„Soll ich dir eine Geschichte erzählen?", fragte Viktor nach einigen Minuten Stille.
„Ich dachte du wärst eingeschlafen.", murmelte ich, bevor ich mich darauf bezog was er eigentlich gesagt hatte, „Eine Gutenachtgeschichte?"
„Ja, die hat mir meine Mutter damals erzählt."
„Okay."Er räusperte sich leise.
„Vor langer, langer Zeit, in einem Land das heute nicht mehr existiert, lebte eine Königsfamilie.", fing er leise seine Geschichte an. Ich schloss langsam meine Augen. „Das Königreich, welches unter ihrem Schutz stand, herrschte im unendlichem Frieden. Keiner wagte es, sie anzugreifen. Doch in einer kühlen Sommernacht, als der Prinz- der Älteste von drei Schwestern- sich wieder rausgeschlichen hatte und durch die leeren Straßen des nahegelegenen Dorfes lief, sollte sich alles ändern. Denn er kehrte nicht zurück, nicht nach einer Woche, nicht nach einem Monat, nichtmal nach einem Jahr. Obwohl der König und die Königin versuchten ihr Volk ruhig zu halten, brach eine Hysterie aus. Wer hatte den Prinzen entführt? Und würden die Entführer es wieder tun?"
Er stoppte und senkte seine Stimme.
„Das Königreich, welches für Jahrzehnte hätte stehen können, ging unter durch eine innere Unruhe des Volks und nicht durch einen großen Krieg gegen die Götter. Und als die Eltern, Jahre später zu dem heruntergekommenen Schloss zurückkamen, sahen sie ihren Sohn, seine Frau und ihre vier Kinder, benannt nach jeweils ihren Großeltern, in den Trümmern stehen und den Schaden betrachtend. Der Sohn war weggelaufen, um ein Leben mit seiner Geliebten anzufangen, die leider keine Prinzessin war und er sie somit nicht heiraten durfte. Er hatte gesehen wie das Königreich untergegangen war und ist zurückgekommen, um es wieder aufzubauen. Und man sagt, dass trotz dessen, dass es dieses Königreich nicht mehr gibt und sie es nicht geschafft hatten, es stabil wieder aufzubauen, dass sie ein glückliches Leben geführt haben. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute."Stille.
„Bisschen brutal, findest du nicht?"
„Nein?"
„War nur Spaß. Ich kann mich an keine Gutenachtgeschichte erinnern, falls ich je eine gehört hatte."
„Ja, du hast mal gesagt, dass du oft alleine warst.", murmelte er, „Hat dir das nicht zugesetzt?"Stille.
„Etwas. Ich mein, warum sollte ich das beurteilen?"
Stille.
„Ich war ein Kind, was hätte ich tun sollen? Es hat mich die meiste Zeit nicht gestört, bis es mich irgendwann doch gestört hat.", erklärte ich langsam während mir schwer ums Herz wurde, „Zurückgehen kann ich sowieso nicht, also werde ich einfach damit leben müssen."Stille.
„Manchmal verstehe ich dich nicht.", meinte er dann flüsternd, „Und deine Eltern versteh ich auch nicht. Wie konnten sie dich alleine lassen und warum bist du okay damit?"Ich setzte mich mit einem Mal auf und stand auf.
„Ich hatte keine Wahl."
Ich öffnete langsam meinen Schrank, zog mir einen Hoodie über und lief leise aus meinen Raum in dem Flur, wo ich meine Schuhe anzog und meine Schlüssel nahm.„Wohin gehst du?", fragte er leicht besorgt.
„Raus."
Ich verschloss die Tür hinter mir und lief los. Ich wusste noch nicht wohin ich wollte, aber ich wollte irgendwo hin. Meine Beine vertreten, frische Luft schnappen, vielleicht endlich müde werden.
„Aber es ist doch gefährlich draußen, was wenn dir etwas passiert?" Seine Stimme klang noch besorgter als davor. Wie viele Sorgen kann sich jemand um jemanden machen? Und warum?
„Ich hab nicht gesagt, dass ich auflege.",versicherte ich ihm als ein Auto an mir vorbeifuhr.„Hab ich etwas falsches gesagt?",fragte er dann schuldbewusst, „Wenn ja, tut mir leid."
„Nein, keine Sorge. Ich hab nur nie darüber nachgedacht."
„Dann tut es mir trotzdem leid."
„Nein, nein. Mir geht's wirklich gut.", ich zögerte für einige Sekunden, die sich viel länger anfühlten, als sie es sollten, „Du hast ja recht. Ich sollte damit nicht okay sein. Mir fehlt wahrscheinlich einfach nur der Teil des Gehirns, der die guten Gefühle steuert."
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Running
Teen FictionIn einem einfachen Café, in einer einfachen Stadt, an einem einfachen Tag, trafen sie aufeinander. Er war sehr introvertiert, es war schon ein Wunder gewesen, als er alleine in einem überfüllten Café saß und einem sehr extrovertiert, zudem noch frem...