𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟓.𝟒: 𝐈𝐨𝐬𝐤𝐚𝐝

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Da lag ihr Vater nun. Alt. Schwach. Geschlagen.

Wie kam sie bloß auf die Idee, bei Galahad Hilfe zu ersuchen? Wie konnte sie nur ihrem behüteten Bau entschlüpfen? Sie war wie ein Maulwurf, blind gegenüber der Ungerechtigkeit der Gesellschaft. Sobald sie ihren Unterschlupf verließ, packten sie die gnadenlose Fänge ihrer Feinde.

Helena spürte die heißen Tränen auf ihren Wangen brennen. Die traurigen Glasperlen kullerten ihr Gesicht hinab, eine gefolgt von der nächsten. Sie schniefte. Wie gern würde sie zu Yorick rennen, aber die zwei Ritter hielten sie fest. Hatte sie denn überhaupt die Kraft, sich zu wehren?

Sie wollte ihr Gesicht in Yoricks zotteliges Haar drücken und zum letzten Mal seinen vertrauten, lieblichen Geruch einatmen. Sie wollte sich entschuldigen, ihn um Verzeihung bitten, aber sie konnte nicht. Sie würde es nie wieder können. Durfte sie denn überhaupt um Vergebung bitten?

Immerhin war der Buchdrucker tot. Sie war an seinem Tod maßgeblich beteiligt. Sie, Helena Kegan, hatte das Lebenselixier ihres Vaters an den Händen kleben. Niemals würde sie sich diesen Fehler verzeihen können. So blieb ihr nichts anderes übrig, als auf den Leichnam hinabzuschauen. Ihr Herz begann wild zu pochen. Sie schniefte erneut. Unweigerlich zog sie den metallische Geruch von Blut, der allmählich den ganzen Raum erfüllte, ein. Ihre Nase krauste sich.

Andererseits hatte sich ihr Vater für sie eingesetzt. Tagtäglich nahm er das Risiko, eines verachtenden Todes zu sterben, auf sich. Die letzten paar Minuten erzürnte sie und eine unkontrollierten Flamme verjagte die Trauer, löste sie damit aus ihrer Stockstarre. An all dem hier waren die Ritter und der König schuld! und der Gedanke verwandelte sich zu einem heftigen Unwetter. Zwar hielt Sir Cedric das Schwert, aber der König hatte es geführt. Unsichtbar.

Ihr Puls beschleunigte sich.
Dafür würden sie büßen und wenn es das letzte ist, was ich vollbringe.
Ihre Muskeln spannten sich an.
Wenn ich sterbe, wird dies nicht kampflos passieren.
Sie stemmte ihre Füße mit aller Kraft auf den Boden.
Ich werde sie mit in die Hölle nehmen!
Mit aller Kraft zog sie so fest sie konnte an den Fesseln, die sie an die Ritter kettete.

Es waren nur wenige Sekunden, in denen der Sturm der Gefühle in ihr wütete. Aber es genügte, um ihren Willen zu stärken, den niemand jemals wieder zerstören können würde. Dennoch kam die junge Frau mit ihrem Fluchtversuch nicht weit. Die beiden Ritter zogen sie mit Leichtigkeit zurück. Gefühllos drängten sie ihre Gefangene nach draußen. Ein letztes Mal wandte Helena ihren Kopf zu ihrem Vater um und spürte keine Sekunde später eine kraftvolle Hand im Nacken, die ihren Kopf schmerzhaft nach vorne richtete.

Mühelos führten die Ritter den Rotschopf nach draußen, wo sie von den grellen Sonnenstrahlen empfangen wurden. Sie wehrte sich, trat, biß und wandte sich unter dem eisernen Griff der Ritter, die ihre beiden Handgelenke fest umklammert hielten. Die Nägel der Krieger bohrten sich wie die messerscharfen Klauen eines Greifvogels, der mit seiner um sich beißende Beute mühelos davon flog, in ihre zarte Haut. Der Druck wurde so stark, dass sie meinte, dass ihre Knochen unter dem Kraftaufwand gleich brechen würden, doch zu ihrem Erstaunen blieben sie heil. Trotzdem trieb der unbekannte Schmerz ihr Tränen in die Augen, verschwammen ihre Sicht.

Unklare Bilder von verschreckten und zugleich neugierigen Stadtbewohnern erahnte sie. Entsetzt, weil sie von Rittern abgeführt wurde. Interessiert, was der Grund für ihre Festnahme war. Die angstvollen Blicke verfolgten sie, schienen sie auf ihrem Trauermarsch zu begleiten. Die Menschen machten einen großen Bogen um sie oder gaben den Weg frei.

Die Ritter trieben das Mädchen bis zu einer Holzkutsche, an der vorne ein Rappe eingespannt war. Er stand wie versteinert da, den Kopf gesengt, die Ohren flach angelegt. Neben der Kutschte standen vier weitere Rosse, die alle samt von der Rüstung Elidors geschützt wurden. Das Mädchen wurde an einem Braunen vorbeigeführt, dessen dunkles Auge auf sie gerichtet war. Sie starrte zurück und erblickte ihr verzerrtes Spiegelbild, das sich in dem Pferdeauge abzeichnete.

Der Bund der RabenmaskenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt