MEROWEN
Mit einem tiefen Seufzen klappte ich das Buch zu und setzte mich in meinem Bett auf. Draußen regnete es in Strömen und ich langweilte mich zu Tode.
Ich war seit gut einer Woche am Herbsthof und seit jenem ersten Tag hatte ich keine weitere Unterrichtsstunde in Magie bekommen. Eris hatte mir schriftlich mitteilen lassen, dass er einige Tage auf Geheiß des High Lords in Pythian unterwegs sein würde und Nesta hatte sich schlichtweg geweigert, mit mir zu trainieren, solange ich noch schwach auf den Beinen war.
Auch Cassian war in dieser Hinsicht stur geblieben; er war einfach zu besorgt, seit er meine Verwandlung selbst mit angesehen hatte. Und dennoch hatte er instinktiv gewusst, was zu tun war. Meine Wangen wurden heiß, als ich daran dachte, wie sich seine Hände auf meinem Rücken angefühlt hatten.
Sogar Evaline war schon im Morgengrauen verschwunden; sie wollte den Hof einige Tage verlassen, um spezielle Zutaten in den illyrianischen Bergen zu sammeln; Elia begleitete sie.
Kurzum: es war niemand in der Nähe, der mir etwas verbieten würde. Ich konnte mich also gefahrlos ein wenig im Schloss umsehen. Mit einem aufgeregten Kribbeln im Bauch warf ich mir einen Kapuzenumhang über und trat hinaus auf den Flur.
Weit und breit war niemand zu sehen. Perfekt. Ich grinste. Leise zog ich die Türe hinter mir ins Schloss und begann mit meiner Erkundung.
Einige Zeit späte rannte ich durch den Regen auf eine überdachte Vorhalle zu. Ich hatte mich zwar wieder verlaufen, war dieses Mal jedoch mit dem Ergebnis ziemlich zufrieden. Es war Balsam für meine Seele, den unterirdischen Gängen eine Weile entfliehen zu können.
Heftig atmend wrang ich meine nassen Haare aus und blickte mich um. Ich stand unter einer steinernen Kuppel, die zu einem Turm führte. Dieser ragte zwischen einigen Erdwällen düster in den Himmel und wirkte gleichzeitig seltsam verloren in der eintönigen Umgebung. Ich hatte keine Ahnung wo genau ich mich befand, wusste allerdings, dass der High Lord seine Gemächer unter der Erde hatte. Deshalb schien es mir keine schlechte Idee, mich etwas umzusehen.
Vorsichtig drückte ich die Türe des Turms auf und schlüpfte hinein. Dabei tastete ich kurz nach dem Dolch in meinem Mieder. Man konnte nie sicher genug sein.
Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, aber das ganz sicher nicht. Bisher hatte sich der Herbsthof als einziges Ärgernis erwiesen und obwohl ich von den Schönheiten dieses Hofes gehört hatte, war ich bisher kaum überzeugt gewesen, ihm je etwas Gutes abgewinnen zu können.
Doch die Atmosphäre, die mich im Inneren des Turms erwartete, war eine gänzlich andere als die, die in den mir bisher bekannten Teilen des Herbsthofes herrschte. Die Luft war mild und roch fantastisch nach Lavendel und Kräutern; sie war erfüllt mit leisem Vogelgezwitscher und dem Wispern der Bäume. Und diese waren überall. In schillernden Rot, Gelb- und Grüntönen erstrahlten sie im Untergeschoss und säumten sogar die goldene Treppe, die sich spiralförmig nach oben wand.
Langsam schritt ich die Wendeltreppe hinauf und saugte dabei jedes Detail in mich auf. Ich fühlte mich so ruhig wie seit langem nicht mehr; mein Körper schien vor Energie geradezu zu vibrieren.
Ich kam vor einer schweren Türe aus dunklem Holz zum stehen.
Wer wohnte hier eigentlich? Durfte ich einfach eintreten oder sollte ich lieber Höflichkeit wahren?
Zaghaft klopfte ich an. Mein Puls ging schneller und ich betete, dass hier nicht doch der High Lord oder einer seiner Vertrauten wohnte.
"Herein!", befahl eine leise Stimme, die ich als die einer Frau erkannte.
![](https://img.wattpad.com/cover/226689553-288-k623544.jpg)
DU LIEST GERADE
Tales of Wings and Fire (ACOTAR fanfiction)
FantasyDie Illyrianerin Merowen wurde als Kind in den Bergen ausgesetzt und lebt seitdem in Camp Windhaven. Sie hat es dort trotz ihrer herausragenden kämpferischen Fähigkeiten als Halbblut und Frau nicht leicht. Doch schon bald sind seltsame Mächte in Win...