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„Hey, störe ich?"
„Nein."
Ich legte das Mathebuch und meine Klebezettel zur Seite. Eigentlich sollte ich Mathe lernen, da ich das Thema nicht verstand, aber das würde ich spätestens morgen auch tun können.
„Was hast du gemacht?"
„Mathe. Du?"
„Ich habe gerade meine Aufgaben für diese Woche fertig gemacht und hab mir dann gedacht, dass ich dich anrufe statt dir zu schreiben."
Ich sah wie Viktor grinste.
„Joa, passt doch."
Es blieb für einige Sekunden still.
„Was hast du heute so gemacht?",fragte er mich dann interessiert.
„Ehm... gute Frage.",antwortete ich belustigt, „Ich war in der Schule und dann beim Training."
„Training? Was machst du denn?"
Er klang so interessiert, dass ich es fast nicht glauben wollte. Mein Hobby ist nicht einzigartig. Es ist klischeehaft. Wie in den Büchern die entweder keiner oder zu viele Leute lesen.
Ein einfaches Klischee.

„Boxen."
„Ahh. Interessant. Und? Wie gut bist du darin?"
„Uff... miserabel.",scherzte ich leise, „Ne, Spaß. Ich würde sagen ich bin durchschnittlich."
„Und wie oft trainierst du die Woche?"
„Wenn ich hingehe: dreimal."
„Wenn?"
„Wenn."
Ich musste leicht grinsen, weswegen ich mich kurz von meinem Laptop wegdrehte.

„Und du? Was machst du in deiner Freizeit?",hinterfragte ich etwas neugierig.
„Zeichnen."
„Und da studierst du Medizin?"
Eine Karriere in Kunst. Ob er Mal darüber nachgedacht hatte wie erfolgreich er werden könnte? Wie viel ansehen er haben könnte?
Mit der Zeit würde er vielleicht sogar berühmt werden. Mit der Zeit würde er reich werden.
Nicht das Medizin schlecht wäre. Man kann sich auch als ein Arzt eine sehr gute Karriere aufbauen.
Diese war in jener Hinsicht vielleicht sogar besser.
Hätte er Kunst gewählt, hätten wir uns vielleicht gar nicht kennengelernt. Wollte ich das?

„Ja?"
„Aha, okay, schön. Und was zeichnest du so?",fragte ich weiter ohne eine wirkliche Erklärung auf meine vorherigere Frage zu geben.
„Am meisten wahrscheinlich Landschaften...",überlegte er laut, „Aber eigentlich alles so."
„Darf ich ein Bild sehen?",fragte ich dann wieder.
„Ja klar, warte kurz.",antwortete er schnell bevor er aufstand und einen Skizzenblock aus einer Schublade holte. Dann blätterte er die Seiten durch und wiegte seinen Kopf hin und her als er mir das Blatt zeigte.
„Nicht das beste, aber egal."
Ich näherte mich meinem Laptop um einen besseren Blick auf das Bild zu bekommen.
„Eine Landschaft! Wo ist das?"
„Eh. Das war als ich im mit meiner Familie im Urlaub in Italien war."
„Mh..."
Ich wusste, dass das Bild gut aussehen würde. Aber ich hatte definitiv nicht erwartet, dass etwas so wenig aber doch so viel Detail haben kann.
Es war eine einfache Bleistiftzeichnung. Keine komplizierten Formen, keine komplizierten Schatten. Aber es war gut.
Es wirkte ruhig und entspannend. Ich wusste nicht genau warum, aber es ließ mich wundern wie es zu dem genauen Zeitpunkt ausgesehen haben muss.
Einfach weil es keine Farbe hatte und so interessant wirkte. Es hatte wahrscheinlich lange gedauert sowas hinzubekommen.

„Nicht dein bestes?"
„Definitiv nicht."
„Okay. Interessant. Keine Ahnung was dir daran nicht gefällt, aber egal."

Ich hörte wie die Haustür geöffnet wurde.
Mein Blick glitt zu meiner Digitaluhr.
Heute war ich früher zu Hause als sonst, aber warum würde mein Vater jetzt schon zu Hause sein.
Normalerweise war er erst zum Abendessen oder später zu Hause.
Und selbst wenn er früher Feierabend hatte, wäre er erst zu Hause wenn ich vom Training nach Hause kommen würde. Und bis dahin wäre es noch eine gute halbe Stunde.
Und dann kam noch der ganze Verkehr dazu, der Abends immer zu Staus führte.Vielleicht hab ich mir aber auch nur wieder etwas eingebildet.

„Elias?"
Tatsächlich, er war schon nach Hause gekommen.
„Viktor? Warte kurz, mein Vater ist nach Hause gekommen.",erklärte ich die Situation schnell.
Schnell lief ich zu meiner Zimmertür und sah in den Flur.
„Ja?",fragte ich dann.
Mein Vater kam wieder in den Flur.
Normalerweise trug er eine dunkle Jeans und ein weißes Hemd. Manchmal trug er sogar eine rote Krawatte. Heute nicht. Heute trug er eine helle, lockere Jeans und einen blauen Pullover.
„Du bist schon da?"
Man hörte die deutliche Verwunderung aus seiner Stimme. Sein verwirrter Blick musterte mich von oben nach unten. So als wollte er prüfen ob ich krank war.

„Ja."
Ich musste es ihm wahrscheinlich erklären.
„Das Training war heute kürzer."
„Ah okay."
Mein Vater drehte sich wieder um und verschwand in der Küche.
Ich war froh, dass er keine weiteren Fragen stellte. Denn ich wusste nicht wirklich wie ich antworten sollte. Ich konnte nicht wirklich sagen, dass ich früher zu Hause war, weil ich Mathe lernen musste und es dann nicht einmal tat.

[...]

Es waren einige Stunden vergangen und jetzt saß ich schlussendlich doch an meinem Schreibtisch und versuchte Mathe zu lernen. Und obwohl ich gerade erst Ash erklären musste, dass ich müde war und er mich morgen weiter über unseren Englischunterricht ausfragen konnte, hatte ich YouTube geöffnet und suchte nach hilfreichen Erklärvideos.
Und warum ich meinen besten Freund nicht gefragt hatte war ganz einfach. Er verstand das Thema genauso wenig wie ich. Dabei teilten wir uns nichtmal eine Gehirnzelle.

Grummelnd legte ich meinen Kopf auf mein Matheheft. Ich hatte extra eine neue Seite angefangen und sie war immer noch leer.
Und meine Klebezettel waren immer noch unbeschrieben. Und ich überlegte immer noch einfach aufzugeben.
Meine Motivation war wieder im Keller und es war schon halb elf. Außerdem konnte ich meine Hausaufgaben nicht nochmal vergessen. Oder mir eine dumme Ausrede ausdenken, welche von Mal zu Mal unkreativer wurde. Meine Mathelehrerin war sowieso schon genervt von mir und meinen sarkastischen Kommentaren, wenn ich denn mal etwas zum Unterricht beitrug.
Trotzdem verhielt ich mich immer noch besser als viele andere die ich kannte.

Wie zum Beispiel mein Sitznachbar. Der unlustigste und nervigste Siebzehnjährige, den ich bis jetzt kennenlernen durfte. Jason.
Wenn diese Lehrerin jemanden mehr hasste als mich, war es wahrscheinlich der Blonde. Und man musste bedenken, dass er immer einen Spruch auf Lager hatte. Manchmal beneidete ich ihn dafür, dass er so viele Konter kannte, doch meistens verdrehte ich nur genervt meine Augen.
Vor allem da ich schon öfters einen Spruch abbekommen hatte. Jedesmal war ich so nah, wie meine Finger sich berühren konnte, dran ihm eine reinzuhauen. Direkt gegen seinen Kiefer.
Mit meiner Faust bereit auf ihn einzuschlagen, hielt mich Ash auf. Er saß zu meiner rechten Seite und verhielt sich wie eine Klette.
Fragen über Fragen. Vielleicht ist es weil er mich versucht abzulenken bevor ich austickte. Bevor ich ausraste weil der ganze Raum voller Menschen ist, die wahrscheinlich nie etwas von dem Wort „Ruhe" gehört haben.

Genervt atmete ich auf bevor ich das nächste Video anklickte und nochmal laut und dramatisch seufzte.
Das war wahrscheinlich meine einzige Möglichkeit das Thema auch nur zur Hälfte zu verstehen.

RunningWo Geschichten leben. Entdecke jetzt