»Alte Heimat, Neues Zuhause«

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»Ich bin wieder da!«, rief ich, als ich die schwere Tür unsanft aufstieß und meinen schweren Koffer hinter mir her zog. »Wo bist du?« Keine Antwort folgte auf meine Frage.

Irritiert trat ich in das dunkle Wohnzimmer und entdeckte kein Lebenszeichen meines Vaters. Hatte er sich schon so sehr über den Durst getrunken, dass er selbst die Rückkehr seiner einzigen Tochter vergaß? Besorgt ließ ich meinen Koffer am Eingang stehen und sprintete panisch die Treppe hoch. Doch als ich in dem Schlafzimmer meines Vaters ankam, musste ich erkennen, dass er nicht vor Ort war. Verwundert lief ich wieder nach unten und entdeckte eine einsame Nachricht auf dem Küchentresen.

Hallo Sara,

mach dir bitte keine Sorgen. Ich bin auf einem Vorstellungsgespräch und habe dir absichtlich noch nichts davon erzählt. Erst wollte ich mir wirklich sicher sein, dass ich dort auch erscheine. Mittlerweile habe ich erkannt, dass es Zeit ist, etwas zu ändern und das beginnt mit einer neuen Stelle und der Unterlassung von Alkohol. In den Schränken wirst du jedenfalls keinen Tropfen mehr vorfinden. Ich möchte wieder zu meiner alten Stärke zurückfinden und gebe mich mit dieser Niederlage nicht zufrieden. Auch wenn es deine Mutter nicht mehr zurückbringen wird, so will ich wenigstens wieder ein glückliches Lächeln in deinen Augen lesen und keinen besorgten Ausdruck erblicken.

Joseph Johnson

Mit Tränen im Gesicht starrte ich das feine Papier in meinen Händen an und konnte nicht fassen, dass der Moment endlich gekommen war. Ausgerechnet in meiner Abwesenheit, hatte er sich dazu entschieden seine Traurigkeit hinter sich zu lassen und sich erneut in das Ungewisse zu stürzen. Im Gegensatz dazu, machte ich mir fast tagtäglich Gedanken über seinen Zustand. Ich konnte mir nicht sicher sein, wie sehr er dem Alkohol verfiel, wenn ich nicht zuhause war. Zweifel, die mich auch begleiteten, als Jazz und ich den Beschluss fassten, eine eigene WG nahe unserer Universität zu gründen. Sorgen, die mich belasteten und mir einredeten, dass ich eine schlechte Tochter war. Ein Mädchen, das ihren eigenen Vater im Stich ließ und stattdessen nur noch am Wochenende bei ihm sein würde. Doch nun konnte ich mir mein Lächeln nicht verkneifen. Er war auf dem Weg der Besserung und das ganz ohne meine Hilfe. Er hatte sich bei einem Unternehmen beworben und ein Vorstellungsgespräch ergattert, ohne dass ich ihn dazu ermutigen musste. Ich konnte gar nicht stolzer sein, als in diesem Moment. Wenigstens ging es in dem Leben meines Vaters wieder bergauf und das war die Sache, die für mich am meisten zählte. Neben Jazz war er die wichtigste Person in meinem Leben. Und auch wenn er Recht damit hatte, dass seine Entscheidung Clarissa nicht mehr zurückholen würde, wusste ich, dass es das Richtige für ihn war. Er musste dem Loch voller Trauer entkommen und endlich wieder eine Routine in seinem Leben finden. Eine neue Zukunft, auf die Clarissa Johnson keinen Einfluss hatte. Sie war die Verräterin und nicht mein Vater. Er hatte den Fehler gemacht, aber sie uns verlassen. Joseph musste begreifen, dass es nicht seine Schuld war und der neue Blickwinkel in das wahre Leben würde ihn dabei helfen. Da war ich mir sicher.

»Unser Vermieter hat mich gerade angerufen. Wir können die Wohnungsschlüssel morgen bei ihm abholen! Das heißt endlich Kisten packen, Sara. Der unvergessliche Start in unsere nächsten Semesterwochen kann beginnen!«, erschien die begeisterte Nachricht von Jazz auf meinem Smartphone.

Plötzliche Freude durchfuhr mich und obwohl ich unfassbar müde von dem langen Flug war, schaffte es mein Körper sich in die Lüfte zu katapultieren und vor Glück zu springen. Tatsächlich verlief alles glatt, keine bösen Überraschungen mehr wie in den letzten Wochen. Ein Fluch, der wohl beendet zu sein schien. Grinsend griff ich nach meinem Koffer und kam schnaufend am oberen Ende der Treppe an. Entschieden feuerte ich die dreckige Kleidung in die Waschmaschine und spazierte voller Vorfreude in mein Zimmer. Auch wenn mich die Müdigkeit eigentlich übermannen müsste, konnte meine plötzliche Motivation kein Ende finden. Ehe ich mich versah, kramte ich schon eine alte Kiste heraus und begann die ersten Sachen einzupacken. Bücher, die wichtigsten Begleiter meines Lebens, positionierte ich feinsäuberlich in meinem Karton und konnte zugleich nicht fassen, dass ich tatsächlich umziehen würde.

»Wollen wir morgen direkt einen Blick reinwerfen und unsere gekauften Möbel rüber transportieren? Josy hat bestimmt Zeit«, textete ich Jazz und verharrte neugierig in meinem Schneidersitz auf dem Boden. Ich konnte es kaum erwarten.

»Auf jeden Fall. Wir haben Wochenende, bis Sonntag sollten wir am Besten fast alle unsere Möbel in der Wohnung haben. Du willst doch bestimmt ohne Stress in die nächste Uniwoche starten oder nicht? Du weißt ja, ich lege darauf keinen allzu großen Wert, aber bei dir ist das schließlich etwas anderes«, blitzte mir die Nachricht von Jazz entgegen und mein stetiges Lächeln vergrößerte sich noch mehr.

»Perfekt! Dann sag ich Josy heute Abend noch Bescheid und morgen früh geht es los!«, entgegnete ich entschlossen und legte mein Smartphone vorerst zur Seite.

Eine lange Nacht voller Kartons würde noch auf mich warten und ich war nicht bereit dazu, meine wertvollen Bücher in diesem Zimmer zurückzulassen. Alles was ich mit diesem Raum verband, hing mit meiner Mutter zusammen und auch wenn ich meinen Vater über alles liebte, bedeutete die Wohnung mir jetzt schon unfassbar viel. Es war mein Zufluchtsort, fern von Problemen und den andauernden Gedanken an meine Mutter. Endlich konnte ich auf eigenen Beinen stehen, zwar mit der Unterstützung von Clarissas Geld, aber bis auf die Telefonate war sie kein Teil mehr meines Lebens. Und wer weiß, vielleicht würde ich auch schneller als erwartet, einen Job in der Nähe vom Campus finden? Dann wäre ich zumindest nicht mehr allzu stark von ihr abhängig und mein Vater könnte sich vollkommen auf sich selbst konzentrieren.

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Lasst mir gerne eure Meinung zu den bisherigen Kapiteln da. Freue mich über jede Rückmeldung :)

Bin auf jeden Fall gespannt, was ihr so über die Charaktere der Geschichte denkt und inwiefern ihr die Hintergrundstory von Saras Unsicherheiten in Bezug auf andere Menschen findet. Wird sie es ein weiteres Mal schaffen sich im Laufe des Buches für eine andere Person zu öffnen? Oder wird sie bei möglichen schmerzhaften Empfindungen direkt fliehen, wie sie es bei Nick gemacht hat?

Gerne könnte ihr mir zu diesen Fragen auch eure Gedanken mitteilen.

Eure xXRaven12xx


The Only OneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt