Ich komme ihm näher

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Ich verabschiedete mich knapp von Remiel - sie erwiderte es kurz und wandte sich, noch ehe ich aus dem Raum verschwunden war, wieder ihren Kampfübungen zu. Ich wurde aus ihr einfach nicht schlau. Vielleicht hatten Grandpa und Grandma bei ihrer Erschaffung eine Komponente vergessen - Gefühle. Ja, ich weiß, dass das gemein war, aber es war doch die Wahrheit.

Schnell flog ich zurück nach LA und war wieder bei null. Michael wollte offensichtlich irgendwas auf der Erde machen, sonst wäre er nicht heruntergekommen. Oder er hatte herausbekommen, dass ich ihn suchte und war geflüchtet. Hatte Gabriel mich verpetzt? Nein, wann sollte er das gemacht haben? Er war viel zu sehr damit beschäftigt, die toten Seelen zu begrüßen. Dads Zwilling musste vorher schon die silberne Stadt verlassen haben. Also was war der Grund dafür? Versetzen wir uns abermals in die Lage meines eifersüchtigen Onkels. Er wollte meinem Vater das Leben schwer machen. Wie würde ich das anstellen? Natürlich würde ich zuerst dafür sorgen, dass ihm das Liebste genommen wird, was er hatte. Und da er nicht zu mir gekommen war, blieb nur noch Chloe übrig. Allerdings schien er da sein Gift schon verbreitet zu haben. Wer war als Nächstes an der Reihe. Amenadiel? Nein, der war noch in der Hölle.

Michael war hinterlistig, er arbeitete aus dem Hintergrund heraus. Er versuchte andere zu manipulieren (was ihm - Beispiel Chloe - auch ziemlich gut gelang). Er machte sich nicht selbst die Hände schmutzig, er setzte nur kleine Impulse - setzte den richtigen Menschen, Engeln oder Dämonen nur einen passenden Gedanken in den Kopf- und ließ sie dann den großen Schaden anrichten. Moment! Dämonen! Maze! Mir ging endlich das Licht auf, nach dem ich schon so lange gesucht hatte. Maze war bestimmt sauer, weil Dad sie nicht mit zurück in die Hölle genommen hatte. Und da sie keine Flügel hatte, konnte sie auch nicht selbst hinunterfliegen. Die Dämonin war immer sowas wie die rechte Hand meines Vaters gewesen - seine treueste Begleiterin. Warum sonst hätte er sie damals mit zur Erde nehmen sollen? Sie hatte so viel für ihn getan und jetzt wurde sie einfach sitzen gelassen. Er war ohne sie nach Hause gegangen. Das musste man sich erstmal auf der Zunge zergehen lassen. Sogar ich musste zugeben, dass das gemein von Dad war, obwohl ich glaubte, dass er (und das klang jetzt noch mieser) sie einfach vergessen hatte. Er hatte soviel um die Ohren gehabt mit Dromos' Aufstand, Charlies Entführung und dann noch die ewig lange Trennung von Chloe Decker - vor allem nach dieser herzzerreißenden Verabschiedung. Da konnte er doch nicht an alles denken. Außerdem war Maze doch mit Eva unterwegs gewesen (die beiden hatten sich damals angenähert), obwohl ich nicht wusste, was daraus geworden war. Keine Ahnung, ob Eva noch auf der Erde war oder ob das mit den beiden überhaupt etwas geworden war. Auf alle Fälle blieb da viel Spielraum für Michael, sie gegen Dad aufzuhetzen. Wenn ich meinen hinterlistigen Onkel also finden wollte, musste ich Maze finden.

Auf dem Weg zum LUX, dem Nachtclub meines Vaters, holte ich mein Handy aus der schwarzen Lederjacke, die ich mir damals hier als erstes gekauft hatte. In der Hölle hatte ich sie nie gebraucht, weil es dort unten warm genug war, weshalb sie nur immer in meinem Zimmer herumgelegen war; genauso wie mein Handy - da unten hatte man null Empfang. Als wir zur Erde hoch geflogen waren, hatte ich sie wieder herausgekramt. Ich wählte Lindas Nummer und hielt mir das Telefon ans Ohr. Kurze Zeit später ging sie auch schon ran: "Lilith?! Bist du es wirklich?" Endlich mal jemand, der mich mit Freude begrüßte.

"Ja, ich bin's." Ich wollte keine Zeit verlieren und sofort nach Maze fragen, aber die Psychologin unterbrach mich.

"Dann ist der echte Lucifer auch wieder auf der Erde?" Der echte Lucifer? Sie hatte wohl auch mit Michael Bekanntschaft gemacht. Wundern täte es mich nicht. Hoffentlich war das gut verlaufen und mein Onkel hatte sie nicht auch in irgendeiner Weise gegen Dad gewendet; obwohl ich mir das nicht vorstellen konnte. Doktor Linda Martin war schon seit einigen Jahren Dads Therapeutin und eine gute Freundin. Sie war eine kluge Frau mittleren Alters mit blonden, langen Haaren und Brille. Zudem war sie die Mutter von meinem kleinen Cousin Charlie - Amenadiels Sohn. Ich bezweifelte stark, dass sie mit ihren hervorragenden Menschenkenntnissen auf Michaels Spielchen hereinfallen würde.

"Ja, ist er", antwortete ich und wollte gleich weiterreden, um die Frage zu stellen, wegen der ich überhaupt angerufen hatte, aber sie fiel mir abermals ins Wort.

"Und wer ist jetzt in der Hölle?!" Sie klang etwas hysterisch, was ich zuerst nicht verstand, es mir im nächsten Moment aber klar wurde. Ihr Baby wurde vor nicht allzu langer Zeit von Dämonen entführt und beinahe zum neuen Höllenfürsten gekrönt, weil mein Vater nicht mehr diesen Job hattr übernehmen wollen. Da wäre ich auch besorgt, wenn da unten jetzt niemand wäre, um die Folterknechte unter Kontrolle zu halten. Sie könnten es ja jederzeit nochmal versuchen, aber ich bezweifelte stark, dass das passieren würde. Dad hatte ihn damals gehörig Angst eingejagt und Respekt eingeflößt; die würden es nicht mehr wagen zu rebellieren.

"Keine Sorge", versuchte ich die Therapeutin schnell zu beruhigen, um endlich zum Punkt zu kommen. "Die Dämonen werden Charlie nichts tun, glaub mir." Ich bog in die Straße vor dem LUX und lief in Richtung Eingang. "Außerdem ist Amenadiel ja unten, der wird sie zur Not in Schach halten."

"Amenadiel ist in der Hölle?!" Sie klang nicht sehr begeistert darüber. Was war denn daran so schlimm? Mein Onkel war mehr als fähig, sich um ein paar Dämonen zu kümmern. Obwohl... er war nicht mehr so gut in Form, seit er den Himmel verlassen hatte. Und seine Zeit-Verlangsamerungs-Kräfte hatte er auch noch nicht wiedererlangt, aber die wirkten auf Dämonen ja eh nicht. Zur Not würde er sie aber schon irgendwie aufhalten können. Wenn das Leben seines Sohnes auf dem Spiel stand, konnte er bestimmt großartige Kräfte aus seinem Inneren hervorrufen.

"Ja, aber deswegen ruf' ich nicht an", redete ich schnell weiter, bevor sie mir nochmal dazwischen funken konnte. "Ich wollte dich fragen, ob du weißt, wo Maze ist."

"Nein. Wieso? Was ist mit ihr?"

Ich hielt es nicht für klug, Linda meine Vermutungen über Michaels vermeintliche Spielchen, die er mit der Dämonin trieb, zu erzählen. Die Therapeutin und Maze waren gut befreundet und ich wollte nichts sagen, das einen unnötigen Streit zwischen den beiden hervorrufen könnte. Das konnte Michael am besten - für Streit und Ärger sorgen. Und das musste ich verhindern. "Nichts. Alles gut." Wisst ihr, der größte Unterschied zwischen meinem Vater und mir ist, dass er nie log, während ich ab und an mal eine kleine Notlüge benutzte. Ich glaubte, er würde das nicht so gut finden, wenn er davon erfuhr, aber es war schließlich für das größere Wohl - in dem Fall für die Freundschaft zwischen Maze und Linda.

Ich stieg in den Aufzug des LUX und drückte auf den Knopf zu Dads Apartment. Bevor Linda noch weitere Fragen stellen konnte, verabschiedet ich mich von ihr: "Ich muss noch etwas erledigen. Bis später dann!" Ohne auf eine Erwiederung zu warten, legte ich auf und stopfte das Handy zurück in meine Jackentasche. Einen kurzen Moment später öffneten sich die Fahrstuhltüren und ich trat in das mehr oder weniger luxuriöse Apartment meines Vaters. Mit dem, was ich dort sah, hatte ich jedoch nicht gerechnet.

Tochter des Teufels 2 (Lucifer ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt