𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟓.𝟑: 𝐈𝐨𝐬𝐤𝐚𝐝

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Schlurfen, dann das Quietschen einer Tür. Immer lauter werdende, knatschende Schritte folgten.

Helena reckte und streckte sich um einen Blick zwischen dem Ritterwall auf den Neuankömmling erhaschen zu können, aber die Sicht blieb ihr trotz jeglicher Bemühungen verwehrt. Die Herrn standen eng beieinander mit dem Rücken zu ihr gekehrt, ihre breiten Schultern zuckten ab und an. Daher konzentrierte sich das Mädchen statt ihrer visuellen Wahrnehmung auf ihre anderen Sinne. Sie schloss die Augen.

Der unangenehme Geruch von Schweiß ging von den Rittern aus und überdeckte die beißende Luft, in der noch immer die Krankheit lag. Der Gestank war so penetrant, dass Helena das Gefühl hatte, den kühlen Schweiß selbst auf ihrer Haut spüren zu können. Igitt! Bei dieser unangenehmen Vorstellung, die beinahe zu real wirkte, stellten sich ihre Armhaare zu allen Bergen auf. Zusätzlich schmeckte sie die Ausdünstungen auf ihren sensiblen Geschmacksknospen, dessen Aufeinandertreffen eine Explosion an Würgereißen hervorrief. Bemüht, den Drang zu unterdrücken, erfassten ihre empfindsamen Ohren die raue und tiefe Stimme des Neulings. Er zischte, wobei es gerade noch so laut war, dass sie es verstehen und damit den Wall überbrücken konnte: »Ihr werdet sie in Ruhe lassen.«

»Oder was?« Die abfällige Frage gehörte dem Schnösel, wie Helena den kleinen Ritter insgeheim taufte. Die unbekannte Männerstimme schmetterte entgegen: »Ich warne Euch, verschwindet oder Ihr werdet es bitter bereuen!«. Jedes einzelne Wort klang hasserfüllter als das vorherige. Abrupt dämmerte es Helena, wer der Neuling war und die Erkenntnis, ließ ihr Herz gefrieren. Der Vorhang des Unwissen hob sich und ließ die Bühne der Wahrheit ins Rampenlicht rücken.

Ungläubig öffnete die Rothaarige ihre Augen. Sie musste unbedingt freie Sicht erlangen um ihrer Vermutung bestätigen zu können! Aber wie? Als Antwort fegte ein Sturm von Lachen, eins hämischer als das andere, dem Mann entgegen. Helena beobachtete angewidert, wie die Schultern der Ritter bebten und die Rüstungen klapperten. Es war der Schnösel, der sich als erstes fing und scharf erwiderte: »Ihr wagt es, uns zu drohen?«

Sofort verstummten seine Kumpanen. Schlagartige Totenstille erfüllte den kleinen Raum und die Luft knisterte vor Spannung, welche fast greifbar erschien. Helena war der Auffassung, dass jedermanns ihren brüllenden Herzschlag hören müsste. Alles wartete gespannt auf die Antwort des Neuen. Würde er es wagen, den Rittern Elidors Einhalt zu gebieten?

»Niemals«, ertönte seine Stimme, in der bewundernswerte Gelassenheit mitschwang, und stellte klar: »Ich drohe jedem, der ihr nach dem Leben trachtet. Auch dem König, wenn es sein muss.« Helenas bereits gefrorenes Herz zersprang in Tausenden von Splittern.

Vier Ritter zogen unvermittelt ihre Schwerter aus den Scheiden und hoben angriffslustig die messerscharfen Klingen, während der Schnösel entgegen aller seine Hand hob. »Halt!«, befahl er seinem Trupp, woraufhin sie in ihren Bewegungen innehielten. Misstrauisch wechselten sie untereinander Blicke. Der kleine Ritter trat vor und endlich konnte die junge Frau ihren Verdacht bestätigen. Sie erblickte ihren Vater, der wie ausgewechselt schien. Trotz seines erschreckenden Zustandes, protzte seine Körperhaltung vor Entschlossenheit.

Egal, was sich ihr Vater bei diesem heldenhaften Auftritt gedacht - oder eben auch nicht gedacht hatte - sie ahnte Böses. Dieses Zusammentreffen würde nicht gut enden. Ein angsterfüllter Knoten zog sich rasant um ihre Kehle, immer enger, bis sie meinte, dem Druck nicht mehr standhalten zu können. Ihr Vater war lebensmüde. Definitiv.

Nun standen sich Yorick und der kleine Ritter gegenüber. Zwischen ihnen ein unsichtbarer Graben, der sie trennte. Es hieß, diesen zu überqueren und in das feindliche Gebiet vorzudringen. Doch anstatt den Ansturm zu wagen, funkelten sie sich abwertend an, als gäbe es ein stummes Duell zu gewinnen. Während die Augen des Ritters verachtend zu winzigen Schlitzen geformt waren, schimmerte in den Augen ihres Vaters die tief verwurzelte Feindseligkeit gegenüber dem Adelsblut. Der Schnösel erklärte: »Damit droht ihr dem Königreich und das ist Hochverrat! Ihr wisst, dass darauf die Todesstrafe folgt.«

Der Bund der RabenmaskenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt