Morgenmuffel

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Ein nervtötendes Piepen holte mich um sechs Uhr morgens aus meinen Träumen. Ich tastete nach meinem Handy und schaltete den Wecker aus. Blind suchte ich nach dem Ladekabel und zog es aus dem Anschluss. Dann schaltete ich die Taschenlampe an, was bei Johnny, der neben mir auf Nicos weißer Wohnzimmercouch geschlafen hatte, Murren auslöste. Er vergrub das Gesicht in seinem Kissen und quengelte: „Mach das blöde Licht wieder aus.“ „'Tschuldigung“, flüsterte ich, schnappte mir meine Klamotten und schlich aus dem Zimmer. Als ich den Lichtschalter im Flur gefunden hatte, schaltete ich die Taschenlampe aus und ging ins Badezimmer. Mein Spiegelbild hatte tiefe Augenringe und sah alles andere als ausgeschlafen aus. Es war echt spät geworden gestern. Oder wohl besser gesagt heute. Bis um halb drei hatten wir im Wohnzimmer gesessen und den Einzug ins Finale gefeiert, dann hatte ich die Feier für aufgelöst erklärt und die Jungs mit der Info, dass sie spätestens um sieben aufstehen mussten, damit alle rechtzeitig fertig wurden und wir um halb neun ins Studio fahren konnten, ins Bett geschickt. Maël schlief in dem Gästebett in Nicos Arbeitszimmer, während Jonas und ich im Wohnzimmer geschlafen hatten, denn ins Hotel wollte um diese Uhrzeit keiner mehr zurück fahren. Ich duschte schnell, zog mich an und öffnete den Badezimmerschrank, wo ich meine Zahnbürste und meine Schminke für den Notfall fand. Ein weiterer Blick in den Spiegel bestätigte mir, dass heute ein solcher Notfall war. Schnell schminkte ich mir die Augenringe weg und sorgte dafür, dass ich ein bisschen Farbe ins Gesicht bekam. Während ich mir die Zähne putzte, entsperrte ich mein Handy und öffnete Instagram. Dort prasselten gerade die ersten Likes und Kommentare auf das Bild, dass ich heute Nacht noch gepostet hatte, herein. Ich hatte mein Konto auf privat gestellt, aber trotzdem folgten mir fast tausend Leute, die ich entweder von der Schule, der Uni oder meinem Job kannte. Ein Lächeln huschte wieder auf meine Lippen, während ich durch die Kommentare scrollte. Scheinbar hatten die anderen Teams auch noch ein wenig gefeiert, denn die meisten Kommentare zu dem Bild von Johnny und mir kamen von Leuten aus der The Voice-Familie. Ich hatte Johnnys privaten Account verlinkt, damit nicht sofort jeder sah, dass wir zusammen waren, aber irgendwann würde es sowieso rauskommen. Ich hatte ihn natürlich vorher gefragt, ob ich ihn auf dem Bild, bei dem wir beide in die Kamera grinsten, verlinken durfte und natürlich hatte er ja gesagt. Ich nahm die Zahnbürste aus dem Mund, gurgelte einmal mit Wasser und machte mir dann wieder einen Dutt. Meine Brille lag noch auf dem Couchtisch, also holte ich sie schnell. Dann ging ich in die Küche, wo mir Nico begegnete. „Na, auch schon wach?“ Er gähnte zur Antwort und reichte mir eine Tasse Kaffee, die ich dankbar annahm. „War wohl doch ein bisschen spät, was?“, stellte er fest und rieb sich über die Augen. Trotz der Müdigkeit lächelte er. Er war halt einfach ein Gute-Laune-Mensch, sogar morgens um sechs nach drei Stunden Schlaf. Ich ging zum Kühlschrank und holte die Aufbackbrötchen aus dem Gefrierfach. Jonas und Maël hatten sich gestern auch gewundert, warum ich mich so ohne Weiteres selbst bediente, doch nachdem Nico ihnen erklärt  hatte, dass seine Wohnung quasi mein zweites Zuhause war, war das auch für sie nicht mehr komisch. „Also, was steht heute genau an?“, fragte Nico mich und ich zählte ihm die Tagesplanung auf, die eigentlich nur daraus bestand, dass er mit seinen beiden Talenten einen Song aufnehmen musste. Es gab schon einen fertigen Text und eine Demoversion. Im Prinzip ging es also wirklich nur noch um das Aufnehmen und den Feinschliff. Für mich würde heute ein sehr entspannter Tag werden. Um kurz vor sieben schaute Maël durch die Küchentür. „Morgen. Seid ihr schon lange wach?“ „Ungefähr eine Stunde. Gut geschlafen?“, fragte Nico und hielt ihm eine Tasse Kaffee hin. „Wie ein Murmeltier, nur leider zu kurz. Habt ihr Johnny schon wach bekommen?“ Ich schüttelte den Kopf. „Noch nicht so richtig. Er hat rumgemurrt und ist gleich wieder eingeschlafen. Bei ihm dürfte aber gleich ein Wecker klingeln“, meinte ich mit einem Blick auf die Uhr. Genau in diesem Moment fing Johnnys Handy im Wohnzimmer an, rumzulärmen und keinen zwei Minuten später stand auch Maëls Kumpel schlaftrunken in der Küche. „Nicht einmal ausschlafen kann man“, murrte er. Oh je, schien so, als seien er ein noch großer Morgenmuffel, als Maël gestern schon angekündigt hatte. „Du bist ja auch nicht zum Schlafen hier. Gewöhn dich schon mal dran. Die Woche wird stressig für uns alle“, lachte Nico. Jonas murmelte etwas und verschwand dann ins Bad. Ich sah ihm kopfschüttelnd hinterher, musste aber dennoch grinsen. „Aww, trotz fehlendem Humor am Morgen ist unsere Jenny immer noch total verknallt in deinen Kumpel, Maël“, kicherte Nico und auch Maël lachte. „Ihr seid ja doof. Helft mal lieber den Tisch zu decken.“ Ich drückte Maël vier Teller in die Hand und zog dann die Brötchen aus dem Ofen, die ich vor ein paar Minuten reingetan hatte. Schnell hatten wir den Tisch gedeckt und als Johnny ein paar Minuten später deutlich wacher die Küche betrat, meinte er: „Ich hätte doch auch helfen können.“ „Aber nicht so wie du hier eben aufgeschlagen bist“, konterte Maël und klopfte auf den freien Stuhl neben seinem. „Tut mir leid. Ich bin einfach kein Morgenmensch.“ „Ist uns aufgefallen“, meinte Nico und biss grinsend in sein Brötchen. Johnny setzte sich mir gegenüber und nahm sich ebenfalls ein Brötchen. „Also, was steht heute noch an, außer Song aufnehmen?“, fragte er. „Nun eigentlich nichts. Ihr habt den ganzen Tag Zeit. Morgen werdet ihr dann wieder ins Studio müssen, um die Interviews zu drehen und danach die Tage steht proben, proben und nochmal proben auf dem Plan“, erklärte ich. „Und mit wem singen wir den dritten Song?“, fragte Maël. „Oh, was das angeht…“, Nico griff nach seinem Handy, entsperrte es und reichte es seinen beiden Talenten, „da kam gestern Abend noch eine Videobotschaft.“ Johnny startete das Video und schaute zusammen mit Maël gespannt auf den Bildschirm. „Hallo Maël und Jonas. Ich bin's, Michael Patrick Kelly und ich gratuliere euch zum Einzug ins Finale von The Voice of Germany. Und noch viel mehr freue ich mich, dass wir meinen Song „Beautiful Madness“ zusammen performen werden. Wir sehen uns am Samstag zum Üben.“ Die beiden sahen erst mich und dann Nico an. „Okay, das ist echt cool“, stellte Maël fest und Johnny nickte. Nico grinste mich an. „Die Überraschung ist wohl gelungen.“ Ich grinste zurück. Wir frühstückten gemütlich zusammen und machten uns dann daran, die provisorischen Nachtlager wieder abzubauen, während Nico den Tisch abräumte. Bei Nico war es immer warm in der Wohnung, deshalb hatte mir in der Nacht eine dünne Sofadecke gereicht, die ich jetzt zusammen nahm. Ich hörte, wie jemand das Wohnzimmer betrat. Ich sah über die Schulter und musste gleich wieder lächeln, als Jonas nur wenige Zentimeter vor mir stehen blieb. „Ich hab dir vorhin noch gar nicht guten Morgen gesagt“, murmelte er. „Guten Morgen“, sagte ich und ließ mich von ihm in den Arm nehmen. Ohne meine hohen Stiefeletten war er ein paar Zentimeter größer als ich und so vergrub ich mein Gesicht in seiner Halsbeuge, während er uns leicht hin und her schaukelte. „Jenny hast du dran gedacht,... Oh“, machte Nico und blieb wie festgewachsen in der Tür stehen, „sorry, ich wollte nicht stören.“ „Ist nicht schlimm“, meinte ich lachend, während er ein wenig rot anlief. Ich löste mich von Johnny und fragte: „Woran habe ich gedacht?“ „Daran, Kalli zu sagen, dass er die Gitarren aus dem Studio mitbringen sollte?“ Ich nickte. „Hab ich ihm gestern gesagt. Er hat die Gitarren gleich nach Drehschluss in seinen Bus geladen.“ „Okay.“ Nico sah immer noch zwischen Jonas und mir hin und her. Dann fing er an zu grinsen. „Ich freu echt mega für euch.“ „Äh, danke?“ Jonas war die Situation mehr als nur unangenehm. Er kratzte sich am Hinterkopf, wodurch sich ein paar Strähnen aus dem Bun lösten und sah dabei auf seine Füße. „Oha, so kenne ich dich ja gar nicht.“ „Nico, hör doch auf, ihn zu ärgern.“ „Ich ärgere ihn doch gar nicht. Ich freu mich nur total.“ In diesem Moment klingelte es an der Haustür und Nico verschwand, um zu öffnen. „Sorry. Ich glaube, Nico hat zu lange mitgefiebert“, meinte ich und schnappte mir meine Winterjacke. Im Flur schlüpfte ich wieder in meine Stiefeletten und ging dann mit Nico, Maël und Jonas runter zum Auto. Ich hatte gestern noch Bescheid gesagt, dass wir alle bei Nico geblieben waren und so stand jetzt ein großer schwarzer Siebensitzer vor der Tür. Nico sprang gleich auf den Sitz ganz hinten und ich sicherte mir den Beifahrersitz. „Hallo Paul“, sagte ich zum Fahrer. Er lächelte und meinte: „Junge, dass ich euch alle hier aufsammeln muss, hätte ich vor einer Woche auch nicht gedacht.“ Er setzte den Blinker und wir fuhren los Richtung Aufnahmestudio. Es war verdammt ruhig auf den hinteren Bänken. Ich drehte mich um und sah, dass Jonas und Maël schon wieder eingeschlafen waren. Dabei fuhren wir gerade mal fünf Minuten. Mein Handy brummte und ich las die Nachricht von Nico: „Pssst, schlafen die beiden?“ Ich hob den Kopf und nickte, als er mich ansah. Er grinste und wandte sich dann wieder seinem Handy zu. Auch ich drehte mich wieder nach vorne und fing an, mich mit Paul zu unterhalten. Ich sah währenddessen aber immer wieder nach hinten zu den anderen. Jonas schlief die ganze Fahrt mit dem Kopf am Fenster. Ich zog mein Handy hervor und machte ein Selfie mit ihm im Hintergrund. Paul bekam das mit und fragte: „Was ist eigentlich gestern eigentlich nach Mäels und Johnnys Auftritt gewesen? Du und Jonas, ihr wart auf einmal nicht mehr auffindbar.“ „Ja, weißt du, wir mussten über ein paar Dinge sprechen. Wir hatten uns in der Wolle und das musste dringend geklärt werden“, versuchte ich zu erklären. „Und nun?“ „Naja, haben wir uns wieder vertragen.“ Ich sagte nicht, dass da mehr zwischen Jonas und mir war. Ich wollte es eigentlich nicht so sehr an die große Glocke hängen. Wir kamen am Tonstudio an und ich drehte mich wieder nach hinten, wo ich erst Maël und dann Jonas weckte. „Sind wir schon da?“, fragte Jonas, streckte sich und stieß sich dabei die Hand am Autodach, „aua.“ „Was heißt hier schon? Ihr habt über eine halbe Stunde geschlafen.“ Ich sprang aus dem Auto und ließ Nico aus dem Kofferraum, der verkündete: „Also, ich hab nicht geschlafen.“ Wir verabschiedeten uns von Paul und gingen dann ins Studio, wo Kalli und Vocal Coach Tina schon auf uns warteten. „Hallo zusammen. Oha, was haben wir den hier verpasst?“, fügte Kalli mit einem Blick auf die verschränkten Finger von Jonas und mir hinzu. Jonas grinste und meinte: „Eine ganze Menge. So, nun lasst uns aber mal anfangen.“

Don't leave me, Johnny || Maël und Jonas FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt