Kapitel vierzehn

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CASSIAN

Cassian eilte die unterirdischen Flure des Herbsthofes entlang und hielt Merowen dabei fest an seinen Oberkörper gedrückt. Ihr Atem ging inzwischen gleichmäßig, sie war eingeschlafen. Ihr Kopf ruhte sanft auf seiner Brust, sodass der angenehm zimtige Duft ihrer Haare ihn in der Nase kitzelte.

Nachdenklich sah Cassian auf sie herab. Sie wirkte so unschuldig und wehrlos in seinen Armen. Er lächelte. Das war wohl ihr größter Vorteil: dass alle sie aufgrund ihres Aussehens unterschätzten.


Ohne Vorwarnung begann die Illyrianerin, sich in seinen Armen hin und her zu werfen. Sie schien Schmerzen zu haben. Anstatt anzuhalten, verstärkte Cassian seinen Griff und begann Richtung Merowens Unterkunft zu rennen. Er hatte keine Ahnung, was das plötzlich veränderte Verhalten bei ihr hervorrief; hoffte allerdings, Evaline könnte helfen. Merowen schien der älteren Fae blind zu vertrauen, weshalb er es auch tat.

Im Zimmer der Illyrianerin angekommen, fand Cassian jedoch keine Spur der Heilerin. 

Zur Hölle, wo war die Fae bloß, wenn man sie brauchte?! Er wollte sich gerade auf die Suche nach ihr machen, da ließ ihn ein erstickter Schrei von Merowen herumfahren. Er hatte sie auf dem Bett abgelegt, doch sie wältzte sich vor Schmerzen hin und her. 

Er lief zu ihr und sah, dass sie ihn mit fiebrigen Augen anblickte.

"Hilf mir...", keuchte sie. 

Da sah er die Federn an ihrem Rücken. Bei allen High Lords, wie hatte er nur so dämlich sein können.

Mit schnellen Griffen drehte er die rothaarige Fae auf den Bauch und begann sanft, ihre Rückenmuskeln zu massieren. Er wusste aus eigener Erfahrung, dass diese Prozedur half, wenn die Flügel zu schnell wuchsen. Augenblicklich ging ihr Atem leichter, nur ab und zu wimmerte sie noch leise. Fasziniert starrte Cassian ihren Rücken an.

In Zeitlupe schoben sich daraus zwei blütenweiße Flügel hervor, die sich langsam entfalteten und nach ein paar Minuten so groß wie die Illyrianerin selbst waren. Er hatte noch nie so helle und wunderschöne Flügel gesehen. 

Vorsichtig streckte er die Hand aus, um an der Kante der Flügel entlang zu streichen. Bevor er die weichen Federn jedoch berühren konnte, packte Merowen sein Handgelenk. Dafür, dass sie sich vor kurzem noch kaum bewegen konnte, war ihr Griff erstaunlich fest.

"Wehe du berührst meine Flügel.", zischte sie und warf ihm einen warnenden Blick zu.

Beschwichtigend hob Cassian seine Hände. 

"Alles gut, ich wollte dich nicht verärgern." Er hätte sich ohrfeigen können. Wie kam er auf den Gedanken, sie anzufassen? Jedes kleine Kind wusste, dass die Flügel von Illyrianern extrem empfindsam waren. Auch er vermied es, sie von anderen berühren zu lassen; selbst wenn er mit Frauen sein Bett teilte.

Erst jetzt schien Merowen zu bemerken, dass ihr Oberteil durch das plötzliche Wachsen ihrer Flügel fast vollständig zerfetzt worden war. Sie warf Cassian einen weiteren missmutigen Blick zu.

"Kannst du mir vielleicht..", sie wedelte mit einer ihrer kleinen Hände in der Luft herum, was ihn fast wieder zum Lachen brachte, "..eine Decke oder so bringen?"

Schnell stand Cassian auf, holte ein großes Handtuch aus dem angrenzenden Badezimmer und legte es Merowen vorsichtig um den Körper; peinlich darauf bedacht, keinen Kontakt mit ihren Flügeln herzustellen. 

Stöhnend setzte sich die Fae auf und rieb sich den Kopf.

"Was ist passiert?", fragte sie dann.

"Wir hatten gerade das Schloss betreten, da hast du auf einmal eine Art Anfall bekommen." Cassian schaute sie ernst an. "Hast du noch Schmerzen?"

Merowen verdrehte nur die Augen und strich sich entnervt eine Haarlocke aus dem verschwitzen Gesicht.

"Nein, es geht wieder, danke. Dieses Mal war es schlimmer als sonst, das liegt vermutlich daran, dass ich Magie verwendet habe und mein Körper sich noch nicht daran gewöhnt hat.", antwortete sie.

Das ergab Sinn. Aber auch so.. 

"Passiert dir das jede Nacht?", hakte Cassian vorsichtig nach.

Die Fae zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. "Ja, aber ich bin es nicht anders gewohnt; normalerweise spüre ich die Wandlung nicht einmal wirklich. Du brauchst also kein Mitleid mit mir zu haben." Sie grinste ihm schwach zu.


In diesem Moment flog die Türe auf und Evaline kam hereingestürmt. Sie scheuchte Cassian zur Seite und nahm voller Sorge Merowens Hände in die ihren.

"Kind, was machst du denn! Lass mich dir eine Salbe auf den Rücken auftragen und etwas Tee bereiten, dann schläfst du wenigstens ohne Schmerzen." Nun warf die ältere Fae Cassian einen pikierten Seitenblick zu.


"Was macht Ihr noch hier, Hauptmann? Raus, ich muss sie verarzten!" Ehe er es sich versah, befand er sich draußen im Flur, die Türe schlug direkt vor seiner Nase zu. Da er hier offensichtlich nicht mehr gebraucht wurde, trat Cassian den Rückweg an.

Das Gespräch mit Merowen über die Stimme in seinem Kopf musste er wohl auf ein anderes Mal verschieben.

Tales of Wings and Fire (ACOTAR fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt