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Ich hatte gesehen wie sie gegangen sind. Mich hatten sie nicht bemerkt. Und als ich zu Hause angekommen war, war das das erste was mein Vater mir gesagt hatte.

,,Elias, du hast sie gerade verpasst! Wo bist du so lange gewesen?"

,,Ich war bei Alexis und es hatte länger gedauert als geplant."

Er nickte nur.
,,Willst du noch etwas essen?"

,,Nur etwas kleines."

,,Dann koche ich schnell etwas. Nebenbei kannst du mir ja von etwas erzählen."

Wann hatten wir uns zuletzt einfach unterhalten? Aber ich konnte mich auch nicht daran erinnern, dass er mir jemals zugehört hatte. Aber ich nickte und setzte mich an den Tisch in der Küche.

Zuerst wusste ich nicht wo ich anfangen sollte und dann ergaben sich die Worte fast wie von selbst. Dabei gab es nicht mal so viel zu erzählen. Das meinte ich ernst, was sollte ich schon erzählen?
Sollte ich erzählen wie ich es jeden Tag bereute ins Militär gegangen zu sein und es auf der anderen Seite liebte? Zum Schluss konnte ich es sowieso nicht erklären.

,,Jedenfalls wusste ich, dass die beiden mich früher oder später nerven würden."

Ich wusste, dass mein Vater nicht mochte, wie ich teilweise über Menschen sprach. Aber so war und ist es und er musste damit umgehen.

Dann war er schon fertig mit kochen. Diesmal war es keine Suppe, sondern ein paar Eier. Wenn ich Eier aß, bevorzugte ich sie zum Frühstück, aber ich würde mich nicht beschweren.

Wir redeten eine Weile und ich versuchte ihn dazu zu bringen, mir zu erzählen, worüber sie gesprochen hatten.
,,Und was hast du gemacht, als ich noch bei Alexis war?"

,,Wir haben uns gerade unterhalten und sie sind nach Hause gegangen, nichts Ungewöhnliches."

,,Sie wollten also nicht zum Essen bleiben?", fragte ich.

,,Nein, sie sagten, sie müssten woanders sein." Schade.

,,Worüber habt ihr gesprochen?" Ich wusste, dass er mir nicht antworten würde.

,,Nichts Wichtiges." Aber es war wichtiger als ich.

Wir beendeten das Essen schweigend, ich würde sowieso keine Informationen aus ihm herausbekommen.

Danach ging ich einfach schlafen - ich hatte sowieso keine Energie mehr, um etwas anderes zu tun. Um fünf aufstehen und um zehn oder sogar elf schlafen gehen. Ich würde es definitiv ausnutzen, volle acht Stunden oder noch mehr schlafen zu können.

[...]

Ich war ein paar Mal mitten in der Nacht aufgewacht. Aber ich stand um zehn auf und wollte ausnahmsweise nicht wieder weiter schlafen.

Das erste, was ich tat, war, mir einen Kaffee zu machen. Vielleicht bin ich süchtig danach, aber mein Vater war süchtig nach der Arbeit und wir alle haben Fehler, oder?
Und wenn ich koffeinsüchtig war, dann war mein Vater süchtig nach Arbeit. Ich wusste, beides war wirklich ungesund, also sollte ich wahrscheinlich weniger Kaffee trinken.

Mein Vater war nicht zu Hause, also begegnete ich ihm auf dem Weg in die Küche nicht.
Es war wirklich sehr ruhig, was etwas seltsam war. Ruhe war nicht schlecht, aber seltsam.
Und weil mein Vater nicht zu Hause war, konnte mir niemand sagen, was ich heute machen sollte. Also wartete ich einfach auf einen Anruf oder eine Nachricht oder ein Klopfen an der Tür.

Aber es kam nichts, auch nach einer Stunde, also beschloss ich, die Sache in meine eigenen Hände zu nehmen!

War nur Spaß.

Ich ging in unseren Garten und sah mir die Blumen an, die wir letztes Jahr gepflanzt hatten.
Sie sahen wirklich wunderschön aus und die Art und Weise, wie unser Garten so überwuchert aussah, machte ihn ein bisschen faszinierender.

Ich meine, ich mochte schon immer das Aussehen und das Gefühl von verwachsen Orten und es war einfach unglaublich, selbst einen zu haben.

Ich legte mich tatsächlich ins Gras (obwohl es draußen ziemlich kalt war) und tat so, als wäre ich wieder fünfzehn.
Früher habe ich es geliebt, in die Wolken zu starren und mir die Formen von Tieren und Menschen vorzustellen. Irgendwann war es dann kindisch, aber das war es nie gewesen, es war tatsächlich ziemlich beruhigend - genauso wie als ich gestern in die Sterne geschaut hatte.

Es fühlte sich an, als wäre ich in einem Film oder einem Buch, das so chaotisch war, wie als hätte der Autor keine Ahnung was er gerade tut. Und wenn ich in einem Buch war, hoffte ich, dass es ein Happy-End hatte. Ich wollte in keinem Buch sein, das schlecht endete.
Aber was wäre, wenn ich nur eine Nebenfigur wäre? Vielleicht war das alles Viktors Geschichte und ich hatte einfach das Glück, darin vorkommen zu können.
Ich glaube nicht, dass das so schlecht wäre.
Viktor hatte sein eigenes Buch verdient und ich würde es wahrscheinlich lesen. Es gab nichts, was mich davon abhalten würde, es zu lesen, wenn es existierte.
Ich bin sicher, es wäre wirklich interessant.
Würde ich am Ende noch dabei sein?

Ich schloss meine Augen für ein paar Sekunden, als ich Schritte hörte, die sich mir näherten.
Wenn es ein Mörder war, dann soll es so sein.

,,Ist da oben was interessantes?", hörte ich Viktors Stimme neben mir.

,,Nun, du weißt schon, Wolken und so."

Ich öffne meine Augen und sehe ihn über mich gebeugt stehen. Er hatte ein breites Lächeln auf seinem Gesicht, als würde er sich freuen, mich zu sehen.

,,Entschuldige, dass ich gestern nicht mit dir gesprochen habe."

,,Keine Sorge!" Es war ein paar Sekunden lang still. ,,Soll ich aufstehen?"

,,Nein! Mach dir keine Sorge! Ich komme einfach runter zu dir!", er setzte sich neben mich und stellte mir eine Frage. ,,Hast du darüber nachgedacht, wie es wäre fliegen zu können? Wie ein Vogel?"

Ich sah ein paar Sekunden in den Himmel.
,,Ich habe nie wirklich darüber nachgedacht... Aber ich wünschte, ich könnte es."

,,Warum?"

"Ich weiß nicht. Aber es muss schön sein. Stellen dir vor, du könntest einfach gehen, wann immer du willst, wohin du willst." Er blieb ruhig, also fügte ich hinzu: ,,Meinst du nicht?"

,,Ja.", erwiderte er, aber er schien nicht überzeugt zu sein.

,,Aber ich denke, ich würde ein Mensch bleiben.", führte ich fort, ,,Sicher, als Vogel hätte ich viel mehr Freiheit, aber ich denke, ich würde es bevorzugen, mit dir kommunizieren zu können."

Ich drehte meinen Kopf, um ihn anzusehen, weil er immer noch nicht antwortete.
,,Viktor!"

,,Ich habe gerade an deine Antwort gedacht!", lachte er, ,,Mach dir keine Sorgen."
Er legte sich hin.
,,Ich wollte schon immer ein Vogel sein, um die Welt von oben zu sehen, aber du erzählst mir vom Abhauen? Ich glaube nicht, dass es mir etwas ausmachen würde, mit dir wegzulaufen."

Ich konnte fühlen, wie mir warm ums Herz wurde.
,,Im Ernst?"

,,Ja... Stimmt! Ich habe dir gesagt, ich würde mit dir irgendwo hingehen! Erinnerst du dich? Lass uns jetzt einen Ausflug machen!"
Plötzlich war er wieder auf seinen Beinen und streckte seine Hand aus.
,,Jetzt?"

,,Natürlich! Hast du Angst?"

,,Vor der Planung."

,,Mach dir keine Sorgen! Ich war überall in dieser Umgebung, also weiß ich genau, was wir an einem Tag tun können!", er streckte glücklich seine Hande in den Himmel. ,,Wenn ich dich mitnehmen darf."

Ich richtete mich auf.
Das ist eine einmalige Gelegenheit. Wir könnten so viel Spaß auf dieser Reise haben und würden uns wieder näher kommen. Vielleicht sogar noch näher als davor... und das ist der Plan, oder? Und worüber sie gestern gesprochen haben, ist vielleicht nicht einmal mehr wichtig!

,,Okay, ich komme mit! Zuerst muss ich aber frühstücken."

RunningWo Geschichten leben. Entdecke jetzt