»Ihr Verschwinden aus seiner Sicht«

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Langsam erwachte ich aus meinem Traum, eine von Fantasien erfüllte Nacht, die zur Realität geworden war. Ich wusste wie sie aussah, kannte ihren Namen und hatte mir ihre Erscheinung genau eingeprägt. Ein Mensch, der nicht wundervoller sein konnte und dessen Nähe mich erfüllte. Nie wieder würde ich sie missen wollen. Nicht mehr länger musste ich nach ihr suchen, sondern hatte sie sicher an meiner Seite. Ihre blonden Haare umrandeten ihr Gesicht wie einen Schleier aus purem Gold und ihre blasse Haut betonte das Strahlen ihre unfassbar schönen blauen Augen. Alles an ihr war perfekt und nichts an ihr störte mich. Ich kannte sie so gut wie gar nicht und doch konnte ich mir sicher sein, dass sie die Frau für mein restliches Leben war, meine Seelenverwandte.

»Guten morgen...«, begann ich mit meiner rauen morgendlichen Stimme zu sprechen, als ich mich zu ihr umdrehen wollte und mit meinem Arm plötzlich unerwartet auf beängstigende Leere stieß. Irritiert öffneten sich meine Augen auf einem Schlag und sahen, was ich bereits ertastet hatte. Der Platz neben mir hüllte sich in Einsamkeit und der Raum war wie leergefegt. Nichts erinnerte mehr an ihre Existenz. Kein rotes Kleid schmückte mein Parkett. Ihr Geruch war davon gezogen. Nur der leichte Hauch vergangener Wärme war auf dem Bettlaken zu spüren. Sie war fort, einfach gegangen, ohne es für wichtig befunden zu haben, sich von mir zu verabschieden.

Panisch schlug ich die Decke zurück und landete mit beiden Füßen fest auf dem Boden. Aufgewühlt stürmte ich aus meinem Schlafzimmer und klammerte mich an die Hoffnung, dass sie sich einfach nur in der Küche befand oder kurz auf die Toilette verschwunden war. Innerlich betend öffnete ich die Badezimmertür, der einzige Raum, der meinen heiß ersehnten Lichtblick noch beinhalten konnte. Doch es war verlassen genauso wie alle anderen Zimmer meines Appartements. Verzweifelt drehte ich mich in meiner offenen Wohnküche um und starrte auf die Menschen gefüllte Stadt hinab. Wie sollte ich sie in solch einem Gewusel jemals wiederfinden? Eine Frau, die einen Vornamen trug, der nicht äußerst selten war. Die Dame meines Herzens, dessen vollen Namen ich nicht kannte und dessen Leben nicht hier, sondern in New York seinen Mittelpunkt besaß.

Verzweifelt raufte ich meine Haare zusammen und schlug aus Wut mit übermenschlicher Kraft auf den Glastisch neben mir ein. Millionen von Splittern zersprangen durch die Wucht meines Aufschlages und kleiner feiner Staub schimmerte in der Luft. Plötzlicher Schmerz suchte meine Knöchel heim, doch ich wusste, dies war nicht von Dauer. Nach wenigen Sekunden würde alles wieder verheilt sein, ohne eine Spur. Dies war der Vorteil meines Jahrhundertjahre langen Lebens und zugleich der Preis für den Verlust geliebter Menschen, die keine übernatürlichen Fähigkeiten besaßen.

Niedergeschmettert wanderte mein Blick über mein Appartemente. Ein Zuhause, das keines mehr war. Eine Wohnung, die all ihren Glanz verloren hatte, nur weil sie nicht mehr in meinen Armen lag. Doch plötzlich hielt ich verwirrt inne. Meine Augenbrauen zogen sich nachdenklich zusammen und mein Blick fokussierte sich immer mehr auf einen Zettel, von dessen Existenz ich bisher noch keine Ahnung gehabt hatte. Irritiert über das bisher unbemerkte Papier sprintete ich in weniger als einer Sekunde zu dem hochwertigen Schreibtisch und griff nach dem gefalteten Blatt. Grob öffnete ich das weiße Papier, welches meinen Namen trug.


Ich weiß, sehr wahrscheinlich wunderst du dich jetzt über diesen merkwürdigen Zettel und entsorgst ihn unbekümmert direkt in den Müll. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, warum ich mich überhaupt dazu bewegt fühle, dir diesen Brief zu schreiben. Wenn du aufwachst, wird dein Tag doch sowieso wie jeder andere beginnen. Du wirst aufwachen, an die vergangene Nacht keine Gedanken verschenken und anfangen zu arbeiten. Denn es war schließlich nur ein One Night Stand und mehr nicht. Ich ein wahlloses Mädchen, das du ausgewählt hast. Du der reiche Geschäftsmann, der sie um den Finger gewickelt hat. Nichts besonderes also. Ein Brief, der für dich keine Bedeutung besitzt und dessen Verfasserin für dich eine belanglose Nacht bildet.

Normalerweise bin ich keine von den Mädchen, die unbedacht mit einem fremden Mann ins Bett springt. Eine Ausrede, die du bestimmt schon oft gehört hast, aber ganz ehrlich? Das alles ist mir einfach nur absolut unangenehm und peinlich, obwohl die Nacht atemberaubend war.

Die meisten Männer möchten nicht, dass die Dame der Nacht auch zu der vom Tag wird, also bin ich lautlos gegangen. Wir beide werden uns ohnehin nicht erneut sehen, dafür war der Zufall schon das letzte Mal zu groß.

Da ich denke, dass dich diese Worte ohnehin nicht sonderlich interessieren werden, war es dann auch schon wieder. Bevor ich meinen Abflug verpasse, mache ich mich besser auf den Weg.Ich hoffe du bereust diese Nacht trotz dessen nicht und empfindest mich nun nicht als sonderbar.

Ich wünsche dir noch ein erfolgreiches Leben Enzo.

Sara


Geschockt laß ich die von ihr geschriebenen Worte und konnte nicht fassen, wie sie empfand. Die Verbundenheit zwischen uns hatte sich so tief angefühlt und jetzt stellte sich heraus, dass sie anscheinend davon ausging, dass sie eine Frau ohne besonderen Wert für mich war? Frustriert schüttelte ich meinen Kopf und musste meine Tränen unterdrücken. Ich hatte jetzt keine Zeit meine Emotionen über mich hereinbrechen zu lassen. Ganz im Gegenteil, ich musste hier dringend weg. Sara konnte noch nicht weit sein.

»Kyle! Wir müssen zum Flughafen, sofort«, eröffnete ich meinem besten Freund einen Befehl, den er nicht ausschlagen konnte. Auch wenn er wie Familie für mich war, besaß er genau den gleichen Stand wie alle anderen meiner Gefolgsleute. Sie mussten mir treu sein.

»Es ist verdammt früh...«, murmelte er müde ins Telefon und das Rascheln seiner Decke drang unangenehm knisternd an mein Ohr. »Muss das jetzt schon sein?«

»Sie ist weg, hier wird nicht gewartet. Wenn wir Glück haben, erwischen wir sie noch!«

»Wen?«

»Sara!« Genervt stieg ich in meinem Appartement eigenen Fahrstuhl und betätigte den Knopf nach unten. »Sie hat sich aus meinem Schlafzimmer herausgeschlichen.«

»War es etwa so scheiße?«

»Kyle, jetzt ist definitiv nicht der richtige Zeitpunkt, um zu scherzen.« Leichte Wut schwang in meinen unsanften Worten mit. »Du solltest dich besser schleunigst auf den Weg machen.«

»Ja, ich bin schon fast am Auto angekommen«, entgegnete er genervt und legte auf.

Ich konnte nur hoffen, dass wir es noch rechtzeitig schafften. Sie zu verlieren, obwohl ich sie gerade erst gefunden hatte...ich wusste nicht, ob ich das verkraften würde. Doch einer Sache war ich mir sicher. Wenn der Flieger schon abgehoben sein sollte, werde ich direkt in dem nächsten Flugzeug zu ihr sitzen. So schnell würde ich nicht aufgeben. Es gab nur sie, keine andere und das würde sich niemals ändern. Jedoch musste ich mich hüten. Ich musste mir eine gute öffentliche Begründung für meine plötzliches Verschwinden überlegen. Wenn meine Feinde bemerken würde, was der wirkliche Grund war, dann konnte ich mir nicht mehr sicher sein, ob ich Sara rechtzeitig vor ihnen beschützen konnte. Ein junges Mädchen, das keine Ahnung von meiner Welt hatte.

The Only OneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt