»Studentenverbindung«

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„Prost, Süße!«, sagte ein gut aussehender Kerl neben mir und stieß unwillkommen sein Getränk gegen meines. »Bist du sicher, dass deine Erscheinung hier erlaubt ist? Du siehst so granatenscharf aus, dass man ja glatt Angst haben muss, dass du hoch gehst und mich mit dir reißt!" Mit einem Lächeln, das wohl verführerisch wirken sollte, lehnte er sich zu mir, während sein Gestank nach Alkohol, die Luft um mich herum immer mehr verpestete.

»Das hättest du wohl zu gerne, Kollege«, meinte ich nur abgeturnt und wedelte mir mit meiner Hand vor meinem Gesicht herum. »Bevor wir im Bett landen, hängt dein Kopf schon nach Erlösung schreiend über der Kloschüssel. Nüchtere dich mal besser aus, Freundchen.« Grinsend klopfte ich ihm auf die Schulter und entfernte mich von der Getränkeausgabe. Jazz und ich waren erst seit kurzer Zeit hier und schon hatte ich sie verloren. Eigentlich sollte diese Studentenfeier nur als kleines Vorglühen fungieren, damit wir danach weiter in den Club konnten. Doch je mehr Personen ich begegnete, desto mehr wurde mir bewusst, dass ich die meisten nicht kannte. Und eben diesen Unbekannten floss der Alkohol schon förmlich aus den Augen.

»Hey, Johnson! Warte doch mal!«, schrie mir eine bekannte Stimme über der Lautstärke der Musik zu und drängelte sich durch die tanzende Menge. »Ignorierst du mich etwa?« Gespielt traurig blickte er mich mit schmollendem Mund an. »Dabei bin ich doch so ein begehrenswerter Gentleman.«

»Louis, ich ignoriere dich nicht, ich habe dich einfach nur nicht gesehen.«

»Ach, so langweilig bin ich?«

»In der Tat!«

»Johnson, mach mal halb lang, sonst nehme ich das noch ernst«, erwiderte er auf meine letzten Worte und erschlich sich ein Lächeln meinerseits. »So gefällst du mir definitiv besser.« Bekräftigend nickte er und legte seinen Arm um meine Schulter. »Und wo hast du deine bessere, ebenso schlagfertige, Hälfte gelassen?"

»Eine verdammt gute Frage, die ich leider nicht beantworten kann.« Schulterzuckend nahm ich einen Schluck aus meinem roten Pappbecher und ließ meinen Blick forschend über die Menge gleiten. »Bin ich die Einzige, die hier kaum jemanden kennt?«

»Definitiv nein. Aber genau das ist ja das beste daran. Wenn dich keiner kennt, kann sich später auch keiner beschweren.« Mit einem verschmitzten Grinsen wanderte sein nachdenklicher Blick über die Kurven einer jungen Dame in der Nähe von uns unscheinbaren Gestalten.

»Louis!« Empört stieß ich ihm in die Seite. »Damen solltest du nur ausnutzen, wenn sie es selbst auch wollen. Und glaub mir, verliebt sie sich in dich, dann wird sie dich so oder so finden.«

»Meinst du damit, wenn sie ein wenig Spaß haben will, dann soll ich mich ihr willenlos hingeben? Dazu bin ich allzeit bereit!« Selbstbewusst reckte er seine Faust in die Luft. »Ich bin der Retter der weiblichen Libido und der Eroberer der Orgasmen!«

»Ein Blödmann bist du auch«, warf ich augenrollend ein und erntete ebenfalls einen Hieb in die Seite.

»Dann gibts du also zu, dass ich ein Gott im Bett bin?« Mit einer hochgezogene Augenbraue kam sein Gesicht meinem gefährlich nahe. »Dass ich das endlich zu hören bekomme, unfassbar. Hast du das gehört?« Louis drehte sich zu der nächstbesten Person um. Ein unschuldig aussehendes Mädchen, welches ihn verdattert anblickte.

»Was?«, entgegnete sie irritiert und drehte sich zu ihm.

»Johnson hat zugegeben, dass ich der Sexgott in Person bin!«

»Also so würde ich das jetzt nicht sagen, das...«, begann ich, doch wurde direkt wieder von ihm unterbrochen. »Klappe Johnson, was man einmal sagt, kann man vor Scham nicht mehr zurücknehmen.« Als ich ihm gerade erneut widersprechen wollte, entdeckte ich, wie das Mädchen ihn interessiert anblickte. Unfassbar. Ich hatte Louis durchschaut. Das war also seine Masche. Grinsend und augenrollend zugleich ging ich an ihnen vorbei und warf Louis ein Zwinkern zu, als die junge Studentin mich nicht mehr sehen.

»Das merke ich mir!«, hauchte ich mit meinen Lippen und deutete tadelnd mit dem Finger auf ihn. Seine einzige Reaktion? Dieses verschmitzte Grinsen, welches ich in den letzten Tagen zu oft gesehen hatte.

»Da bist du ja!«, holte mich Jazz vorwurfsvolle Stimme aus dem Blickduell mit Louis und ließ mich zusammenzucken. »Ich habe dich schon überall gesucht. Josy ist mit irgendsoeinem Typen nach oben verschwunden und Cynthia hat sich schon längst mit ihrem neuen Freund davongemacht. Was mich zu dem Schluss bringt, dass wir auch noch ein wenig Spaß haben sollten.« Kurz holte Jazz Luft und deutete dann mit dem Finger hinter mich. »Die da hinten haben vorgeschlagen eine Runde Flaschendrehen zu spielen und da es erst 21.00 Uhr ist und die Stimmung im Club jetzt eh noch lahm wäre, dachte ich, wir könnten eine Partie mitmachen.«

»Jazz, du weißt...« – »Nichts da ich weiß! Du warst die, die gesagt hast, dass du ab jetzt tun und lassen wirst, was du willst. Und da dich Typen ja nicht mehr ernsthaft interessieren, macht es dir bestimmt nichts aus, wenn du ein paar intimere Aufgaben machen musst. Mehr als ein unschuldiger Kuss auf dem Mund passiert doch sowieso nicht. Guck sie dir doch an, die sind alle stockbesoffen.«

»Das will ich aber gar nicht tun, das weißt du...« - »Nein, keine Widerrede. Dieses eine Mal wirst du schon überleben.« Entschieden griff sie nach meiner Hand, zog mich hinter sich her und ich ließ es geschehen. Sie hatte Recht. Ich musste nichts machen, was ich nicht wollte. Ich konnte aufhören, wann ich wollte und außerdem würden wir ohnehin nicht mehr allzu lange hierbleiben.

»Hey Leute! Ich habe sie überredet bekommen«, meinte Jazz grinsend und streckte ihre Hand dem Typen vor uns aus. »Rück den Fünfer raus, Freundchen.« Mit zusammengezogenen Augenbrauen blickte der Typ Jazz an und fummelte einen zusammengefalteten Schein aus seiner Hosentasche.

»Du hast um mich gewettet?«, flüsterte ich Jazz zu.

»Nein, ich musste meine Pflicht erfüllen. Er wollte, dass du mitspielst«, meinte Jazz nur schlicht und deutete auf Cole. »Er steht ja ohnehin nicht auf Frauen, daher dachte ich, es wäre egal...«, doch als unsere Blicke auf den besagten jungen Mann fielen, verstummte sie. Mit besitzergreifenden Händen hatte er die Frau auf seinem Schoß an sich gezogen und kämpfte mit seiner Zunge gegen die Eroberung ihrer.

»Ah ja, da wäre ich mir an deiner Stelle ja nicht so sicher. Aber immerhin, er ist beschäftigt«, erwiderte ich mit einem kritischen Blick und ließ mich auf den Boden fallen. »Jazz, denk aber dran, um spätestens 1.00 Uhr müssen wir nach Hause. Du weißt ja, was morgen ist oder hast du das schon vergessen?«

»Also bitte, meinen Geburtstag würde ich doch niemals vergessen«, meinte sie mit einem breiten Grinsen. »Aber die Anstellung deines Vaters müssen wir doch wenigstens heute schon ein wenig vorfeiern!«

»Na dann, los geht's!«, erklang Coles Stimme aus dem Nichts. Innerhalb weniger Sekunden hatte er seine Lippen von der ihren gelöst und blickte mich aus neugierigen Augen an. Entschieden griff er nach der Flasche. In unglaublicher Geschwindigkeit drehte sie sich vor mir. Unsicherheit kämpfte sich in mir empor, die ich versuchte herunterzuschlucken. Doch in dem Moment, indem er mich ansah, wusste ich, dieses Spiel war eine ganz blöde Idee. Betrunkene Menschen waren noch unberechenbarer als Nüchterne. Und so traf mich das Schicksal im wahrsten Sinne des Wortes. Das Flaschenende zeigte auf mich und mir wurde bewusst, Cole war der unberechenbarste von allen.



❋   ❋   ❋  

Na, was sagt ihr zu unserem neuen Gentleman?


The Only OneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt