Kapitel 9.1: Schattenschwinge

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3. Gesetz Elidors

Die Hexerei ist das schlimmste Unrecht, das begeht werden kann und wird mit dem Tod exekutiert. Die Ioskas wird unter Führung des Scharfrichters langsam gehäutet. Das Fleisch wird von den blanken Knochen gerissen und den Raben zum Fraß vorgeworfen, Herz und Skelett werden verbrannt. So wird die verteufelte Seele zu einem Gefangenen der Hölle.

Helena kniete bereits mehrere Stunden in einer der verdreckten Zellen des königlichen Kerkers

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Helena kniete bereits mehrere Stunden in einer der verdreckten Zellen des königlichen Kerkers. Königlich, wer's glaubt. Königlicher Abschaum traf es besser. Nichts mehr als Gesindel - Teufelsbrut.

Unter ihren Knien und Schienbeinen spürte sie das pieksende Stroh, das wie Nähnadeln den einstigen olivgrünen Stoff ihres Kleides durchlöcherte. Manche Stellen waren bereits Graubraun, nass und klebend an ihrer Haut. Sie zitterte. Augen, Ohren und Nase hatten sich zu ihrem Entsetzten an die Umgebung gewöhnt.

Der beißende Geruch nach Exkrementen durchflutete anfangs ihr Riechorgan. Das Mädchen mit dem feuerroten Haar versuchte, so wenig wie möglich von der verpesteten Luft einzuatmen. Nunmehr nahm sie den Gestank kaum noch war. Dafür schnappte sie hin und wieder das leise Pfotengeraschel der Zellenbewohner auf, große dicke Ratten.

In dem Moment dankbar für die Dunkelheit, um die Biester nicht genauer erkennen zu können, ließ sie sich von ihr berauschen. Die Düsterkeit hatte eine beruhigende Wirkung, gar etwas Vertrautes an sich. Als würden ihre Sorgen nicht existieren. Ihre verfluchte Haarfarbe wurde verschluckt. Ihre Furcht, ihre Zweifel. Wie ein verbranntes Blatt Papier, das in den Flammen zerfiel und nur noch das Häuflein Asche von ihrem Dasein zeugte. Bis ein Lüftlein auch die letzten Überbleibsel beseitigte.

Helena gähnte, schlang die knochigen Arme um ihren zierlichen Körper und fröstelte. Sie ließ den Kopf hängen und ein paar Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht. Ihre Augenlider wurden schwer wie Blei. Sie blinzelte, kämpfte gegen die aufkommende Müdigkeit an, gefolgt von einem weiteren Gähnen. Einen Anflug, die Augen zu reiben, konnte sie nur mühsam unterdrücken. Ihr Kopf wurde immer schwerer und sie lehnte sich an die feuchte kalte Wand an. Die raue Beschaffenheit der Steine spürte sie kaum noch. Dann glitt sie in einen unruhigen Traum.

Sie befand sich immer noch in der selben Zelle, obwohl Helena merkte, dass es alles andere als normal war. Gelb und Orang züngelnde Flammen umrandeten die Zelle und ließen ihr Haar leuchten. Das feurige Wolfsrudel, welches geduldig auf die Schwäche ihrer Beute wartete, ganz genau wissend, wann es über sie herfallen konnte. Helenas Herzschlag setzte für einige Sekunden aus. Die Farben liefen ineinander über und hinterließen mit dem Gitter ein schaudervolles Licht- und Schattenspiel auf dem Boden, das sie möglicherweise in einer anderen Situation hätte interessant gefunden. Es wirkte, als wollten die Schatten nach ihr greifen.

Und tatsächlich. Dunkle Gestalten erhoben sich aus dem Feuer. Gestalten, die wie verkohlte Menschenskelette aussahen, gehüllt in rauchende Schwaden. Verkrüppelte Knochen, verbogen und zersplittert. Verbunden wurden sie durch eine dünne Lederhaut. Helenas Puls beschleunigte sich. Stimmen hallten gespenstig von den Wänden ab. Hunderte von Stimmen, Geflüster, die kaum voneinander trennbar waren. Das Mädchen taumelte zwei Schritte nach hinten, rieb sich die Augen und die Kreaturen waren verschwunden. Verwirrt blinzelte sie. Um sie herum begann es zu flimmern. Was geschah hier bloß?

Ein Knistern der Feuerwand zog ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich. Eine weitere skelettähnliche Gestalt zeichnete sich kontrastreich vor dem viel helleren Hintergrund ab, ebenfalls gehüllt in einen schwarzen Nebelumhang. Es wirkte, als würde sie über den Boden schweben. Ihre Knochen am Körper schimmerten durch die ledrig-grobe Haut. Lediglich der Kopf wies die blanke Oberfläche auf.
Lange Beine und Arme wie knochige Äste mit abstehenden Knollen wie Geschwüre kamen zum Vorschein und eine ehrerbietige Kraft ging von ihr aus. Zwei funkelnd rote Augen fixierten Helena aus den dreieckigen Augenhöhlen. Skrupellos und durchtrieben. Spitze Zähne blitzten auf und wo hätte die Nase prangen müssen, war ein V-artiger Riss. Rötliche Haare wie verölte Bänder flatterten aus der Kapuze. Es war ein schaurig schöner Anblick.

Die überirdische Kreatur schwebte auf die Rothaarige zu, die vor Angst und Erstaunen gleichermaßen in ihren Bann gezogen wurde. Wie gelähmt verharrte das Mädchen, den Blick starr auf die düstere Kreatur gerichtet. Egal wer oder was vor ihr stand, es war nicht von dieser Welt.

Eine Hand legte sich auf ihre Schulter, fest und unsichtbar. Starre, eiserne Finger bohrten sich in ihre Haut. Unter der Nebelkapuze bildete sich ein schiefes Lächeln auf dem lippenlosen Mund ab. Auf unerklärlicher Weise fühlte sich Helena plötzlich wohl. Die Angst war verfolgen.

»W-wer seid Ihr?«, fragte sie. Es war nur ein Hauch, aber die Gestalt musste sie gehört haben und antwortete mit einer Stimme direkt in ihrem Kopf, viel lauter als ihre eigene.
»Ich bin ich.« Eine Stimme wie ein zerkratztes Kristallglas, einerseits melodisch und anderseits krächzend. Helena runzelte die Stirn. Die Kreatur bewegte nicht ihren Mund beim Sprechen.

»Mit Verlaub. Ich meinte Euren Namen?«, erklärte das Mädchen.
»Ich trage viele. Zu viele, als dass ich sie mir alle merken könnte.«
»Dann nennt mir Euren richtigen Namen.«
»Gibt es richtige und falsche Namen? Wer richtet darüber?« Die Gestalt zog eine Augenbraue hoch. Nein, es war vielmehr ein gebogener Riss, eine Wunde. Wieder hallte die Stimme in Helenas Kopf.
»Darf jemand nicht mehrere Namen tragen? Heute kann ich Tisiphone heißen, morgen Furie und dann Nemesis. Es sind die Sünden, die wirklich zählen. Die den Charakter formen, nicht der Name.«

Helena öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder. Die Gestalt fasste dies als Gelegenheit auf, weiter zu reden: »Ich habe dir einen Vorschlag zu unterbreiten.«



Nach dem letzten kurzen Kapitel kommt nun wieder ein längerer Teil. Ich hoffe, dass euch der erste Part gefallen hat :D

Der Bund der RabenmaskenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt