»Verdrängte Sehnsüchte«

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»Was soll das bedeuten?«, drang die genervte Stimme von Enzo Rodriguez gereizt durch die Tür des Vorlesungssaals. »Hören Sie mir zu, wir besprechen das später. Und ich hoffe für Sie, dass Sie genauere Informationen haben, wenn nächstes Mal Ihr Telefon klingelt. Für solch minderwertige Vermutungen verschwende ich nicht meine Zeit!« Kurze Stille folgte. »Nichts aber, Kelter. Ich haben Ihnen gesagt, sie sollen mich zurück rufen, sobald sich Ihr Verdacht bestätigt. Bis her haben Sie mir noch keinen Grund genannt, der diesen belegen würde.« Ein Rascheln folgte auf diese unfreundlichen Worte und ich realisierte, dass er das Gespräch wohl beendet hatte.

»Sara! Schätzchen, wie geht's?«, erklang die zuckersüße Stimme von Cynthia Baker direkt hinter mir, sodass ich ertappt zusammenzuckte. »Angst vorm Betreten der Vorlesung?« Kritisch beäugte sie meinen Oversized-Pullover und mein beinahe ungeschminktes Gesicht. Ich war das komplette Gegenteil von ihr. Alleine die unendlich lang erscheinenden Beine von Cynthia Baker stellten mich in den Schatten, doch wenn man dann ihr schneeweißes Lächeln erblickte und in ihre Augen schaute...spätestens dann wusste man, wer eines der begehrtesten Mädchen unseres Semesters war. Und das war offensichtlich nicht ich.

»Komm. Du siehst aus wie ein verschrecktes Reh, da drinnen wird dich schon keiner angreifen«, meinte sie augenrollend und hakte sich bei mir ein. »Ich habe gehört, dass mit dir und Nick ist vorbei.« Ihre Augen richteten sich neugierig auf mein Gesicht. »Das tut mir wirklich leid. Ihr seid ein schönes Paar gewesen.«

»Es ist besser so«, entgegnete ich nur schlicht und ignorierte den Schmerz, der sich am Liebsten wieder in die Gegenwart kämpfen wollte. Cynthia war das erste Mädchen, die mich seit dem Betrug von Nick direkt auf ihn ansprach.

»Ja natürlich. Geht es nicht allen nach einer Trennung so?« Abwinkend lächelte sie mich aufmunternd an. »Wie siehts aus? Wenn du möchtest verdränge ich Nick von seinem Platz neben dir.«

»Ähm...«, stotterte ich nur überfordert, doch Cynthia nickte schon entschieden.

»Das dachte ich mir. Setz dich doch schon mal hin, ich spreche das mit Mister Rodriguez ab.«

»Aber..«

»Keine Sorge, den Grund werde ich ihm wohl kaum verraten. Er ist immerhin noch unser Prof, wenn auch ein sehr heißes Exemplar.«

»Wenn du meinst...«, murmelte ich nur, als sie sich schon freudestrahlend von mir abwendete und ich mich kurz darauf erleichtert auf meinen Platz fallen ließ. So gerne ich auch ihre perfekte Erscheinung hassen, ihre Makellosigkeit mit einem hässlichen Charakter rechtfertigen wollte, konnte ich das nicht. Cynthia war nicht wie die meisten ihrer gut aussehenden Freunde. Sie hatte was im Kopf und sie besaß Anstand. Auch wenn sie meinen Geschmack von schlichter Kleidung nicht teilte und mir deswegen des öfteren einen kritischen Blick zuwarf, begrüßte sie mich stets mit strahlenden Augen. Ich kannte wirklich niemanden, der sie nicht leiden konnte und wenn nur jene, die sie beneideten.

Getuschel drang zu mir und holte mich aus meinen tiefen Gedanken zurück in die Realität. Unbeabsichtigt flog mein blick auf Cynthia, die sich am Pult mit Enzo unterhielt. Elegant hatte sie sich eine Strähne hinter die Ohren geschoben und schien ihn beinahe mit ihrem Blick zu vernaschen. Mindestens genauso konzentriert lagen Enzos Augen auf ihrer atemberaubenden Erscheinung und sogen ihren Anblick förmlich in sich auf.

»Na, Blondchen?«, erklang die Stimme von Nick neben mir, der sich gerade auf den Platz neben mir setzen wollte. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr wie sich Cynthias und Enzos Kopf beinahe zeitgleich zu uns drehten.

»Na, Betrüger?«, erwiderte ich nur trocken und legte meine Hand bekräftigend auf die Tasche auf dem Stuhl neben mir.

»Sehr witzig.« In seinen Augen erschien ein Funken von Wut. »Würdest du bitte deine Tasche von meinem Sitz nehmen?«

The Only OneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt