»Die letzte Nacht«

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Mit meinem Cocktail in der Hand, lehnte ich lässig an der Bar und ließ meine Augen über die knapp bekleideten Körper der weiblichen Gäste gleiten. Lachend schwangen sie ihre Hüften zu den hippen Beats. Selbst ihre Füße in den unmenschlich hohen Schuhen, hielten ihrem angetrunkenen Zustand stand. Auch ich spürte das gefährliche Gift bereits in meinem Körper. Sinnlich benebelte es meine Gefühle und ließ das schmerzliche Erlebnis in den Hintergrund rücken.

Schon bereits zwei Wochen befanden Jazz und ich mich in Neuseeland und hatten nichts anderes getan, als meine Trauer in den späten Abendstunden mit Alkohol zu betäuben. Das Mittel, welches ich innerlich dafür verfluchte, dass mein Vater sich verändert hatte und es auch noch zuließ. Und jetzt stand ich selbst mit genau diesem Zeug in der Hand an der unendlichen Bar dieses modernen Clubs. Doch was blieb mir anderes übrig? Während die Tagesstunden im Marathon an mir vorbeiliefen und kein einziger Gedanke an Nick verschenkt wurde, rückte er sich in der Nacht in mein Bewusstsein und ließ mich wie einen Klumpen voll von wütender Trauer umherstehen. Nachdenklich wanderten meinen Augen über die traumhafte Kulisse des Lokals. Bis in die letzte Ecke pulsierte der Beat und auch über mir wurde getanzt. Eine weitere Etage, in der sich nur die hoch angesehenen Gäste des Clubs befanden und dessen VIPs Unmengen an Geld zurückließen.

In den vergangenen Nächten hatten Jazz und ich bereits des Öfteren bemerkt, wie sich die männlichen Gäste unschuldige Mädchen von hier unten schnappten. Ihr Reichtum bewirkte für viele der Damen eine Art der Bewunderung und zusätzlich sahen die meisten von ihnen auch noch sehr ansehnlich aus. Eine Kombination, die gefährlich war. Das wusste ich nur zu gut.

Auch wenn Nick immer in dem chinesischen Restaurant gearbeitet hatte, war er genau einer von diesen Männer. Ihr Anblick verzauberte die Damen, ihr Vermögen verschaffte ihnen Ansehen und ihr Charme machte den Rest. Nick hatte es zwar am Anfang nie deutlich gezeigt, doch seine Familie besaß Geld und damit meine ich nicht gerade wenig. Noch vor unserer Insolvenz mussten sie mehr als wir besitzt haben.

»Jetzt komm doch mit tanzen!« Auffordernd hüpfte Jasmine vor meiner Nase herum. Ein männlicher Arm an ihrer Taille, dessen Besitzer sie anzüglich angrinste. Seine Absichten waren eindeutig. Ihm wäre es womöglich lieber, wenn er sie für sich alleine hatte.

»Nein, geht ruhig«, verneinte ich abwinkend und genehmigte mir einen weiteren Zug aus dem in Sex on the Beach getauchten Strohhalm. Ein herrliches Getränk.

»Auf gar keinen Fall! Das hier ist unser letzter Abend«, widersprach sie mir entschieden. »James würde sich auch freuen, wenn du mitkommen würdest, oder?« Ihr Blick legte sich auf ihren Begleiter. Dümmlich grinsend nickte er zustimmend.

Er musste schon so viel intus haben, dass er wohl kaum verstand, was Jasmine von sich gab. Seine Augen waren unangenehm starr auf ihre ausladende Oberweite fokussiert.

»Geht doch schon mal tanzen und ich komme gleich nach!«, schlug ich ihr vor.

An dem Ausdruck in ihrem Gesicht erkannte ich, dass sie genau wusste, dass ich das nicht tun würde. Doch sie ließ mich zufrieden. Augenverdrehend griff sie nach der anderen Hand ihres Begleiters und verschwand mit ihm in der tanzenden Menge.

»Könnte ich davon bitte noch einen haben?« Fragend warf ich dem Barkeeper einen flehenden Blick zu und deutete auf meinen fast leeren Sex on the Beach. Grinsend nickte er und griff nach den Eiswürfeln hinter sich. Seufzend drehte ich mich mit meinem letzten Rest in den Händen in die Richtung der flackernden Scheinwerfer.

»Bitteschön«, erklang seine Stimme kurz darauf und ein Swimmingpool glitt in mein Sichtfeld.

»Den habe ich nicht bestellt.« Verwirrt starrte ich auf das blaue Gesöff. Sahne hatte in meinem Cocktail einfach nichts zu suchen.

»Aber ich dachte, du solltest vielleicht mal etwas anderes versuchen«, entgegnete er grinsend und zwinkerte mir zu. Mein Gesichtsausdruck blieb jedoch abgeneigt. »Ach Schätzchen, das war doch nur ein Spaß.« Theatralisch hob er seine Hände in die Luft. »Der ist nicht von mir, sondern von einem jungen Geschäftsmann«, klärte er mich auf und deutete auf die VIP Lounge über mir. »Also trink ihn entweder oder lass ich stehen. Ich mach dir noch einen Sex on the Beach.«

Überrascht weiteten sich meine Augen und neugierig wanderte mein Blick zu der Galerie nach oben, doch außer einer kurzen Bewegung am Rande des Geländers konnte ich nichts erkennen.

»Jetzt komm schon!«, erschreckte mich die Stimme von Jasmine und ließ mich meinen Blick von dem Gelände abwenden.

Es spielte ohnehin keine Rolle. Bestimmt hatte er mit meiner langweiligen Erscheinung Mitleid gehabt, so einsam wie ich hier an der Theke stand. Auch wenn ich mir für die heutige Nacht vorgenommen hatte, die Sau rauszulassen und die männlichen Gäste mit meinem roten Kleid zu verzaubern, lag zwischen der Idee und der Realität ein großer Unterschied. Selbstvertrauen erhielt man nicht einfach von der einen auf die andere Sekunde. Bevor ich mich richtig fallen lassen konnte, musste wenigstens ein wenig Alkohol durch meinen Körper fließen.

»Wo hast du denn deinen Freund gelassen?« Verwundert verzogen sich meine Augenbrauen, als ich die leere Stelle neben ihr erblickte. Sie hatte ihr dümmliches Anhängsel hinter sich gelassen.

»Der wurde mir zu anstrengend. Außerdem will ich den letzten Abend mit dir genießen. Wer weiß wie schnell ich nochmal nach Neuseeland komme?« Glücklich zwinkerte sie mir zu und legte ihre Hände bittend aneinander.

»Meinetwegen«, knickte ich ein und stellte meinen nun leeren Cocktail auf den Tresen.

»Und was ist mit deinem neuen?«, mischte sich der Barkeeper ein und stellte diesen gerade auf die Ablage. Vorwurfsvoll zog er seine eine Augenbraue nach oben.

»Hier!« Augenverdrehend knallte ich ihm einen zwanziger auf den Tisch und ließ mich von Jazz zur Tanzfläche ziehen. Wenn ich das Geld meiner Mutter schon nutzte, dann richtig. Schaden würde es ihr wohl kaum. So selten wie ich ihren Reichtum berührte, scherte ich mich herzlich wenig um diesen verschenkten Schein.

Mit dem betäubenden Alkohol im Körper und der hinreißenden Stimmung um uns herum, ließ auch ich mich von der Musik treiben und bewegte meine Beine zu dem flippigen Beat. Mein merkwürdiger Begleiter? Ein immer währendes Gefühl, wachsame Augen auf mir zu haben. Augen, dessen Besitzer ich noch nicht kannte.

The Only OneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt