Kapitel zweiunddreißig: Endspiel

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MEROWEN

Adrenalin und Panik durchzuckten mich heiß und kalt, als mir die ganze schreckliche Wahrheit dämmerte. Elia hatte mich hintergangen. Das wusste auch mein schmerzendes Herz; als hätte es die Veränderung der Illyrianerin bereits gespürt. Seit sie im Krieg gegen Hybern gekämpft hatte, war sie mir Stück für Stück immer fremder geworden.
Ich erinnerte mich an das Menschenblut, das ich vor Monden während der Jagd in den Bergen gerochen hatte; jemand musste einen Menschen geopfert haben, um den Mantikor zu mir zu locken. 

Die meisten legendären Ungeheuer waren Karnivoren und aus alten Zeiten noch Menschenopfer gewohnt. Seit Verbot solch barbarischen Rituale waren diese jedoch kaum mehr erbracht worden, die Lebewesen dieser Welt hatten sich mit ihrer Magie unabhängig gemacht und konnten sich nun aus eigener Kraft gegen die Monster verteidigen. Für Ungeheuer dadurch selten gewordenes Menschenfleisch und -blut war deshalb die einzige Möglichkeit, ein in der Wüste heimisches Ungeheuer in die illyrianischen Berge zu locken.

Weitere Momente tauchten vor meinem inneren Auge auf. Elias merkwürdiges Verhalten, nachdem sie mich am Tag der Wintersonnenwende mit Cassian erwischt hatte. Auch an diesem Tag hatte sie nach Menschenblut gerochen, wie mir erst jetzt bewusst wurde. Ich war damals zu betrunken gewesen, um den Geruch einzuordnen. Sie musste den Mantikor an diesem Tag in die Arena gebracht haben.

Auch der Tag in der Bibliothek kam mir rückblickend seltsam vor. Nachdem ich durch das Feuer gegangen war, hatte ich sie nicht mehr gesehen. Was hatte sie also im allgemeinen Teil der Bibliothek gewollt?

Ein Gedanke von Cassian gab mir die Antwort. Von Evaline wusste er, dass Elia diejenige gewesen war, die das Gift, das ich in meiner zweiten Prüfung dem Fenris verabreicht hatte, hergestellt und mir gegeben hatte. Um einer Strafe zu entgehen hatte Elia dies dann Evaline angehängt. Sie musste in der Bibliothek nach der Herstellung des Giftes gesucht haben. Heiße Wut stieg in mir auf. Sie hatte dafür gesorgt, dass Evaline starb.

Doch warum? Warum tat Elia so etwas? Warum stand sie auf einmal auf der Seite eines Tyrannen? Ich kannte sie fast mein ganzes Leben lang, seit meinem ersten Tag im Lager vor mehr als 10 Jahren waren wir unzertrennlich gewesen. War etwas mit ihr passiert, als sie an der Front war?


Elia verstärkte den Druck der Klinge an meinem Hals und das dünne Rinnsal Blut, das warm meinen Hals hinablief, katapultierte mich in die unangenehme Gegenwart zurück. 

Ein Grollen von Cassian rollte durch den Saal. Aus der Ecke, in der er kämpfte, ertönten laute Schreie und ich spürte seine Wut über das Band zu mir hinüberfließen.

-Wenn sie dir wehtut...

Alles okay Cas, ich kann mich sehr gut selbst verteidigen.

Vorsichtig ließ ich meine Hand freie Hand nach oben Richtung Hals wandern. 

"Elia, warum tust du das?", richtete ich hastig mein Wort an die Illyrianerin, als sich die Klinge daraufhin eine Spur schärfer in meine Kehle bohrte.

"Hör auf zu reden und wirf endlich deinen Dolch weg!", befahl sie mir nur. Dieser kurze Moment reichte. Mit einer Fingerspitze berührte ich die Klinge und schickte so viel Feuermagie wie möglich hinein. Mit einem Aufschrei ließ Elia ihre Waffe fallen und sprang zurück, während ich eilig einige Meter Abstand zwischen uns brachte.

"Das wirst du bereuen.", zischte Elia; ihr Gesicht zu einer unmenschlichen Fratze verzogen und ihre Augen kalt wie der Schnee in den illyrianischen Bergen. Das Wesen, das mir gegenüber stand, hatte kaum mehr Ähnlichkeit mit meiner einst so sanften Freundin.

Beide nahmen wir die Waffe eines Gefallenen an uns und fingen an, uns zu umkreisen. Ich vergaß alles um mich herum; der Kampflärm trat in den Hintergrund. Fast fühlte es sich an, als wären wir wieder in Windhaven, früh morgens auf dem Trainingsplatz, um noch vor allen Männern ungestört trainieren zu können. Ich hatte diese Morgenstunden mit Elia immer geliebt. Heute war keiner dieser sorglosen Tage. Wir kämpften auf unterschiedlichen Seiten und ich wusste nicht, ob ich sie am Leben lassen konnte.

Tales of Wings and Fire (ACOTAR fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt