3.1 | Zeichen des Unheils

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»Die wahre Lebenskunst besteht darin, im Alltäglichen das Wunderbare zu sehen.«

- Pearl S. Buck

Nachdem die Ritter Yoricks sowie Helenas Haus verlassen und Nael dem Buchdrucker noch Kräuter zur Linderung der Schmerzen verabreicht hatte, begab sich der Heilerlehrling kurzerhand selbst auf den Heimweg

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Nachdem die Ritter Yoricks sowie Helenas Haus verlassen und Nael dem Buchdrucker noch Kräuter zur Linderung der Schmerzen verabreicht hatte, begab sich der Heilerlehrling kurzerhand selbst auf den Heimweg. Die frische Brise war im Gegensatz zu der stickigen und verpesteten Luft des Raumes ein willkommenes Geschenk.

Als er ohne Zwischenfälle das Haus von Galahad erreichte, atmete er nochmal tief die frische Nachtluft ein, ehe er das Haus betrat. Dabei warf er einen letzten Blick in den klaren Himmel, an dem unzählige Sterne tanzten. Im nächsten Moment wurde er von der Finsternis, die im Haus herrschte, verschluckt. So leise es ging, schloss er wieder die Haus, wurde von dem vertrauten Kräuterduft empfangen und schlich Schritt für Schritt in seinen kleinen Schlafraum.

Dort angelangt tastete der Junge neben der Tür die raue Wand nach einer Kerze ab, die in einer der vorgesehenen Wandhalterungen stand. Etappenweise schob er seine Finger an der kalten Mauer entlang, bis zu einem glatten Gestänge aus Metall. Daraufhin griff er geschickt nach der Kerze, zündete diese an und sogleich wurde sein kleiner Raum in warmes Licht getaucht.

Zu seiner linken, an der länglichen Zimmerseite, stand sein gemütliches Bett, das mit einer braunen Decke aus Schafwolle und Stroh hergerichtet war und neben dem ein kleiner Schrank stand. Gegenüber des Bettes befand sich ein schmaler, an der Wand gestellter Tisch aus Eberesche-Holz mit einem davor stehenden, passenden Holzhocker. Auf dem Tisch lag ein Haufen Pergament, jedes davon zierte unten rechts in der Ecke einen Raben, das Wappen von Elidor. Neben dem hellbraunen Papier stand eine Feder in der vorgesehenen Halterung, etwas gelb-braune Tinte, Briefumschläge, indigoblauer Wachs sowie ein silberner Siegelstempel.

Nael setzte sich auf sein Bett, stellte die Kerze auf den Boden und dachte sorgsam über das Geschehene nach. So viel war in dieser einen Nacht passiert. So viel hatte er erfahren und dennoch stellten sich ihm so viele, neue Fragen. Seine Gedanken schwirrten um Helena und ihren Vater, Yorick. Er überlegte, ob jemand die Verbindung zwischen den beiden kannte und ob er darüber mit Galahad sprechen sollte, entschied sich dann aber fürs Schweigen. Fürs erste.

Weiterhin beschäftigte ihn die Frage, wer überhaupt Helenas Mutter war. Soweit er über das richtige Wissen verfügt, hatte Yorick keine Frau. Wie hatte Helena es außerdem geschafft, so lange trotz ihrer Haare zu überleben? Er erinnerte sich an ihre leichten, durchscheinenden Sommersprossen, die er unter der Schminke erblickt hatte, als er ihr die Maske überreichte. Dies war ein typisches Merkmal für rote Haare, schien aber keinem bisher aufgefallen zu sein. Ihm selbst fiel es erst in sehr engem Kontakt und genauem Betrachten auf.

War es von ihm angemessen gewesen, sie vor den Rittern zu verbergen oder hätte er sie entlarven sollen? Hatte er einen ernsthaften Fehler begannen? Etwa einen, der sein Leben gefährdete? War es Wagemut oder Ehrenhaftigkeit, die ihn dazu gebracht hatte? Wahrscheinlich beides zusammen gemischt mit Naivität und einer großen Portion Dummheit.

Die Zeit verging und seine Gedanken rasten. Der angenehme Duft des Kerzenwachs wurde immer intensiver, umhüllte ihn wie die schützenden Hände einer Mutter und überdeckte den penetranten Kräutergeruch. Nael schloss seine müden Augen, atmete tief durch und ließ sich letztlich von dem betörenden Duft in eine andere Welt geleiten.

In dieser Nacht träumte er schlecht. Der Braunhaarige stand in einer heruntergekommen, geisterähnlichen Stadt. Die Häuser um ihn herum waren teilweise so zerstört, dass die Stadt mehrere Jahrhunderte alt wirkte. Manche Steine der Mauern waren abgebröckelt, andere Wände waren umgekippt, die Dächer eingestürzt und komplette Häuser von Ruß überseht. Etwas merkwürdiges fiel ihm auf und ließ einen kalten Schauder über seinen Rücken gleiten. Egal wo er hinsah, überall schien das aus drei verbundene Kreisbögen bestehende Symbol eingemeißelt zu sein: Die Trisquetta! Aber was hatte sie hier zu suchen?

Er erspähte etwas in der Ferne zwischen den Häusern auf den breiten Straßen und den schmalen Gassen liegen. Wie auf Signal schienen die restlichen Sonnenstrahlen auf die Straße, auf der die sich Nael befand. Die Strahlen waren wie Scheinwerfer und schlagartig erkannte er sie. Rotschimmernde Gesichter mit ausdruckslosen Augen ohne jeglichen Lebensglanz starrten ihn an. Entsetzt riss der Heilerlehrling seine Augen auf und sein Puls beschleunigte sich. Die Menschen waren alle tot! Was war hier bloß geschehen?

Die Sonne war fast hinter dem Horizont abgetaucht und überzog alles mit einem roten Licht, weshalb es ihm nicht schwer fiel, sich den Ort blutüberströmt vorzustellen. Plötzlich begannen die Verstorbenen wie glühend heißes Metall zu verschmelzen. Sie schmolzen ineinander zu einer roten, dicken Flüssigkeit an. Das zähe Blut floss wie ein rauschender Fluss auf den schockierten Nael zu. Sein Herz raste mittlerweile so wild, als wollte es gleich aus seiner Brust springen und sein Atem kam stoßweise. Der Blutstrom näherte sich rasch.

Der Junge begann rückwärts zu taumeln, immer auf den Blutfluss achtend, bis er über etwas stolperte und auf etwas weiches landete. Viel zu weich für den normalen Boden. Instinktiv hatte er sich an etwas weichem, kaltem und leicht rauem festgehalten. Er blickte hinab und ein Schrei entfuhr ihm.

Unter ihm lagen ein Berg von Hunderte von Toten. Sein Hand umklammerte den Arm einer Leiche, den er sofort wieder fallen ließ. Es war ein grässliches Anblick und verschlug ihm die Sprache. Dann nahm er den ekelhaften, fauligen Gestank wahr, der von den Toten ausging. Angewidert rümpfte er die Nase, wandte sich ab und entdeckte... oh nein!

Vor ihm lag ein vertrauter, regloser Körper. Das einst strahlende, indigoblaue Gewand war von Dreck und Staub überseht und die Haare wirkten wie ein Vogelnest, durcheinander und verfilzt. Fassungslos rief er den Namen der Person aus: „Galahad!« Seine Stimme klang brüchig und so unnatürlich hoch, dass er jedes Glas zum Zerbrechen hätte bringen können. Nael überkam das Gefühl von Übelkeit und er musste sich beherrschen, nicht zu würgen.

Er befand sich in Elidor. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube und ließ ihn für kurze Zeit schwarz vor Augen sehen. Eine einzige Frage schallte ihn seinem Kopf immer wieder nach: Was war hier passiert?

Erneut fühlte er etwas. Etwas warmes umklammerte seine Füße und er sah hinab, wo ihm das Blut um seine Füße schwappte. Es kroch immer höher und höher an ihm hoch. Nael wollte sich bewegen, sich schütteln, um das widerliche Blut zu entfernen, doch er konnte sich nicht rühren. Seine Muskeln schienen ihm nicht mehr zu gehorchen und selbst seine Atmung schien erschwert. Nael war ein Gefangener im eigenen Körper. Das Blut hatte gleich seinen Hals erreicht. Er roch den metallischen Gestank und schon bald konnte er ihn auch auf seiner Zunge schmecken.

Würgen. Husten. Spucken.

Nichts half, den abscheulichen Geschmack los zu werden. Das Blut schnürte seinen Hals zu, immer enger und enger, bis er meinte, er würde ersticken. Ohne zu wissen, was zu tun war, rief er aus Leibeskräften nach Hilfe, doch das Blut hatte zügig seinen Kopf erreicht. Er atmete ein letztes Mal die fürchterliche Luft ein, dann schloss er die Augen und spürte, wie das Blut um seinen Kopf floss.

Nur nicht einatmen, dachte er, aber mit der Zeit ging ihm die Puste aus. Ein Pochen in seinem Kopf setzte ein und er hatte das Gefühl, dass sein Gehirn gleich explodieren würde. Erst als er meinte, dass er an dem Blut ersticken würde und einatmen wollte, wich das Blut von ihm. Er hörte den Warnschrei eines Rabens, dann war alles um ihn herum still.

Hallöchen ;)
Wie findet ihr den Einstieg dieses Kapitels? Habt ihr schon einen Lieblingscharakter?

Der Bund der RabenmaskenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt