Kapitel 7.3: Todesspiel

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Ihr werdet wegen Beihilfe des Hochverrats beschuldigt. Die Worte des Ritters hallten in Naels Kopf wie ein Echo nach. Doch statt in der Ferne zu verklingen, wurde es immer gegenwärtiger und vermischte sich mit seinem wild pochendem Herzschlag zu einem schleimigen Brei, der seine Sinne benebelte. Er musste sogleich antworten, unverzüglich, ansonsten wäre seine letzte Gelegenheit auf eine möglich Rettung allerweil unter dem tiefen Schutt der Hoffnungslosigkeit begraben. Für einige Sekunde schwärzte sich seine Sicht und plötzlich fühlte sich sein Kopf leer an. Er schloss die Augen, dachte fieberhaft nach. Versuchte nach den letzten Gedankenfetzen zu greifen, die seinen dünnen Fingern entglitten.

Ahnungslos. Hilflos. Mutlos.

Diese drei Worte kamen dem Heilerlehring als erstes in den Sinn. Keineswegs nützlich für eine praktikable Lösung. Lösung, dachte er. Nur noch ein Pelitad, ein Wunder, könnte ihn retten. Die Schatten erhoben sich. Der letzte Lichtblick schien Meilen entfernt.

Der Schock musste ihm ins Gesicht geschrieben sein, denn Sir Cedric meinte nur mit dem unverkennbaren, verächtlichem Unterton: „Offenkundig habt Ihr nichts mehr vorzubringen. Ergreift ihn!"
Mit diesen Worten wandte sich der Ritter ab. Mit diesen Worten brach Naels Welt zusammen.

Wie befohlen traten zwei stämmige Ritter aus den Reihen, liefen zielstrebig auf den Lehrling zu, fixierten ihn mit ihren eisernen Augen. Er starrte die Krieger an, Panik umklammerte sein Herz. Sein Innerstes schrie, sträubte sich gegen die Erkenntnis.

Sie näherten sich.
Nein.
Wie eine Mauer.
Nein.
Unüberwindbar.
Nein!

»Sperrt ihn ein!« Wer sagte das? Nael reckte den Kopf zu allen Seiten. Keine Ahnung, egal. Lass dir was einfallen! Schnell! Aber was? Zu spät. Schon flankierten ihn die zwei Ritter. Einer von ihnen legte dem wie vor Schreck versteinerten Lehrling Handfesseln aus kalten Metallreifen an, die seine dünnen Handgelenke umgriffen und mit einer kurzen Eisenkette miteinander verbunden waren. Das Gewicht zerrte an Naels Kräften, wollten seine Gliedmaßen zu Boden zerren.

Beruhige dich. Einatmen. Der Geruch vom Schweiß seiner beiden Wächter durchflutete seine Nase. Er war Schlimmeres gewöhnt. Ausatmen. Sein Herzschlag wurde wieder ruhiger und gleichmäßiger. Nael wusste, dass jeglicher Fluchtversuch zwecklos war, womöglich sein Schicksal nur noch rapider besiegelte.

Deswegen, klug wie er war, folgte er Gehorsam den beiden Kriegern, dessen Muskeln geschmeidig unter den Kettenrüstungen spielten und von ihrer rohen Kraft zeugten. Sie ließen den pompösen Thronsaal hinter sich und folgten den steinigen Gänge, die allesamt sich zum verwechseln ähnlich sahen. Mal bogen sie links ab, mal rechts. Die gräulichen Steinwände beiderseits wurden in meist regelmäßigen Abständen von Holztüren durchbrochen. Ungefähr alle paar Meter befanden sich Kerzen an den Wänden und ließen das umherliegende Gestein in den unterschiedlichsten Rot- und Gelbtöne schimmern, fast wie Glühwürmchen im Dämmerlicht.

Sie traten ins Freie und überquerten mit zügigen Schritten den rechteckigen Innenhof der Burg. Das letzte mal in seinem viel zu kurzen Leben horchte Nael auf das Gezwitscher der Vögel - allerdings vergebens. Nichts als dumpfe Stadtgeräusche drangen an seine Ohren.

Getratsche. Hufgeklapper. Wiehern.

Dann wurde er auch schon durch eine kleine, schäbige Tür geführt. Die Stadtgeräusche erstarben schlagartig als wollten sie mit ihm nichts mehr zu tun haben. Mit ihm, einem Verurteilten. Einem Verräter. Einem Außenseiter.

Die beiden Wachen entzündeten jeweils eine kleine Fackel und erleuchteten die schmale Treppe vor Naels Füßen. Der Weg ins Ungewisse. Nein, vielmehr der letzter Pfad. Würde ihn dort unten sein qualvolles Ende erwarten? Ob er wohl in den Himmel, ins Reich Maoilias, kommen würde? Oder doch ehr in die Hölle, ins Reich der Schatten? Sein Puls beschleunigte sich.

Die Ritter nahmen ihn augenblicklich in ihrer Mitte, einer lief vor Nael, der andere hinter ihm. Dann ging es hinab unter die Erde, wandelten fortan auf Abwegen - welch Gespött. Kalte, nasse Luft schwirrte um Nales Nase und ein Schauder lief seinen Rücken hinab. Es roch abgestanden, obendrein der bittersüße Geruch nach Leid und Krankheit. Nael war sich sicher, dass der Tod hinter jedem Schatten lauerte, seine Schwinge bereits erhoben hatte und ihn in sein Reich führen wollte. Denn niemand entkam seinen gierigen Fängen. Niemand entging seinem scharfsichtigen Blick.

Wie lange sie bereits der Treppe folgten, konnte Nael nicht mit Sicherheit sagen. Möglicherweise erst zwei Minuten? Dennoch fühlte es sich wie eine halbe Ewigkeit an. Die Luft wurde stetig kühler, der Gestank zunehmend stärker. Er versuchte so wenig wie möglich von der verseuchten Luft einzuatmen, was vor Aufregung allerdings schwer machbar war. Unwillkürlich füllten sich seine Lungen mit dem Gestank.

Die Treppe endete, sie hielten an. Eine Holztür mit eiserne Luke versperrte die Sicht, davor zwei Wachen platziert. Aus ihren Visieren schaute sie starr mit ihren todbringenden Augen dem Trupp entgegen. In der linken Hand hielten sie jeweils einen langen Speer, der von Boden bis kurz über ihre Köpfe reichte. Die Spitze funkelte gefährlich in dem schwachen Licht und zeugte von mordlustiger Gewalt. Wie vielen sie bereits das Leben nahmen?

»Endlich Frischfleisch.« Die Stimme der Wache klang wie das kehlige Knurren eines Raubtieres.
»Gewöhnt Euch nicht zu sehr an ihn.«
Der andere Wächter öffnete indessen die Tür mit einem der unzähligen Schlüssel an dem klimpernden Schlüsselbund. Dahinter lag ein dunkler Raum. Jetzt wusste Nael, wo er sich befand: Der berüchtigte, königliche Kerker. Wer einmal hier feststeckte, dessen Fatum war bereits besiegelt. So hieß es zumindest. Wenn du nicht artig bist, sperren sie dich ein, schärften Eltern ihren aufmüpfigen Kindern ein.

Ein Schauder lief erneut Naels Rücken entlang. Nicht etwa, weil er vor den Ammenmärchen in Angst und Schrecken versetzt wurde. Vielmehr, weil ein erneuter Schwall widerwärtigster Gerüche seine Nase durchflutete, seine Lungen vergiftete. Neben dem Geruch von Krankheit stank es nach verfaulten Eiern, nach Urin und sonstigen, abscheulichen Ausdünstungen. Es stank nach Verfaultem und es stank nach Rattendreck.

Nael verzog das Gesicht. Er war allerlei der abscheulichsten Gerüche gewöhnt, doch das Verlies übertraf alles, was er bisher in seinem Leben gerochen hatte. Es war wie die Symphonie im Reich der Gerüche, in einem Reich, das verhüllt war und in der Stille gedieh.

Er wurde einen eingepferchten Gang entlang geführt, zu beiden Seiten grenzten einzelne, schmale Zellen, die aus Eisenstangen bestanden, den Weg ein. Nael zählte je sechs rechts und links, von denen die ersten belegt waren. Viel leuchteten die Fackeln zwar nicht aus, aber er kniff die Augen zusammen und gab sein bestes. Es war wie das Praktizieren vom Heilkunst. Auch dort tappte man öfters im Dunkeln.
Er erspähte die schemenhaften Umrisse zweier Gestalten, die zusammengekauert in den Ecken hockten und auf ihr Schicksal warteten, auf den letzten Spielzug von Maoilias, dass die Würfel fallen würden. Vivere militare est - Zu leben heißt zu kämpfen.

Im nächsten Moment spürte der Lehrling einen pochenden Schmerz an seinem Hinterkopf. Der Schlag eines Ritters. »Was gibts denn da zu gucken!«, fauchte einer. Schnell wandte Nael seinen Blick zu Boden. Neben der linken Gestalt sperrten die Ritter ihn ein, warfen ihn mit solchem Schwung, dass er der Länge nach stürzte. Mit einem lauten Kanll fiel die Tür in die Angeln und ließ ihn in der ungemütlichen Zelle zurück, wo er seine letzten Stunden verbringen sollte. Victus - Schachmatt. Sein Fatum hat entschieden.


Entschuldigt bitte die lange Wartezeit, aber in den letzten paar Wochen kam ich überhaupt nicht zum schreiben. Und wenn, dann fehlte mir völlig die Motivation. Um so mehr freue ich mich, endlich ein neues Teilkapitel hochladen zu können. Ich hoffe, es hat auch gefallen :D

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