. Er hatte etwas getan, das er sich nie verzeihen konnte und wollte nun deswegen leiden. Er wollte es. Dad war ganz und gar nicht Schuld daran, dass er hier war, genauso wenig wie die Dämonen, die rund um die Uhr (obwohl es hier keine Uhren gab und die Zeit, wie die Menschen sie kannten, in dem Sinne auch nicht existierte) hart arbeiteten, um jeder Seele die gerechte Folter zu ermöglichen. Ich hatte in den letzten Jahren, Jahrhunderten - oder waren es Jahrtausende? (ich hatte den Überblick verloren - wenn ihr es genau wissen wollt, fragt einfach Dad; der zählte, seit wir von der Erde weg mussten, jeden einzelnen Tag) - am eigenen Leib erfahren, wie die Dämonen und Dämoninnen schuften mussten. Dad hatte nicht untertrieben, als er sagte, dass die Hölle überfüllt sei. Sie war mehr als nur überfüllt - so viele Seelen und es wurden immer mehr - und deswegen hatte ich beschlossen, meinem Vater und all seinen Untertanen zur Hand zu gehen. Falls das bis jetzt noch nicht klargeworden war, mein Vater war niemand anderes als Lucifer Morningstar - Teufel, Herrscher über die Hölle und manche kannten ihn auch als den gefallenen Engel Samael (aber nennt ihn auf keinen Falls so!).

Der Mann, der gerade von den Spinnen befallen wurde, war eine der verdammten Seelen, die allerdings nicht ich foltern sollte, sondern der Dämon und mein Freund Asmodeus. Ich hatte mir nur eine Pause von meinen Aufgaben gegönnt (als Tochter des Höllenfürsts hat man ein paar Freiheiten mehr als seine Untertanenen) und mich zu Asmo gesellt, der - wie mir nicht entgangen ist - von meinem Vater extra viel Arbeit zugeworfen bekam. Natürlich wusste ich, warum er das tat. Er konnte den Dämon noch nie leiden und war alles andere als begeistert gewesen, als er herausgefunden hatte, dass wir zusammen waren. Obwohl er sagte, dass es für ihn okay war, konnte er es trotzdem nicht lassen, uns solange wie möglich voneinander getrennt zu halten. Das nervte höllisch. Ich hatte schon oft versucht, mit Dad darüber zu reden, aber bei diesem Thema war er auf beiden Ohren taub; vor allem weil er zurzeit Liebeskummer hatte. Deswegen blieb mir nichts anderes übrig, als mich immer und immer wieder zu Asmo zu schleichen, wenn er arbeitete.

Gerade saßen wir in dem kahlen Raum zwischen verdammter Seele und Teufelsspinnen auf einem Sofa, das ich uns herbeigezaubert hatte. Okay... es war keine richtige Zauberei... ich hatte nur eine gewisse Kontrolle über die Hölle, wie Dad ja auch.

"...unglaublich, dass er mir soviel Arbeit aufbrummt. Die anderen müssen nie..." Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, wie Asmo sich zum tausendsten Mal über meinen Vater beschwerte. Wenn ich ehrlich war, nervte es mich mittlerweile ziemlich. Ich konnte ja auch nichts dagegen machen. Dad war sturr, vor allem, wenn es um mich und den Dämon ging.

"Hörst du mir eigentlich zu?", fragte Asmo jetzt und mein Kopf schoss in seine Richtung.

"Hm? Ja."

"Nein, tust du nicht." Er beugte sich ein Stück zu mir rüber und strich mir mit der Hand über die Wange. Naja, es war keine Hand in dem Sinne, eher eine Klaue. Schließlich war Asmo ein Dämon und konnte, solange er nicht einen Menschen bei irgendeiner Folter verkörpern musste, in der Hölle nur in seiner wahren Gestalt herumlaufen. Auf der Erde hatte er sich als der dunkelhaarige, heiße Striper Blake Turner ausgegeben, aber diese Gestalt konnte er hier nicht annehmen. Warum weiß ich nicht so genau.

"Sag mir, was los ist, Engel!", forderte er mich flüsternd auf, während im Hintergrund die Spinnen langsam von dem jetzt toten Mann abließen. Bald würde er jedoch wieder am Leben sein und die kleinen Krabbeltierchen würden zurückkommen.

"Ich weiß auch nicht", seufzte ich und wich seinem Blick aus. Genau in dem Moment wurde der gefolterte Mann wieder lebendig. Asmo lehnte sich zurück, um ihn direkt anzusehen. In den Augen des Mannes lag pure Panik, während er uns flehend entgegen sah. Seine Stimme war kaum mehr als ein Hauchen: "Bitte... nicht..."

Dann kamen auch schon wieder die Spinnen von allen Seiten und ich setzte mich auf. Noch einmal musste ich mir dieses Schauspiel nicht mehr antun. "Ich geh mal Dad suchen", erklärte ich Asmo. "Vielleicht kann ich ihn überreden, dir endlich einmal freizugeben." Leider wusste ich, dass das niemals passieren würde. Es war lediglich eine Ausrede, dass ich aus dieser ekligen und gleichzeitig langweiligen Höllenschleife herauskam. Ich hielt das nicht mehr aus. Nicht wegen der quälenden Schreie der Seele, sondern weil es immer dasselbe war. Immer diegleichen Foltermethoden, immer dasselbe Betteln und Flehen. Es ging mir auf die Nerven und obwohl ich diesen Ort immer als mein zu Hause angesehen hatte, fühlte er sich nicht mehr als solches an.

"Okay." Ich spürte, dass Asmo wusste, dass es nur eine Ausrede war und ich war dankbar, dass er mich trotzdem gehen ließ. Deswegen schenkte ich ihm noch ein schwaches Lächeln und versprach ihm, dass wir uns später sehen würden. Erleichtert sah ich, dass er mein Lächeln erwiderte.

In Gedanken versunken lief ich wie von selbst durch die düsteren Gänge der Hölle - die verzweifelten Schreie mein ständiger Begleiter. Ich kannte den Weg zu Dads Thronsaal in- und auswendig und würde ihn im Schlaf finden. Deswegen achtete ich auch nicht wirklich auf den Weg vor mir und rannte natürlich prompt gegen jemanden. Konnten diese Dämonen nicht einmal aufpassen, wo sie hinliefen? Aber als ich aufsah, blickte ich nicht in das Gesicht einer der Foltermaschinen der Hölle, sondern in das meines Onkels.

"Amenadiel?!", fragte ich überrascht. "Was machst du denn hier?"

Tochter des Teufels 2 (Lucifer ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt