Kapitel acht: Nesta

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MEROWEN

Missmutig stapfte ich durch den tiefen Schnee Richtung Wald. Schwert und Bogen hatte ich um meinen Rücken geschnallt; mein Mantel hielt jedoch nur dürftig die Kälte ab. Ich sog die kalte Winterluft in meine Lungen und genoss das Gefühl der Klarheit, das daraufhin meinen Kopf erfüllte.

Ich war auf dem Weg zu einem der weiter vom Lager entfernten Trainingsplätze, um Cassian und Nesta zu treffen. Nesta Archaeron. Alleine der Gedanke an sie ließ mich verächtlich schnauben. Ich wusste nicht, was Cassian genau von mir erwartete, aber sein kurzer Befehl, in Form eines Briefes auf meinem Bett liegend, hatte mich heute morgen fast zur Weißglut gebracht. "Trainiere die Archaeron." Trainiere die Archaeron? Unhöflicher ging es ja wohl kaum.

Und wie zur Hölle sollte ich einer verzogenen Fae, die in ihrem ganzen Leben noch nichts anderes getan hatte, als Mensch zu sein, den Umgang mit Waffen lehren? Selbst wir Illyrianer, die für den Kampf geboren waren, mussten schon als Kinder mit dem Training beginnen. Und jetzt sollte eine neugeborene Fae es in einigen Monaten meistern? Noch dazu war ich nicht sonderlich für meine Geduld bekannt. 

Ich trat an den letzten Bäumen vorbei und entdeckte Cassian und Nesta neben einem niedrigen Felsen. Sie standen eng beisammen, während Cassian ihre Hände hielt und eindringlich auf die Fae einredete. Ich konnte aus dieser Entfernung nichts hören, beschloss aber dem Ganzen ein Ende zu setzen. Das konnte man ja nicht mit ansehen. "Ich bin da, Hauptmann."

Meine Stimme schallte über die Lichtung und ließ Nesta erschrocken zusammenzucken. Mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht kam ich näher, während die beiden eilig voneinander abrückten. 

"Du bist zu spät.", kam es von Cassian. Ich verdrehte innerlich die Augen. War es unserem Hauptmann etwa peinlich, dass ich die beiden erwischt hatte? Bei den heiligen Lords, im Camp hatte ich schon weitaus  Interessanteres gesehen. 

"Der Schnee hat mich aufgehalten. Ohne Flügel ist das nicht ganz so einfach.", erwiderte ich schnippisch. 

Vielleicht etwas zu schnippisch, wie mir ein Blick auf Cassians Miene verriet. "Es kommt nicht wieder vor.", setzte ich deshalb schnell hinterher und zwang ein Lächeln auf meine Lippen. 

"Cassian, ich habe keine Lust zu trainieren, erst recht nicht mit ihr.", beschwerte sich Nesta.

"Ich bin auch nicht sonderlich erfreut.", gab ich spitz zurück. Die Fae funkelte mich erbost an. Das lief ja super. Ich war kaum zwei Minuten hier und war bereits kurz davor, meiner Schülerin den Hals umzudrehen.  

"Ihr beide könnt aufhören. Auch, wenn ich Ladys gerne um mich streiten sehe, werdet ihr heute etwas lernen.", unterbrach uns Cassian.

Nesta stöhnte entnervt auf und ich seufzte nur. Als ob es hier um ihn ging.

"Ich werde eure Ausdauer testen. Ihr werdet laufen, und zwar bis zum anderen Ende des Sees dort." Er deutete auf einen frostig glitzernden See am Fuße des Berges, der mindestens 80 Kilometer entfernt war. Nesta wirbelte zu ihm herum. 

"Das ist nicht dein Ernst Cassian!", fauchte sie ihn an. Mit Genugtuung bemerkte ich eine Spur Angst in ihrer sonst so vor Arroganz triefenden Stimme.

"Oh doch, Prinzessin, es war mir nie ernster.", stellte der Illyrianer mit einem grimmigen Lächeln fest. "Und ihr werdet erst nach Windhaven zurückkehren, wenn ihr die Aufgabe erledigt habt."

Wir Glücklichen. Anscheinend hatten wir in ihm unseren Foltermeister gefunden.

Um keine weitere wertvolle Zeit zu verschwenden, löste ich die Spange meines schweren Mantels und ließ diesen neben meinen Waffen zu Boden gleiten. Dann drehte ich mich um und rannte los. Nach einigen Metern hörte ich federnde Schritte hinter mir und Nesta erschien kommentarlos an meiner Seite. Sie hatte ihr Kinn nach oben gereckt und ignorierte mich. Auch ich hatte kein Bedürfnis, mit ihr Konversation zu betreiben, sodass wir die ersten Kilometer schweigend zurücklegten.

Anfangs kamen wir schnell voran, es ging hauptsächlich bergab. Im Tal angekommen wurde es beschwerlicher: hier lag knöchelhoher Schnee und unser Körper ließ uns die  bereits gelaufene Strecke spüren. Meine Ausdauer war gut, dennoch bemerkte selbst ich nach knapp einem Drittel des Weges erste Anzeichen von Erschöpfung. Ich warf Nesta einen Seitenblick zu. Ihr musste es noch schlechter ergehen. Bis auf ihr angestrengtes Keuchen merkte man ihr allerdings nichts an. Sie hatte sich mit keinem Ton beklagt und widerwillig musste ich ihr dafür Respekt zollen.

Wir ließen die letzten Baumwipfel hinter uns, als Nesta das Wort an mich richtete. 

"Ich weiß, was für einen Ruf ich habe. Aber nicht alles, was die Leute sagen, ist wahr."

Ich stolperte über einen Stein, den ich durch die Schneedecke nicht gesehen hatte. Fluchend holte ich wieder zu ihr auf. "Was meint Ihr?", fragte ich überrascht. Ich hatte nicht damit gerechnet, von Nesta etwas anderes als Verachtung zu spüren zu bekommen.

"Die Leute.. mögen mich nicht.", begann Nesta.

"Nun ja, Ihr seid..", setzte ich an.

"Es ist eine Tatsache, keine Frage.", schnitt mir die Fae  mit einer ungeduldigen Handbewegung das Wort ab.

Ich schwieg und konzentrierte mich darauf, gleichmäßig zu atmen. In der Ferne sah ich  bereits das Eisblau des Sees, wir hatten mehr als die Hälfte des Weges geschafft.

Nach einigen Minuten des Schweigens redete Nesta weiter.

"Ich war nicht immer so..", sie suchte nach Worten.

"Kalt?", half ich ihr weiter. Sie warf mir einen missmutigen Seitenblick zu, dann zuckten ihre Mundwinkel. "Das ist vermutlich das Wort, das mich am besten beschreibt, ja."

Sie schwieg erneut. Ich wusste nicht genau, warum sie mir all das erzählte, aber ein Teil von mir hatte Mitleid. Ich kannte das Gefühl der Einsamkeit nur zu gut und auch wie es war, ein Außenseiter zu sein. Ich war zwar Illyrianerin, aber wirkliche Anerkennung hatte ich dennoch nie erhalten. Das lag zum einen daran, dass ich eine Frau, zum anderen daran, dass ich anders war. Den Gerüchten zufolge war Nesta gefühlskalt und mächtig, aber stimmte das? Sie musste sich alleine fühlen, als High Fae unter Illyrianern.

In Gedanken versunken bemerkte ich die Oberfläche des Sees erst, als ich beinahe mein Gleichgewicht verlor. Schlitternd und mit den Armen rudernd kam ich ein weites Stück Richtung Mitte des Sees zum stehen. Zum Glück war dieser so stark vereist, dass das Eis mein Gewicht trug. Vorsichtig tastete ich mich zurück zum Ufer, wo Nesta stehen geblieben war.



Kaum war ich angekommen, landete auch schon Cassian zwischen uns. "Mehr als vier Stunden, das ist definitiv zu langsam Ladys.", verkündete er und faltete seine riesigen Flügel hinter seinem Rücken zusammen.

"Dann lauf die Strecke doch selber, wenn du es besser kannst.", gab Nesta nur zurück und ich musste ein Lachen unterdrücken. Schlagfertig war sie, das musste man ihr lassen.

"Hört auf, Ausreden zu suchen, wir fliegen zurück.", entgegnete Cassian nur trocken. Dann drehte er sich zu mir um. "Kannst du selbst fliegen oder soll..", hierbei streckte er in gespielter Ritterlichkeit seine Hand aus "..ich der werten Dame helfen?"

Nesta schnaubte nur. "Spar dir die Höflichkeit Cassian, das nimmt dir eh keiner ab. Dazu müsstest du dir erstmal neue Sprüche ausdenken, die noch nicht jede Frau im Lager gehört hat."

Ich hatte tatsächlich kurz mit dem Gedanken gespielt, mit Cassian und Nesta gemeinsam zu fliegen, doch die Lust verging mir schlagartig.  

"Schon gut, ich komme alleine zurecht. Die Sonne geht bald unter, dann kann ich selbst fliegen." Ich deutete auf das Abendglühen hinter den Bergen, dass den Sonnenuntergang ankündigte. 

Etwas blitze kurz in Cassians Augen auf, wurde jedoch sofort durch ein lässiges Grinsen ersetzt. Ich musste es mir eingebildet haben.

"Wer nicht will, der hat schon.", meinte er schulterzuckend. Dann drehte er sich um und legte einen Arm um Nestas Taille. Dieser Anblick versetzte mir einen Stich. Als die beiden verschwunden waren und die ersten Sterne am Himmel erschienen, spürte ich meine Flügel wachsen. Endlich, ich konnte mich auf den Rückweg machen. Mit einem beklemmenden Gefühl im Bauch schwang ich mich in die Luft.


Hätte ich in diesem Moment zurückgeblickt, wäre mir der dunkle Schatten nicht entgangen, der sich deutlich unter dem Eis des Sees abzeichnete.

Tales of Wings and Fire (ACOTAR fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt