2.3 | Fatale Begegnung

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Jetzt stand er so dicht vor ihr, dass sie nur ihren Arm hätte ausstrecken müssen, um seine bebende Brust zu berühren. Der würzige Geruch, den sie bereits in dem Haus des Heilers gerochen hatte, wehte ihr erneut entgegen. Er roch nach den verschiedensten Kräutern, unter anderem der unverkennbare Duft nach Thymian gemischt mit einer Note Lavendel.

Sie nutzte die Gelegenheit, um ihn gründlich zu mustern. Das Licht zeichnete einen nicht so kräftigen Körper wie der König auf, war aber auch nicht schmächtig. Der Lehrling war ungefähr einen Kopf größer als sie und vielleicht ein oder zwei Jahre älter. Er trug ein einfaches, dunkelrotes Baumwollhemd, was sie an ihr eigenes Haar erinnerte, was vielleicht der Grund war, warum sie es nicht mochte. Über dem Shirt hatte er eine umbrafarbende Weste aus Fell und eine dazu passende, etwas hellere Stoffhose und passende Lederschuhe.

Nachfolgend fixierten ihre funkelnden Augen seine Wachsamen und Klaren. Sie waren bernsteinfarben und wirkten wie flüssiges Gold, in dem sie zu ertrinken drohte. Es schien, als würden sie das rothaarige Mädchen rufen, ein Verlangen nach Reichtum in ihr wecken, dass immer lauter und dominanter wurde. Die mysteriösen Augen zogen sie in einen Bann, bis sie meinte, dass sie gleich in seine Seele sehen würde.

Und dann sah sie es.

Trotz der warmen Farbe flimmerte ein versteckter, eisiger Schein in ihnen. Was es nur war? Möglicherweise die Gier nach Macht? Ein Geheimnis? Oder eine Erinnerung an ein Geschehnis? Sie selbst wusste nur zu gut, dass manche Wunde äußerlich heilten, aber innerlich tiefe Narben für die Ewigkeit zurück ließen. Je länger sie in seine Augen schaute, desto mehr spürte sie, dass tief in seinem Mark, seiner Seele, etwas lauerte, dass er um jeden Preis verbergen wollte. Es war wie ein brüllender Löwe, gefangen und gut gesichert in einem Käfig.

Sein Gesicht war oval und es wies rote Wangen auf, ob sie immer so aussahen oder nur durch die Aufregung, konnte sie nicht sagen. Seine Augen hatten die Form eines Raubtieres, seine Nase war dünn sowie gerade und seine vollen Lippen rot wie Blut. Seine Haut sah eben und weich aus, worauf so manches adliges Mädchen neidisch sein würde. Er hatte etwas zottliges, schulterlanges, dunkelbraunes Haar, das sich kaum von der pechschwarzen Nacht abhob.

Die Rothaarige mochte ihn nicht. Seine Augen, seine ganze Aura, hypnotisierten sie, als könne man ihm alles anvertrauen. Sie fühlte sich schutz- und kraftlos in seiner Nähe. Etwas in ihrem Inneren werte sich dagegen. Sie hasste dieses Gefühl. Sie brauchte von niemanden Hilfe, ganz besonders nicht von einem Heilerlehrling.

Plötzlich quetschte er sich ohne Vorwarnung  an ihr vorbei. Überrumpelt von seinem Verhalten trat sie zurück und ließ ihn gewähren. Dabei berührten sich flüchtig ihre Arme und die Berührung fühlte sich wie knisternde Spannung an. Rasch zog sie ihren Arm weg und schloss die Tür. Wo er schonmal hier war...

»Wo ist Yorick?«, fragte er und kam damit gleich zur Sache. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er sich die Heilertasche umgehängt hatte. Leicht verwirrt sah sie ihn an. Hatte Galahad seine Meinung doch geändert und an seiner Stelle seinen Lehrling geschickt?

»Hat Galahad seine Meinung geändert?«, platzte es aus ihr heraus. Sie hatte schon öfter gesagt bekommen, dass sie doch ihre Zunge im Zaum halten solle. Das war einfacher gesagt als getan. Manchmal redete sie laut, bevor sie überhaupt eine Sekunde über das Gesagte nachgedacht hatte.

Glücklicherweise schien es dem Jungen nichts auszumachen. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen und seinen Augen funkelten amüsant. Na toll, dachte die Rothaarige. Wenn er sie aufgrund ihrer Haare nicht für naiv hielt, dann spätestens jetzt bei ihrem vorlauten Mundwerk.

»Es ist gar nicht höflich von Ihnen, mir mit einer Gegenfrage zu antworten«, stellte er klar. Ertappt färbten sich ihre Wangen rot wie Tomaten und sie wandte rasch den Kopf ab. »Er ist hier vorne« und sie deutete mit einer Kopfbewegung auf das Nachbarzimmer.

Sofort vernahm sie seine Schritte und folgte ihm mit etwas Abstand. Sie beobachtete, wie er, bevor er ins Zimmer eintrat, irgendwas aus der Tasche hervorzog, dann in seinem Gesicht rumfuchtelte und schließlich über die Schulter blickte. Ihr Herz hörte für wenige Sekunden auf zu schlagen und ihre Pupillen weiteten sich vor Entsetzen. Ein trockener Schrei entfuhr ihrer Kehle, ehe sie ihre Hände vor ihren Mund hielt.

Er trug eine rabenartige Maske, die sein komplettes Gesicht bedeckte. Lediglich die braunen Haare fielen über diese. Die Maske war komplett schwarz und wo eigentlich hätte Nase und Mund sein sollen, formte sich die Maske zu einem abstehenden, gekrümmten Schnabel. Über den Augen trug der Heilerlehrling eine Art geschlossene Brille, die mit der Maske verschmolzen war.

Sie hörte, wie er lachte. Es klang zwar bedingt durch die Gesichtsbedeckung fremd, jedoch war der amüsante Tonfall nicht zu überhören. »Hahaha, seeehr witzig!«, sagte sie ironisch und blickte finstern drein. »Es ist gar nicht höflich, eine feine Dame so zu erschrecken.«

Er zuckte nur mit den Schultern und trat in das Zimmer von Yorick, der den Kopf hob, ein. »Galahad?«, fragte Yorick verwundert mit brüchiger Stimme. Bevor der Lehrling etwas erwidern konnte, erklärte die Rothaarige: »Nein, das ist... ehm« und ihr Blick schweifte fragend zu dem Fremden. Ja, wie hieß er überhaupt? Wie lautete sein Name?

»Mein Name ist Nael Caradoc. Ich bin der Lehrling von Galahad«, erklang es schallend unter der Maske. Nael? Diesen Vornamen hatte sie noch nie zuvor gehört. Und Caradoc hörte sich sehr edel an. Sie vermutete, dass er aus einer wohlhabenden Familie stammte, was zumindest sein schickliches Benehmen erklären würde.

In der Zwischenzeit hatte Nael mit der Untersuchung begonnen und tastete vorsichtig Yoricks Stirn und Bauch ab. Ab und zu verließen Laute wie »Aha« oder »Oh je« seine Kehle. Bangend stand die junge Frau hinter ihm und hoffte inständig, dass sie mit ihrer Prognose fehl lag. Sie musste einfach falsch liegen.

Eine Weile betrachtete sie die beiden schweigend, dann packte sie die Ungeduld und sie fuhr Nael an: »Und? Warum dauert das denn so lange? Was fehlt ihm?« Dabei klang ihre Stimme wütender als beabsichtigt, doch der Lehrling blieb ruhig, stand auf und führte sie aus dem Raum. Nachdem er die Tür leise geschlossen hatte, setzte er die Maske ab, seine Augen glänzend vor Kummer. Er brauchte nichts zu sagen, denn seine Augen verrieten alles. Oft konnten Augen mehr als tausend Worte aussagen.

»N... Nein«, stotterte die Frau. Mehr brachte sie nicht zu Stande. Er jedoch nickte leicht und bestätigte damit ihren Verdacht. In Naels Blick lag so viel Mitgefühl, dass ihr davon schlecht wurde. Vor ein paar Tagen ging es Yorick doch noch gut und jetzt sollte er im Sterben liegen? Das durfte nicht wahr sein, es konnte nicht wahr sein. Sie brauchte ihn doch. Was sollte sie bloß ohne ihn machen?

Brennende Tränen bildeten sich in ihren Augen und ihre Sicht verschwamm. Mit einem Schluchzen wischte sie die glänzenden Wasserperlen fort, aber sofort sammelten sich Neue an, die auf einmal ihren ganz bleichen Wangen hinab rollten. »Helena, es tut mir so«, begann Nael. Ehe er seinen Satz vollenden konnte, unterbrach die Rothaarige ihn barsch. Sie hob drohend ihre Hand und sprach warnend: »Sag es nicht! Es ist noch nichts verloren.«

Forschend blickte er sie an, während sie den Blickkontakt vermied und weg sah. Sie merkte, wie seine warmen Augen auf ihr ruhten und sie zu durchbohren schienen, was sie aus irgendeinem Grund rasend machte. Kühn hob sie ihren Kopf und funkelte ihn an, wobei ihr eine rote Haarsträhne ins Gesicht flog. »Was ist?«, zischte sie und hätte in diesem Augenblick jeder Schlange Konkurrenz gemacht.

Besänftigend hob Nael seine Arme. Man unterstellte Rothaarigen, das sie temperamentvoll waren, fuhr es ihr durch den Kopf. Warum sollte sie dieses Klischee dann nicht auch erfüllen? Immerhin mochte sie es gar nicht, forschend beobachtet zu werden. Und schon gar nicht von einem Mann.


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Oh je, es wird noch einen vierten Teil des zweiten Kapitels geben. 2500 Wörter fand ich dann doch etwas zu viel für einen Teil, weshalb ich kurzerhand beschloss, das zweite Kapitel in vier zu teilen. Ich hoffe, dass es euch nicht stört :)

Der Bund der RabenmaskenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt