Flurgespräche

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Am nächsten Morgen bog ich mit Schwung um die Ecke des Flurs und stolperte fast über zwei Beine. „Hoppla“, sagte ich und machte im letzten Moment einen großen Schritt. „Oh, hallo Stefanie.“ „Entschuldige, vielleicht sollte ich meine Beine nicht so ausstrecken, was? Hallo Jenny. Setzt dich doch zu mir. Wie geht es dir?“, begrüßte die Silbermond-Sängerin mich und klopfte neben sich auf den Boden. Ich nahm zögernd neben ihr Platz. „Ich wusste gar nicht, dass du meinen Namen kennst.“ „Klar doch, den hat mir Hannah verraten, nachdem wir Mädels bei der After Show-Party von Team Nico alle zusammen getanzt haben“, erklärte sie mir. „Ah ja, daran erinnere ich mich auch noch gut. Das war echt lustig.“ An manche Momente dieses Abends wollte ich mich jedoch nicht zurück erinnern. Ich bemerkte, dass sie mich erwartungsvoll ansah. „Oh, achso, mir geht es gut. Und selbst? Was machst du hier auf dem Flur?“, fragte ich sie. „Och du, ich brauchte mal einen Moment für mich. Ich hatte eben noch telefoniert.“ Sie sah auf ihr Handy, auf dem ein Bild von einem kleinen Jungen zu sehen war. „Ist das dein Sohn?“ Sie nickte. „Ja, sein Name ist Elias. Er ist anderthalb“, verriet sie mir. „Wie süß“, meinte ich lächelnd. „Er fehlt mir sehr. Ich habe ihn jetzt seit drei Wochen nicht mehr in echt gesehen“, gestand sie mir und ich runzelte die Stirn. „Wieso nicht? Du wohnst doch hier in Berlin.“ „Schon, aber ich wohne momentan genau wie die anderen Coaches im Hotel. Das ist zur Sicherheit, falls doch mal einer Corona bekommt.“ Sie sah mich an. „Es ist trotzdem ein komisches Gefühl, die Leute, die man liebt, so lange nicht sehen zu können.“ Ich nickte nachdenklich. „Ja, das kann ich verstehen. Ich habe meine Familie auch schon richtig lange nicht mehr gesehen. Ich glaube, das letzte Mal war zu Weihnachten“, überlegte ich laut. Stefanie machte große Augen. „Oha, da klage ich ja richtig auf hohem Niveau.“ Ich winkte ab. „Es ist nicht schlimm. Ich telefoniere sehr oft mit ihnen und wir erzählen uns gegenseitig, was mir machen. Ich vermisse sie zwar, aber weiß ja, dass es das Beste ist, wenn man die Nasen auseinander hält. Gerade um meine Großeltern zu schützen.“ „Sehr vernünftig“, meinte die Sängerin. Sie sah mich prüfend von der Seite an. „Und dein Freund? Siehst du den noch regelmäßig?“ Ich runzelte die Stirn. „Wie kommst du darauf, dass ich einen Freund habe?“ „Oh, hast du nicht? Sorry. Ich dachte nur, eine so hübsche Frau wie du verdreht bestimmt jemandem ordentlich den Kopf.“ Ich lachte und legte meine verschränkten Arme auf meine angewinkelten Knie. „Da magst du nicht ganz Unrecht haben. Ich habe einen Freund und den sehe ich zum Glück gerade relativ oft.“ „Oh. Ist es etwa jemand, der auch hier am Set ist?“ Ich nickte und sie überlegte laut: „Hmm, wer von unseren Jungs könnte es denn sein? Etwa Nico?“ Ich lachte laut. „Ich glaube, das hätte man schon längst mitbekommen. Nein, wir sind nur gute Freunde. Nico ist zwar echt klasse, aber nicht so ganz mein Typ. Das wäre echt mega schräg.“ „Also jemand von hinter der Bühne und jemand, der größer ist als du. Ich glaube nämlich nicht, dass der Pulli dir gehört. Wie wäre es mit…“ In diesem Moment vibrierte mein Handy, das zwischen beiden lag und eine Nachricht von Max poppte auf. Ich zog sie runter und überflogen sie, bevor ich sie zur Seite wische und das Handy wieder sperrte. „Woah, Moment mal. Wer ist denn da in deinem Hintergrund?“ Sie tippte, nachdem ich zur Erlaubnis genickt hatte, zweimal auf den Bildschirm, der wieder hell wurde. Es erschien ein Schwarzweißbild von Jonas, das er mal auf dem Instagram-Account von Maël und ihm hochgeladen hatte. Als das Bild entstanden war, wussten wir noch gar nicht, dass der jeweils andere existierte, aber es war einfach mein Lieblingsbild von ihm. Stefanie nahm mein Handy in die Hand und schaute erstaunt darauf. „Nicht dein Ernst. Jetzt sag nicht, dass du und Johnny ein Paar seid.“ Ich grinste nur als Antwort. „Ich werde bekloppt. Also damit habe ich ja nun gar nicht gerechnet. Und dabei stalke ich die doch schon eine ganze Weile.“ Sie gab mir mein Handy zurück. „Wir sind noch nicht lange zusammen. Um genau zu sein erst seit vier Tagen“, gab ich zu. „Na, dann darf man ja noch viel Glück wünschen.“ Sie stieß mich freundschaftlich an und ich wurde rot. In diesem Moment kam noch jemand pfeifend um die Ecke. Er zuckte zusammen, als er uns bemerkte und wie ich fast über Stefanies Beine stolperte. „Hoppla, was macht ihr denn hier auf dem Flur?“ „Nichts, nur reden“, sagte ich zu meinem Freund. „Na, wenn man vom Teufel spricht“, sagte Stefanie gleichzeitig mit einem breiten Grinsen. Er sah fragend zwischen ihr und mir hin und her. „Hab ich was verpasst?“ „Steff hat rausgefunden, dass wir zusammen sind“, erklärte ich. „Oh“, machte er, „ähm, ja, das ist wohl so.“ Er wurde ein bisschen rot, grinste aber. „Sag mal, hast du heute eigentlich noch irgendwas vor?“, fragte ich ihn. Er runzelte die Stirn. „Nur noch proben, wieso?“ „Nur so. Steht dir gut, dein Outfit.“ Er trug ein dunkelblaues Hemd mit ziemlich viel Muster drauf, das er an den Ärmeln hochgekrempelt hatte, dazu dunkelgraue Jeans und braune Boots. Er lachte. „Mein Pulli war ja mit einem Mal weg.“ Ich sah an mir herunter auf den dunkelgrünen Pulli mit der grauen Kapuze. Er setzte sich neben mich und ich legte meinen Kopf an seine Schulter. „Aww, echt cute“, meine Stefanie grinsend. Sie stand auf. „Ich lass euch mal alleine. Meine Pflicht ruft auch wieder. Wir sehen uns bestimmt nachher nochmal.“ Sie lächelte uns noch einmal und verschwand dann um die Ecke. Jonas legte den Arm um meine Schulter und meinte: „Weißt du, vielleicht habe ich nachher doch noch was vor.“ Ich sah ihn an. „Ja, was denn?“ „Hast du Lust nach Probenende nochmal zum Brandenburger Tor zu fahren?“ „Ist es dann nicht schon längst dunkel?“, fragte ich. „Jap, aber das ist ja gerade das Schöne. Das Tor ist dann immer so toll beleuchtet.“ Ich kicherte und meinte: „Du lässt dich aber schnell für etwas begeistern. Aber okay, können wir gerne machen. Aber vorher musst du mir noch was verraten.“ Ich nahm mein Handy und zeigte ihm ein Bild, dass ich vorhin zufällig gefunden hatte. „Warum habt ihr nie erzählt, dass ihr in einer Peter Maffay und Pur Tribute Band spielt?“, kicherte ich. Jonas rieb sich über das Gesicht und lachte. „Ja, das ist so eine Sache. Du kannst das gerne uncool finden, aber um ehrlich zu sein, macht das ziemlich Spaß. Wir haben schon ziemlich viele Konzerte gespielt. Auch wenn ich da den Altersdurchschnitt gewaltig nach unten gezogen habe.“ Er lachte leise. „Hast du wohl nicht erwartet, hmm?“ „Um ehrlich zu sein, nein. Ich dachte, Maël hört lieber rockiger Sachen. Und ich würde weder Peter Maffay noch Pur jetzt in das Genre Rock einsortieren.“ „Ja, die Geschichte, wie wir da reingerutscht sind, ist ein bisschen länger. Hat viel mit meinem Vater zu tun. Ich glaube aber um ehrlich zu sein, dass es da ein Lied gibt, was dir gut gefallen könnte.“ Er zog sein Handy und seine Airpods auf der Hosentasche, strich meine Haare zur Seite und steckte mir einen Kopfhörer vorsichtig ins Ohr. Den anderen nahm er. Er scrollte durch eine seine Playlisten bei Spotify und fand schließlich das gesuchte Lied. Ich legte mein Beine über seine und legte meinen Kopf wieder an seine Schulter, während das Lied mit einem Klavier anfing. Er legte den Arm wieder um mich und strich mit dem Daumen leicht über meine Seite, seine andere Hand lag auf meinem Knie. Ich lächelte, als ich das Lied erkannte. Es war „Die Zeit hält nur in Träumen an“ und ich kannte es schon aus meiner Kindheit. Schon damals fand ich es wunderschön. Ich lächelte, kuschelte mich an ihn und schloss die Augen. Ich ließ mich in das Lied fallen und träumte mich für einen Augenblick von dem Alltagsstress davon. Ich fühlte mich total geborgen und ein wohliges Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. Wie gerne würde ich einmal zu dem Lied tanzen, aber bis jetzt hatte sich noch nicht die Gelegenheit dazu ergeben. Und auch jetzt war es einfach zu gemütlich, als das ich jetzt aufstehen mochte. Der Song endete und ich hob den Kopf, um Jonas anzusehen. „Den kannte ich schon“, meinte ich leise. „Und warum hast du das nicht vorher gesagt?“ „Weil ich den Song liebe.“ Er lächelte mich an und beugte sich zu mir, um mich zu küssen. In den Moment hörte ich: „Jen? Bist du hier irgendwo? Ich suche dich schon eine ganze… Herrgott nochmal, warum platze ich eigentlich immer rein, wenn ihr gerade am Rumknutschen seid?“ Ich verdrehte die Augen, während Jonas merklich zusammengezuckt war. „Das frage ich mich so langsam auch“, meinte ich und sah zu Nico, der uns, an die Flurecke gelehnt, ansah. Ich entknotete meine Beine und stand auf. „Was wolltest du denn von mir?“ „Nun eigentlich wollte ich dich nur fragen, ob du Johnny gesehen hast, weil der nicht zur Probe aufgetaucht ist, aber die Frage erübrigt sich ja wohl“, erwiderte er beinah schnippisch. „Ja, ja“, murmelte ich und reichte Jonas eine Hand, um ihm aufzuhelfen. „Dann musst du wohl wieder an die Arbeit“, sagte ich zu ihm, „wir sehen uns nachher.“ Er nickte und folgte Nico dann in Richtung Proberaum. In diesem Moment klingelte es in meinem rechten Ohr. Ich runzelte die Stirn und griff nach meinem Handy, das jedoch keinen Anruf anzeigte. Mist, ich hatte ja immer noch Johnnys Airpod im Ohr. In diesem Moment hörte ich: „Hallo Clara.“ „Hallo, kleiner Bruder. Na, störe ich beim Proben?“ „Nein, noch nicht, bin gerade mit Nico auf dem Weg dahin. Bisschen spät dran, hatte eben noch was mit Jen gemacht.“ „Deiner Freundin?“ „Ja.“ Seine Schwester schwieg. Ich wusste, dass es nicht richtig war, zu lauschen, aber trotzdem interessierte mich, ob sie etwas über mich sagen würde. „Macht sie dich glücklich?“ „Was ist das für eine doofe Frage? Natürlich macht sie mich glücklich.“ „Ich meine ja nur. Auf mich wirkt sie auf ihren Instagrambildern ziemlich eingebildet.“ Ich nahm den Airpod aus dem Ohr, denn mehr wollte ich nicht hören. Warum hatte ich mein Konto nur heute Morgen noch öffentlich gemacht? Ach ja, weil ich eigentlich ziemlich stolz auf meine Bilder war. Ich kam am Probenraum der Jungs an und öffnete vorsichtig die Tür. Jonas hatte das Gespräch mit seiner Schwester beendet und so ging ich zu ihm. „Hier. Den hatte ich vergessen, dir zurück zu geben“, sagte ich und sah ihn dabei nicht an. „Danke. Hey, ist irgendetwas los?“ Ich hob den Kopf und sah ihn an. „Ich habe einen Teil von dem Gespräch mit deiner Schwester mitgehört. War aber wirklich keine Absicht.“ Er runzelte die Stirn. „Bis wohin hast du mitgehört?“ „Bis sie sagte, dass sie mich eingebildet findet. Bin ich wirklich eingebildet, Johnny?“, fragte ich ihn. „Machst du Witze? Du bist vielleicht eine ganze Menge, aber auf keinen Fall eingebildet. Hättest du noch ein bisschen weiter mitgehört, wüsstest du auch, dass ich ihr das auch gesagt habe?“ Ich sah auf den Boden. Es beschämte mich, dass ich das Gespräch belauscht hatte. „Es ist nur…“, begann ich leise. „Ja?“ „Ach nichts, das muss ich dir irgendwann in Ruhe einmal erklären.“ Ich lächelte ihn beinah traurig an  und verließ den Raum wieder, wobei ich ihn mit einem großen Fragezeichen auf dem Gesicht zurückließ.

Don't leave me, Johnny || Maël und Jonas FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt