3.2 | Zeichen des Unheils

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Nach Sauerstoff schnappend öffnete der Lehrling seine Augen, blitzend aufgrund des grellen Morgenlichtes, das durch den kleinen Spalt der Fensterläden seines Raumes schien. Als sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnten und er sein vertrautes Reich erkannte, fiel ihm ein Stein von seinem angsterfüllten Herzen. Sein Atem ging noch unregelmäßig, weshalb er seine Hand auf seine Brust legte und versuchte, Kontrolle über seine Atmung zu erlangen.

Für vier Sekunden einatmen, für sieben Sekunden die Luft anhalten und für fünf Sekunden ausatmen, hallte die Stimme von Galahad in seinem Kopf nach. Dies hatte ihm sein Meister am Anfang seiner Lehre erklärt. Mit dieser Übung konnte man die Atmung eines gestressten und panikschiebenden Patienten besänftigen und löste eine Entspannungsreaktion im Körper aus.

Nael versuchte es. Er atmete tief die Luft ein, wobei sich seine Nasenflügel weiteten. Dann hielt er die Luft an und nach abgezählten, sieben Sekunden ließ er die Luft aus seinen Lungen strömen. Er nahm wahr, wie sein Körper sich allmählich entspannte, die angespannten Muskeln entkrampften und sein Herzschlag regelmäßig zu schlagen begann. Das Pochen in seinen Schläfen erstarb und seine Gedanken klärten sich langsam.

Der Braunhaarige wusste, dass er einen realen, viel zu echt wirkenden Traum erlebt hatte, aber das absurde an dieser Tatsache war, dass ihm der Inhalt entfiel. Es schien, als wäre der Kontext bei dem Versuch seine Atmung zu kontrollieren, wie eine Feder weggepustet worden. Die Feder, mit der sein Unterbewusstsein begonnen hatte das Erlebte auf ein Stück Pergament aufzuschreiben. Doch die Feder war zu leicht gewesen, sodass sie dem plötzlich auftauchendem Windstoß nichts entgegen zu setzten hatte. Sie hinterließ einzig und allein die Spur auf dem Zettel, die Erkenntnis eines Albtraumes. Aber ohne Feder konnte er nichts weiter aufschreiben und die Erinnerung verblasste allmählich. Dennoch wusste Nael, dass die Feder irgendwo in den endlosen Weiten seines Gehirns sein musste. Er musste sie lediglich wiederfinden.

Ein lautes Poltern veranlasste Nael zum aufhorchen. Mit einem Schwung erhob er sich aus seinem Bett, öffnete die Tür einen Spalt breit und lugte vorsichtig hindurch. Er erblickte Galahad, der inmitten eines Bücherhaufens auf dem Boden hockte und wie versessen die Seiten durchstöberte. Er senkte sich über ein Buch und verschwand beinahe zwischen den Büchern. Einzig seine weißen Haare leuchteten auf.

Unvermittelt wurde Nael von einem düsteren, bedrohlichen Licht überrascht, das sich für einige Sekunden über seinen Blick lag. Es füllte den ganzen Raum mit einer mysteriösen, beklemmenden Aura und statt eines Bücherhaufens sowie einem verwirrten Mann, erspähte er einen Haufen aus länglichen, glatten Gegenständen. Manche von ihnen wiesen tiefe Furchen auf, andere waren gebrochen und splitterten. Knochen! Sie funkelten unnatürlich hell in dem finsteren Licht und ermöglichten so einen guten Blick auf das zähflüssige, schimmernde Blut, das zwischen dem Gerippe hervorquoll. Es wirkte wie glibberiger Schleim, der immer mehr wurde und alles unter sich begrab.

Nael schmeckte die zugleich süßliche und bittere Luft auf der Zunge und er konnte selbst den Geschmack von Blut schmecken. Um diesen los zu werden spuckte er vor seine Füße und erschrak. Auf dem Steinboden zeichneten sich rote Spritzer, mal der eine größer als der andere, ab, die ein sprenkelndes Muster hinterließen. Er betrachtete das Blut genauer. Hatte er jetzt komplett den Verstand verloren? Das ausgespuckte Blut, sein Blut, verschmolz miteinander. Die einzelnen Tropfen liefen wie die Tränen des Bodens zusammen und bildeten ein Symbol, die Trisquetta.

Nach Luft schnappend ging der Lehrling einen schwungvollen Schritt nach hinten und wirbelte zu dem Knochenhaufen, der mittlerweile rot getränkt war, um. Kurzzeitig gab das Blut und die Knochen den Blick auf einen alten, toten Mann frei, dessen Ähnlichkeiten mit Galahad unverkennbar waren. Nael beobachtete, wie die liegende Leiche sich zu einem Skelett verwandelte. Haut und Haar schmolzen wie Eis und die Augäpfel kullerten wie Murmeln hinab, bis sie so zum Stillstand kamen, dass die einst strahlend blauen Augen sichtbar da lagen. Naels Silhouette spiegelte sich in den glasigen Pupillen. Kurz darauf wurde Galahad von dem Blut verschluckt.

Kaltes Eis gefror bei dem Anblick um Naels Herz und er spürte, wie jegliche, glückliche Gefühle aus seinem Inneren gespült wurden, bis allein Leere in ihm herrschte. Ruckartig wand er seinen Kopf von dem schrecklichen Bild ab, kniff seine Augen fest zusammen und legte seine rechte Hand über diese. Erst bei den gewohnten Geräuschen von umschlagenden Papier öffnete er seine Augen und schielte zwischen seinen gespreizten Finger hindurch. Das vertraute Spektakel von dem bücherversessenen Galahad spielte sich vor Nael ab.

Erleichtert räusperte er sich um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Der Heiler zuckte erschrocken zusammen und fuhr zu seinem Schüler herum. »Nael!«, sagte er ertappt und es klang ein wenig vorwurfsvoll zugleich. Auf seinem Gesicht hatte sich eine leichte Wutfalte gebildet, in seinen Augen loderte Besorgnis.

Nael sah ihn fragend an, seine Augen blieben an den vielen, verschiedenen Büchern hängen. Geschwind überflog er die diversesten Titel, von welchen, die vor lauter Langeweile zum Schlafen einluden bis hin zu den scheinbar unsinnigsten Inhalten. Das Geleit des Leidens, Diabolische Unpässlichkeiten, Legenden und Weissagungen sowie Sanierende Heilpflanzen und dessen Fundorte waren nur einige davon.

»Verzeiht, es war nicht meine Absicht, Euch zu erschrecken.«, entschuldigte sich der Junge mit freundlichem Ton, erkundigte sich hilfsbereit: »Was macht Ihr? Kann ich Euch behilflich sein?« Galahads wütender Gesichtsausdruck wich einem vergebenden Lächeln, das allerdings nur für einen Hauch einer Sekunde sichtbar war. Nael dachte schon, er hätte es sich nur eingebildet, denn dem Grinsen folgte ein ernstes Gesicht. »Tut mir leid Nael, du kannst nichts für meinen Zorn. Ich suche etwas, in der Tat.«

Der Heiler machte eine geheimnisvolle Pause, ehe er weitersprach: »Ich war neulich in der Bibliothek« und deutete mit einer Handbewegung auf die unzähligen Bücher um ihn herum »und bin dort auf beunruhigende Zeilen gestoßen.« Seine Wörter nahmen zunehmend einen beklemmenden Unterton an. Naels Stirn kräuselte sich, er fuhr sich nachdenklich durch sein langes Haar und schaute leicht verwirrt drein. Zeilen? Was für Zeilen? Wovon sprach Galahad überhaupt?

Galahads Angst, die in seiner Stimme mitschwang, verunsicherte den Schüler. Ein solch furchtsamen, emotionalen Ausbruch hatte er bei seinem Meister noch nie erlebt, gar war Nael zuvor davon ausgegangen, dass Galahad dieses Gefühl nicht kannte. Er schien nie Angst vor der Gefahr einer ansteckenden Krankheit zu haben oder jegliche Angst zu empfinden, einen seiner Patienten zu verlieren. Er pflegte immer zu sagen, dass ein Heiler keine Furcht kannte. Ein Heiler sei mit Maoilias verbunden, die ihn vor jeglichen Gefahren beschütze. Nael bezweifelte zwar diese Aussage und war der Meinung, dass es sich dabei mehr um Glück als Verstand handelte, dennoch musste er dem alten Heiler zum Teil recht geben. Angst sollte niemals jemanden davon abhalten, Hilfe zu leisten. 

»Es waren verheerende Zeilen«, setzte er an. Seine sonst so ruhigen, blauen Augen, die Nael an ein endloses Meer erinnerten, ähnelten jetzt hingegen einem aufgewühlten Meer bei Sturm. Egal was er gelesen hatte, es musste entsetzlich gewesen sein, denn die Worte blieben dem Heiler im Halse stecken. Immer wieder musste Nael mit ansehen, wie Galahad seinen Mund öffnete und etwas erwidern wollte, diesen aber anschließend ohne was Gesagtem schloss. Erst nachdem er Nael näher heran gewinkt hatte, beide die Augen des jeweilig anderen fixierend, murmelte Galahad leise nach kurzem Schweigen schwer hervorbringend:

»Der finstere Schatten ist bereit,
die letzten Strahlen des Lichts haben kaum noch Zeit.
Das ewige Gleichgewicht wird zerstört,
eine Prophezeiung ist erschienen, so hört:
Das Himmelzelt färbt sich langsam rot,
das Leben dann für immer tot.
Ein düsterer Feind zerstört das Lebensband,
das Königreich wird fallen durch seine Hand.«

Nael verschlug es die Sprache. Eine Prophezeiung. Im Ernst? Das war der banale Grund für Galahads wirres Benehmen? Galahad glaubte dem Unfug gewiss nicht, oder doch? Prüfend musterte er den alten Heiler, der schon wieder in den Büchern herumwuselte. Sein Lehrer würde nicht ohne Grund ein solches Benehmen an den Tag legen, wenn es nicht von Bedeutung wäre, dämmerte es ihm.

Wie findet ihr die Umschreibung des fehlenden Inhaltes von Naels Traum? Konnte man die Metapher verstehen? Mögt ihr eine solch reimende Prophezeiung? Ich muss zugeben, diese hat am meisten Schreibzeit in Anspruch genommen. Dichterin werde ich schonmal nicht :)

Der Bund der RabenmaskenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt