Kapitel 12.2: Der Fluss der Magie

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Bei dem zögerlichen Atemzug ergriff geradewegs Luft ihren ganzen Körper. Voller Erstaunen weiteten sich ihre Augen, in dessen Pupillen sich das gebrochene Licht des Mondes widerspiegelte.

Abermals atmete sie ein. Statt des kalten Wasser durchflutete erneut eine Brise ihre gereizten Lungen. Mit neuer Kraft begann ihr Herz in einem gleichmäßig Takt zu schlagen und ihr Bewusstsein kam zurück. Sie würde tatsächlich überleben. Überleben - Dieses eine Wort brannte sich in ihren Geist. Eine Symphonie des höchstens Glücks befiel das Mädchen, wie sie es noch nie zuvor empfunden hatte.

Sie sah sich um. Langsam und deutlich klarer wurde das bizarre Bild vor ihr. Als würde sie in einer großen Blase, bestehend aus Luft, im Wasser schweben. Wie war so etwas möglich?

Verzerrte, leuchtende Punkte in der Ferne erregten ihre Aufmerksamkeit. Selbst mit zusammengekniffenen Augen gelang es ihr nicht das Flackern zuerkennen. Es nahm erst eine deutlichere Gestalt an, als das Licht um sie herumschwirrte wie lauter, kleiner Goldfische, die sie umkreisten und ihr Haar mit einem leuchtenden Glanz überzogen.

Tanzende Flammen. Immer und immer mehr, bis sie der um sie herrschenden Kälte Einhalt geboten und ihren zierlichen Körper unter einer strahlenden Decke begruben. Wie eine zweite Haut legten sie sich dicht an sie, kitzelten über ihre Haut.

Keinen Herzschlag später zuckten die Schimmer zurück und fügten sich zu einer brennenden Gestalt zusammen, die Alenja an einen dunklen Umriss eines Vogels erinnerte, der in die Abendsonne am Horizont zu fliegen schien. Sie hielt die Luft an, ganz gelähmt von dem fremdartigen Anblick, nicht wissend, was sie fühlen, wie sie gar reagieren sollte.

Die Federn des Wesens waren beinahe durchsichtig und nur die tanzenden Flammen schien ihm eine grobe Form zu verleihen. Dann bemerkte sie die auf sie gerichteten, glühend roten Augen, in denen die Hölle zu flackern schien.

Alenja.

Wieder diese Stimme in ihrem Kopf. Diesmal klang sie so sanft wie die wärmsten Sonnenstrahlen, die einem an einem schönen Sommermorgen um die Nase kitzelten, und dennoch so stark wie der robusteste Feld im reißenden Fluss.

Das Mädchen ließ den angehaltenen Atem entweichen und blinzelte ein paar mal erwartungsvoll den Vogel an.

Wer bist du?

Diese Frage schwirrte in ihrem Kopf, doch sie traute sich nicht, den Gedanken laut auszusprechen.

Wer ich bin? Der Vogel hatte anmutig den Kopf erhoben, den Schnabel bewegte er aber nicht.

Oh, ich trage viele Namen. Aber die Menschen nennen meine Gestalt einen Phönix.

Die Stimme hallte in Alenjas Kopf nach, die noch immer nicht glauben konnte, was hier gerade geschah. Phönixe waren Kreaturen der Magie.

Dunkler Magie.
Verbotener Magie.
Tödlicher Magie.

Wie war dessen Existenz also möglich?

Nein, nein. Das ist die falsche Frage, die du dir stellst. Du bist der Grund, warum ich hier bin.

„Ich?"

Jede Hexe kann aus ihrer inneren Magiequelle ihre Seelengefährtin schöpfen.

Wie ... nein. Unmöglich. Alenjas Augen wurden groß. Magie? Ich bin keine Ioska!

Entrüstet schlug der Vogel mit seinen Flügeln, sodass ein paar Funken flogen.

Du bist auch keine Ioska. Diese Beleidigung haben uns die Menschen gegeben. Wertlose Kreaturen.

„Ich bin keine Hexe!", schrie Alenja.

Sieh dich doch um. Du bist in einer Blase unter Wasser. Du warst und wirst immer ein Teil der Magie sein. Ob du möchtest oder nicht.

Der Vogel hatte in diesem einen Punkt recht, wie sie zähneknirschend zugeben musste. Gewiss war dies hier alles andere als normal. Was war überhaupt normal? So langsam dachte sie, sie würde den Verstand verlieren. Sie kratzte sich am Kopf.

„Wer bist du?", wollte dir erneut wissen.

Ich bin Runa, dein Phönix. Deine innere Magiequelle und Seelengefährtin.

Der Vogel musste ihr Fragezeichen im Gesicht  gesehen haben, denn er erklärte: Schattenschwinge, wie du SIE nennst, hat lediglich den Funken in dir erwacht, aber er schlummert seit deiner Geburt in deinem Herzen. Du wirst es können, anders als deine Mutter.

Wartet. Ihr kanntet meine Mutter?

Natürlich. Sie war eine der begnadetsten Ioskas ihrer Zeit, bis zu ihrem Fehler.

Fehler? Welcher Fehler?

Der Bund der RabenmaskenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt