Kapitel sechsundzwanzig: Ein Blick in die Zukunft

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MEROWEN

Sofort umfing mich der modrige Geruch nach altem Gestein und abgestandener Luft. In der Ferne hörte ich ein leises Plätschern, es musste irgendwo hier unten einen unterirdischen Fluss geben. Der Weg zur Höhle des Fenris war nicht zu verfehlen: ein zwanzig Fuß hoher und beinahe doppelt so breiter Tunnel zog sich weit in die Finsternis. Ich ließ einen kleinen Feuerball in meiner Hand aufflammen und begann, tiefer in die Höhle vorzudringen.

Eris' Training sei Dank habe ich hier unten zumindest etwas Licht.

Der flackernde Schein des Feuers malte Schatten an die zerklüfteten Felswände; hier und da sah ich graugrüne Flechten und Wasser, das zwischen dem Moos den Stein hinabrann. Den Boden sah ich mir lieber nicht genauer an; vermutlich wimmelte es dort von Ungeziefer.

Meine Schritte hallten unheimlich laut von den Wänden wieder; erschrocken blieb ich stehen. Wenn ich so weitermachte, konnte ich mich dem Fenris auch gleich zum Dessert anbieten, so deutlich würde er mich kommen hören. Kurz wägte ich meine Möglichkeiten ab. Entweder ich ging weiter und hielt alle paar Meter an, um zu überprüfen, ob ich bemerkt worden war, oder.. ich lief barfuß weiter.

Wenn das hier vorbei ist, wird ein ganz bestimmter High Lord mit meinem Lieblingsschwert ein paar Köpfe kürzer gemacht.


Nur widerstrebend löste ich die Schnallen meiner Stiefel und zog diese aus. Meine nackten Füße trafen auf kalten Fels und etwas Weiches krabbelte über meinen rechten Zeh. Ich unterdrückte einen Aufschrei; vor Ekel breitete sich eine Gänsehaut über meinen gesamten Körper aus. Doch es half nichts; ich musste einfach weiterlaufen.

In Gedanken flehte ich bereits alle sieben High Lords an, den felsigen Untergrund nicht plötzlich in Erde übergehen zu lassen, als ich auch schon mit einem platschenden Geräusch in etwas nasses, schleimiges trat. Sofort schlug mir ein ekelerregender Geruch nach verfaultem Fleisch und Galle entgegen.

Bitte lass das nicht den Mageninhalt dieses Monsters sein.


Ohne genauer hinzusehen, setzte ich meinen linken Fuß in einem großen Schritt nach vorne und zog den anderen nach; mit einem lauten Schmatzen löste er sich aus der undefinierbaren Pfütze am Boden. Mittlerweile musste ich stinken wie eine einzige Kloake; ein Wunder, dass mich der Fenris noch nicht gerochen hatte.

Ich konzentrierte mich wieder auf den Weg; mit einer Hand leuchtete ich voran; die andere hielt die Phiole in meiner Hemdtasche fest umklammert. Der Tunnel wurde immer breiter, bis er schließlich in einer Höhle mündete, deren hohe Decke im Dunkeln kaum erkennbar war.



Ein lautes Schnaufen ließ mich mitten in der Bewegung erstarren. In einer Ecke links hinter mir lag der Fenris. Mucksmäuschenstill verharrte ich einige Sekunden, dann drehte ich mich langsam um. Schemenhaft erkannte ich eine massige Gestalt, die von weißem Fell bedeckt war. Anhand der tiefen Atemzüge erkannte ich bald, dass das Tier schlief; ich hatte nicht vor, das zu ändern.

So leise wie möglich schlich ich näher, immer darauf bedacht, möglichst kein Geräusch zu verursachen. Dann trat mein rechter Fuß auf einen großen Knochen. Mit einem lauten Knacken, das wie ein Peitschenschuss durch die weitläufige Höhle hallte, brach er unter meiner Sohle in zwei Teile.

Panisch beobachtete ich den Fenris. Seine Schnauze zuckte, dann öffnete sich langsam ein Auge.



Knurrend sprang das Tier auf und fletschte die Zähne. Ich wich einige Schritte zurück und machte mich bereit, auszuweichen. Doch der Fenris blieb, wo er war; seine beiden Augen fixierten misstrauisch die Hand in meiner Tasche.

Tales of Wings and Fire (ACOTAR fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt