Kapitel 9.3: Schattenschwinge

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»Das besagt, dass eine Prophezeiung erschienen ist. Ohne Zweifel wird das Königreich unter seiner Herrschaft untergehen.«
Alenja musste gar nicht nachfragen, wen sie mit seiner Herschafft meinte. Ganz eindeutig König Raigan, welcher der Kreatur ein Dorn im Auge war. Die Frage war bloß warum. Niemand tat etwas ohne Absichten. Niemand war einfach bloß hilfsbereit. Ständig waren dort Hintergrundgedanken.

»Das ist alles schön und gut«, sagte Alenja »aber nur Priester erhalten Prophezeiungen und wenn ich eins weiß, dann dass Ihr dies nicht seid.« Herausfordernd blickte sie zu dem überirdischen Wesen empor. Ihr Leben würde so oder so enden. Sie würde für etwas Unschuldiges sterben. Für das, was diese Gestalt verkörperte. Eine Ioskas, die Hexerei praktizierte. Für Alenja stand es fest. Sollte die Fremde sagen was sie wollte. Sie war ein Wesen der Magie.

»Deine Gedanken sind so laut«, stöhnte die Gestalt genervt auf. »Helft mir. Ansonsten erwartet Euch der Tod.«
Alenja zog ihre schmale Augenbraue hoch. Würde sie nicht bald sterben, hätte sie tatsächlich Angst um ihr Leben. Doch was nützte es im Angesicht des Ablebens Furcht zu verspüren?
»Ein einmaliges Angebot. Bringt den König zum Schweigen und im Gegenzug erhaltet Ihr dafür Magie.«

Alenja rümpfte angewidert die Nase. Wie töricht! Kannte die Gestalt etwa die Gesetze Elidors nicht? Sie lachte auf und erschrak selbst, als es von den Wänden unnatürlich widerhallte.
»Netter Versuch. Auf Hexerei steht die Todesstrafe«, sagte sie. Dann wäre ihr Tod gewiss und zugegebenermaßen auch berechtigt, zumindest laut dem Gesetz.

Die Gestalt deutete auf Alenjas rotes Haar, auf die Bürde einer jeden Ioskas. »Ihr seid eine Rothaarige und damit für das Volk eine Ioskas. Ihr dürft nicht leben. Ist es da nicht besser, dem Aberglaube zu entsprechen und sich wehren zu können?«

Alenja musste zugeben, dass an dem Argument etwas dran war. Fieberhaft überlegte sie.
Konnte sie einem Menschen das Leben nehm? Nein. Konnte sie mit dem Wissen leben, eine Mörderin zu sein? Nein.
Selbst, wenn es sich um den blutrünstigen König handelte? Nein.

»Nach all dem, was er Euch angetan hat, zweifelt Ihr?«, fragte die Gestalt ungläubig. »Tötet ihn! Habt kein Erbarmen, zögert nicht. Er zeigte Euch auch keine Gnade!«
»Rache? Darum geht es hier also?«
Die Kreatur nickte knapp.

In Alenjas Gedanken wurde das Wesen zu Schattenschwinge, eine Kreatur der Magie, die auf Vergeltung auswar. Doch ihre Rachegelüste waren so tief gesunken, dass sie selbst die Dienste einer niederträchtigen Ioskas, in der alle nun das reine Bösartige sahen, annahm. Wie ein sinkendes Schiff, das vergebens versuchte, über Wasser zu bleiben. Nein, Schattenschwinge war bereits auf den Meeresgrund. Sie bat um Alenjas Hilfe. Hilfe, bei ihrem königlichen Vorhaben.

»Nein, ich helfe Euch nicht«, erwiderte die Rothaarige mittels fester Stimme. Selbstbewusst. Schwache Menschen wählten die Rache, während kluge Menschen vergaben. Und sie war klug, klüger als die meisten und doch argloser als einige. Kurzum gesagt: Sie war eine der wenigen Angeklagten, die überleben würde. Ganz ohne ein Fünkchen Magie.

Der Bund der RabenmaskenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt