Alles nur Lügen und Manipulation

228 14 0
                                    

Mit blutverschmirrtem Gesicht taumelte Michael in Richtung Balkon. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Das eine Auge hielt er geschlossen, weil ihm Blut drohte hineinzulaufen. Er hatte die Zähne grimmig zusammengebissen und als er an mir vorbeilief, warf er mir einen vielsagenden und auffordernden Blick zu. Er wollte, dass ich Dad fragte... nach meiner Mutter, aber den Gefallen würde ich ihm nicht tun. Klar war, dass er Rache wollte. Die Narbe würde für immer in seinem Gesicht bleiben. Obwohl sie mit der Zeit - wahrscheinlich recht bald - verblassen wird, würde sie bleiben und ihn in alle Ewigkeit an seinen Zwilling erinnern, an den Kampf und den Hass. Ich blickte ihm hinterher, während mein Onkel seine Flügel ausbreitete und in den Himmel verschwand. Ich war mir ziemlich sicher, dass wir ihn nicht zum letzten Mal gesehen hatten.

Hinter mir hörte ich ein Klirren und drehte mich um. Dad hatte das blutige Dämonenmesser achtlos auf den Boden geworfen und suchte nach irgendeiner Möglichkeit sich das Blut seines Zwillings von den Händen zu wischen. Unter dem Tresen holte er schlussendlich ein weißes Geschirrtuch hervor, das im nächsten Moment rot gefärbt war. Das würde sich bestimmt nicht mehr rauswaschen lassen.

"Und, Lilith? Welche Lügen hat mein nutzloser Zwilling dir aufgetischt?" Dad klang noch immer sehr gereizt. Wer konnte es ihm verübeln... Er sah mich abwartend an und ich konnte in seinen Augen neben der Wut auch einen Funken Verletztheit erkennen. Er hasste es, wenn man ihn manipulierte, das wusste ich, und jetzt, wo ihm klar wurde, dass sein Zwilling sein ganzes Leben lang genau das getan hatte... Ob er es glaubte oder nicht, war gerade unwichtig, weil, dass die Möglichkeit überhaupt schon bestand, ärgerte ihn ins Unermessliche.

Ich ging langsam, damit der Alkohol mich nicht nochmal von den Socken hauen konnte, auf die Bar zu. Mein Vater beobachtete mich schweigend dabei. Ob ich ihm von der Sache mit meiner Mutter oder dem Drama mit Asmodeus erzählen sollte? Bei Letzterem würde er doch eh nur sagen: "Ich habe es dir doch gesagt." Das konnte ich mir sparen. Andererseits würde er wahrscheinlich eh fragen, warum ich so viel getrunken hatte und so scheiße aussah... irgendwann würde die Sache eh ans Licht kommen.

"Ehrlich gesagt...", begann ich und setzte mich auf einen Barhocker Dad gegenüber. "...hat er..." Ich stockte. Ein Kloß hatte sich in meinem Hals gebildet, als ich zurück an den Dämon dachte und die Lüge unserer langjährigen Beziehung. Ich blinzelte ein paar Mal, um die aufkommenden Tränen zu unterdrücken.

Mein Vater bemerkte, dass etwas nicht stimmte und beugte sich über die Theke, um mir mitfühlend eine Hand auf die Schulter zu legen. Ein schwaches Lächeln erschien auf seinen Lippen, was ich versuchte zu erwidern. Es gelang mir nicht.

Ich holte tief Luft und erzählte ihm dann, was ich herausgefunden hatte: "Michael hat Asmodeus auf die Erde gebracht... und im Gegensatz sollte er sich mit mir anfreunden. Unsere ganze Beziehung beruhte die ganze Zeit auf einer Lüge." Bei den letzten Worten brach meine Stimme ab. Ich wünschte, es würde nicht so wehtun darüber nachzudenken. Ich wollte ihnen nicht den Gefallen tun, dass mich die Sache so sehr verletzte und fertig machte. Das spielte ihnen doch genau in die Karten.

Dad sah mich an, legte das Geschirrtuch vor sich auf den Tresen und ging um die Bar herum auf mich zu. Er legte wortlos die Arme um mich und so sehr ich es auch versuchte, nun konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich vergrub mein Gesicht in seinem Hemd und schluchzte. Ein Teil von mir ärgerte sich darüber, dass ich nicht stark genug war, die Tränen zurückzuhalten, aber der andere wollte sich einfach nur fallen lassen. Ihm war alles egal, er wollte sich am liebsten auf der Couch unter einer Decke verkriechen und sich flennend Liebesschnulzen im Fernsehen anschauen.

"Sag es ruhig", forderte ich meinen Vater schluchzend auf. "Sag ich habe es dir doch gesagt!"

"Nein, werde ich nicht", antwortete er liebevoll und drückte mich ein Stück von sich weg, um mich ansehen zu können. "Ich weiß, du willst das wahrscheinlich nicht glauben, aber es wird besser werden. Es ist nicht das Ende der Welt." Und damit wurde mal wieder bewiesen, dass der Teufel nicht gut im Trösten war. "Ich werde den Dämon auf alle Fälle finden und zurück in die Hölle bringen. Ich verspreche dir, dass er da unten seine persönliche Hölle erleben wird." Er legte den Kopf schief und lächelte schwach zu mir runter.

Ich öffnete den Mund, um zu widersprechen, entschied mich dann aber um und sagte einfach nur: "Danke."

"Falls es dich beruhigt, der Detective und ich... das ist gerade auch ziemlich kompliziert." Es beruhigte mich zwar nicht, aber es konnte nicht schaden, wenn ich mir seine Beziehungsprobleme mal anhörte. Einerseits würde mich das von meinem scheiß Leben ablenken und andererseits würde er eh keine Ruhe geben, bis er sich vor mir die Seele ausgeschüttet hatte. "Ich hab dir ja erzählt, dass sie jetzt weiß, dass sie ein Geschenk von deinem Großvater war", fuhr er fort und ich nickte einmal zur Bestätigung. "Und jetzt macht sie einen großen Wirbel darum, dass alles, was sie fühlt, vorherbestimmt war; dass mein Vater ihr all diese Gefühle eingepflanzt hat." Er seufzte und löste sich aus der Umarmung.

"Immer wenn ich mit ihr reden will, weicht sie mir aus", beschwerte er sich weiter. "Außerdem setzt sie jede ihrer Handlungen mit Gott in Verbindung. Dass alles vorherbestimmt ist. Dass Gott im Himmel sitzt und die Fäden über ihr ganzes Leben zieht. Schwachsinn!" Er schüttelte den Kopf. "Mein Leben ist es, das er mir schwer macht. Und als wäre das nicht genug, taucht mein Zwilling auf und sagt mir, er habe mich und meine Entscheidungen unser ganzes Leben lang manipuliert." Er ging um die Bar herum, um sich einen Whiskey einzuschenken. Ich würde mich ihm am liebsten anschließen, aber weil mir schon langsam schlecht wurde, ließ ich es lieber bleiben. "Du hast unser Gespräch vorhin mitbekommen?" Er sah mich fragend an.

"Das Meiste."

"Gut." Er trank das Glas in einem Zug leer.

"Glaubst du ihm?", fragte ich und setzte mich wieder auf den Barhocker.

"Nein, natürlich nicht!" Er klang nicht überzeugt. "Ich weiß, dass er will, dass ich es glaube. Er weiß ganz genau, wie sehr mich sowas stört." Das wusste jeder. "Aber genau deswegen sollte ich es ihm nicht glauben. Er erzählt so oft Lügen, das wird nur eine weitere sein." Ich merkte, dass er nicht einmal selbst an das glaubte, was er sagte. Allerdings entschied ich mich dafür, ihn nicht darauf aufmerksam zu machen. Ich wollte es mir ja selbst klarmachen. Ich wollte, dass alles, was ich über Asmodeus erfahren hatte, eine Lüge war. Und die Sache mit meiner Mutter... nein, ich würde das nicht ansprechen!

Dad seufzte und sah an mir vorbei durch die Balkontür nach draußen. Es war dunkel, nur die Lichter der Stadt strahlten grell in alle Richtungen. "Ich kann heute auf der Couch schlafen, wenn du willst."

Ich setzte schon an zu widersprechen, entschied mich aber dann doch anders. Ein weiches, gemütliches Bett konnte ich jetzt wirklich gut gebrauchen. Die vielen Geschlechtskrankheiten, die sich da wohl angestaut hatten, würde ich für heute ignorieren. Heute war es mir egal. Heute war alles egal.

"Ja... okay." Ich lächelte ihm dankbar zu und rutschte vom Hocker. "Wenn du nichts dagegen hast, geh ich jetzt schon..."

"Nein, mach es dir bequem." Er wieß in Richtung Schlafzimmer. In meinem Kopf drehte es sich und ich fühlte mich durch und durch erschöpft, während ich in Richtung Bett schlurfte. Kurz bevor ich es erreicht hatte, rief mein Vater aber nochmal meinen Namen.

"Lilith?" Ich drehte mich in seine Richtung. "Lass dich von Michael nicht manipulieren."

Tochter des Teufels 2 (Lucifer ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt