2.4 | Fatale Begegnung

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Nael kratzte sich am Kopf. »Wisst Ihr, ich habe mich nur etwas gewundert. Egal welch enges Verhältnis man auch zu seinem Lehrmeister hat, solch panische Angst wie Ihr sie sowohl verbal und nonverbal vermittelt, zeigt man lediglich bei...« Er unterbrach seinen Satz. »Ja, wobei?«, wollte sie wissen.

Insgeheim fürchtete sie sich vor der Antwort, aber sie wollte nicht schwach erscheinen.  Nicht vor ihm. Obwohl es im Endeffekt ganz egal war, denn er kannte ihre Haare. Also würde es nicht lange dauern, bis er oder eben Galahad sie beim König melden würden. »Nun, bei einem engen Familienmitglied.«

Damit sprach er ihre größte Befürchtung aus.

Stille folgte zwischen ihnen. Totenstille. Einzig konnte man das schwere Atmen Yoricks vernehmen, obwohl Krächzen es besser beschrieben hätte. Aber da war noch ein Geräusch. Ein ihr sehr bekanntes Geräusch, was sie in dieser Nacht schonmal gehört hatte und ihr einen Schauder über den Rücken hinab jagte.

Es handelte sich um ein gleichmäßiges, schnelles Stampfen... eins, zwei, drei, vier. Es wurde immer lauter. Es waren die weit und breit gefürchtetsten Schritte in ganz Elidor, denn sie brachten nichts als Verlust, Trauer, Verzweiflung und gar den Tod mit sich: Die königlichen Ritter.

Die Schritte kamen immer näher. Gleich waren sie da. Das Mädchen schluckte die Erklärung auf Naels Frage hinunter und verbannte die kreisenden Überlegungen in eine ihrer hintersten Ecken des Gehirns, von wo aus sie sie nicht stören konnten. Jetzt durfte sie nichts ablenken. Hier ging es um etwas weitaus Wichtigeres als um ihr Geheimnis. Hier ging es um ihr Leben. Sie musste schwer schlucken und die Ruhe bewahren. Einmal tief aus und einatmen.

Die Schritte waren nun klar und deutlich zu hören. Es würde keine Minuten mehr dauern, dann würden sie hier sein. In den Gedanken des rothaarigen Mädchens wirbelten Bilder auf, wie sie gleich unsanft von den Wachen gepackt und zum König geschleift wurde, wo ihr Todesurteil auf sie wartete.

Ihre Pupillen weiteten sich, ihr Herzschlag beschleunigte sich unnatürlich. Ihr Blick schweifte hastig nach einem geeigneten Versteck durch den Raum, doch sie konnte nichts finden. Das war es mit der Ruhe. Sie richtete starr ihren Blick auf die Tür, die jeden Moment geöffnet werden würde.

Langsam, ganz langsam und immer den Blick fest auf die Tür fixiert, setzte sie vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Sie taumelte rückwärts, bis sie die kühle Wand in ihrem Rücken spürte. Die Kälte krabbelte augenblicklich ihren ganzen Körper entlang, von Fuß bis Kopf. Mit klappernden Zähnen begann sie zu zittern. Ob es wirklich nur die Schuld der Wand war, konnte sie nicht ganz genau sagen.

Und dann war es soweit, ihr Albtraum begann.

Panisch lauschte sie, wie es an ihrer Tür klopfte. Sie rührte sich nicht und gab keinen Mucks von sich. Was sollte sie bloß tun? Ach wäre doch nur Yorick hier! Er wüsste es! Er wusste einfach alles. Nach ein paar Sekunden setzte sich der braunhaarige Junge in Bewegung. Sie wollte ihm widersprechen und bitten, nicht die Tür zu öffnen, doch ihre Stimme blieb ihr im Halse stecken. Mit jedem seiner Schritte kam er der Tür näher. Doch bevor er diese öffnete, drehte er sich zu ihr um: »Setz deine Kapuze auf!«

Sie folgte seiner Aufforderung, aber vor lauter Zittern brachte sie es kaum zu Stande, die Kapuze richtig aufzusetzen. Ihre Hände, nein, ihr ganzer Körper, wollte ihr plötzlich nicht mehr gehorchen. Sie war machtlos. Gefangen im eigenen Körper.

Nael musste ihre Schwierigkeiten bemerkt haben und trat zu ihr. Ehe sie sich gesammelt hatte, streckte er seinen Arm nach ihr aus. Reflexartig wandte sie ihren Kopf ab, schloss fest die Augen und wartete. Sie bereitete sich auf einen Schlag oder einen festen Handgriff vor, damit der Lehrling sie zu den Rittern schleifen konnte.

Der Bund der RabenmaskenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt