„Also, was wolltest du vorhin sagen, als Clara meinte, sie fände dich eingebildet“, kam Johnny ein paar Stunden später direkt zum Punkt, als er sich neben mich aufs Sofa setzte. „Moment, warte. Clara hat gesagt, du wärst eingebildet?“, fragte Maël, der uns gegenüber saß und verwundert von seinem Handy aufsah. Ich nickte und er runzelte die Stirn. „So kenne ich sie eigentlich gar nicht.“ „Jen, warum machst du dir so große Gedanken darüber, was andere Menschen über dich denken? Und vor allem bei Leuten, denen du noch nie über den Weg gelaufen bist?“, fragte mich Max, der auf dem Tablet, das ich in der Hand hielt, dazu geschaltet war. Bis eben hatten er und ich uns über sein neues Cover unterhalten, dann waren Jonas und Maël dazugekommen. Alle drei sahen mich erwartungsvoll an und ich seufzte. „Weil ich ein bisschen negativ geprägt bin, was das angeht. Ich war nicht immer so, wie ich jetzt bin, sondern das totale Gegenteil.“ Ich sah zu Jonas und wartete auf eine geschockte Reaktion, doch er sah mich nur an und legte fragend den Kopf schief. Also fing ich an zu erzählen: „Ich war früher nie wirklich beliebt in der Schule. Ich war die kleine Streberin mit der Brille und den Hasenzähnen. In der Grundschule wurde ich als dick bezeichnet, weil ich sehr volle Wangen hatte und ein bisschen pummelig war. Dabei habe ich in der Zeit schon sehr viel Sport gemacht. Ich war einmal die Woche beim Reiten und zweimal die Woche beim Badminton. Ich war sehr schüchtern, deshalb fiel es mir schwer, Kontakte zu knüpfen. Als ich aufs Gymnasium kam, wurden die Karten neu gemischt. Ich lernte neue Leute kennen, mit denen ich mich auch super gut verstanden hab und den Großteil der Mittelstufe verbracht hatte. In der zehnten Klasse kam ich mit meinem ersten Freund zusammen. Er gehörte zu den beliebten Leuten in der Schule und hatte dementsprechend einen riesigen Freundeskreis. Für mich war das wahnsinnig aufregend, denn mir wurde auf einmal total viel Aufmerksamkeit geschenkt. Aber ich veränderte mich dadurch auch total. Ich vernachlässigte meine eigentlichen Freunde und wurde immer mehr zu jemandem, der den Boden unter den Füßen verlor und sich von den anderen beeinflussen ließ. Klatsch und Tratsch und das Verlangen, unbedingt mit dem Strom mitzuschwimmen, wurden wichtiger als Reiten und Badminton und auch als Singen. Irgendwer hatte mal bei einem Karaokeabend gesagt, ich würde nicht singen können, also habe ich es gelassen. Für die Oberstufe wechselte ich die Schule und da dort die Karten noch einmal gemischt wurden, verlor ich meine richtigen Freunde, die mich so akzeptiert hatten, wie ich wirklich war, komplett aus den Augen. Stattdessen blieb ich bei der Gruppe von angeblichen Freunden, die sich am Ende als ziemlich toxisch herausstellten. Ich wurde zu einer ziemlichen Zicke, die herablassend auf die herabgesehen hat, die anders waren und nicht mit jedem Trend mitschwammen. Die Beziehung mit meinem ersten Freund ist irgendwann in die Brüche gegangen, aber relativ schnell kam ich mit meinem neuen Freund zusammen, der genauso fake war wie der erste. Aber darauf brauchen wir nicht weiter einzugehen. Ich bin nicht stolz auf diese Jenny. Ich war nur ein Mitläufer in einer Gruppe, der sich freute, wenn er auch mal ein bisschen im Rampenlicht stehen durfte. Nach der Schulzeit und einem Abiball, an den ich mich nicht mehr erinnern kann, weil meine so genannten Freunde mich so dermaßen abgefüllt hatten, fiel ich in ein Loch. Ich wusste nicht wirklich, was ich mit mir anfangen sollte und hatte auch überhaupt keine Ahnung, was ich beruflich machen wollte. Meine ‚Freunde‘ ließen mich in der Luft hängen und so erkannte ich, dass ich die vergangenen vier Jahre nur von Fake-Personen umgeben gewesen war. Ich verreiste zwei Monate mit meiner Cousine Claire und fand mich auf dieser Reise wieder selbst. Ich verstand, dass ich niemanden brauchte, der mir erzählte, was gerade in war und was ich auf gar keinen Fall tun durfte. Ich verabschiedete mich von blonden Extensions, Acrylnägeln und zu viel Make-Up. Ich fing wieder an zu reiten und Badminton zu spielen und lernte auf unserer Europarundreise viele tolle und inspirierende Menschen kennen. Ich schrieb mich in Hamburg in der Uni ein und zog in eine WG mit den verrücktesten Mädels der Welt, aber auf eine positive Art und Weise. Sie unterstützen mich, als ich mit Straßenmusik anfing und so mehr Aufmerksamkeit auf mich zog. Melissa brachte mich außerdem zum Fechten.“ Ich kicherte, als mich alle drei erstaunt ansahen. „Ja, ich kann fechten, wenn auch nicht besonders gut. Was ich aber eigentlich sagen wollte, dass ich es zwar geschafft habe, wieder zu Jenny zu werden, aber trotzdem fange ich immer noch sehr schnell an, an mir zu Zweifeln, wenn jemand Kritik an mir äußert.“ Jonas legte seinen Arm um mich. „Du weißt, aber das du keinen Grund dazu hast, Jen. Schau dich doch nur um. Du begeisterst hier am Set so unfassbar viele einfach durch deine Persönlichkeit. Denk nur an Stefanie, mit der du heute einfach komplett random quatschend auf dem Flur gesessen hast. Oder Michael, mit dem du in den Battles bei einem Lied total abgegangen bist und der dich seitdem immer mit ‚Hey Cordula‘ begrüßt, was mega witzig ist. Oder Nico, der sagt, dass du seine beste Freundin bist und mit dir total die gute Laune verbreitet. Oder Paula, die, seitdem du mit ihr gesprochen hast, ein komplett anderer Mensch ist. Und Max ist auch zu einer kompletten Quasselstrippe geworden.“ „Hey“, lachte Max. „Maël ist total die Rampensau geworden und wenn ich alles aufzähle, was sich bei mir durch dich geändert hat, würden wir morgen noch hier sitzen. Jen, du bist der selbstloseste, herzlichste und offenste Mensch, den ich je kennen gelernt habe. Du weißt, dass du wunderschön bist und von Leuten bewundert wirst, allein schon wegen deiner Ausstrahlung. Du wirkst sehr selbstsicher dadurch und ich denke, meine Schwester hat das leider in die Schublade ‚Eingebildet‘ gesteckt. Wenn sie dich kennen würde, wüsste sie, dass du genauso nicht alle Tassen im Schrank hast wie ich.“ „War das ein Kompliment?“, fragte ich ihn lachend. „Eigentlich schon.“ Ich sah von Jonas zu Max und Maël, die mich beide anlächelten und zustimmend lächelten. „Warte mal, ich glaube, ich habe noch ein Bild, wo man sieht, was Johnny meint“, sagte Max und tippte auf seinem Handy herum. Auf meinem kam eine Nachricht von ihm an. Ich öffnete das Bild und lachte laut. Es war eher eine Kollage als ein einzelnes Bild. Ich sah mich mit Nico tanzen, mit Maël rumblödeln, mit Max auf der Dachterrasse stehen, wobei im Hintergrund die Berliner Skyline leuchtete, mit Paula auf der Bühne singen und mit Jonas, der mit mir zusammen um die Wette strahlte. Mir stiegen die Tränen in die Augen und ich fragte: „Wann hast du das denn gemacht?“ „Och, ich hatte gestern irgendwie Langeweile“, antwortete Max schulterzuckend. Dann lächelte er und meinte: „Du bist echt was Besonderes, Jen, sonst wärst du nicht da, wo du jetzt stehst.“ Ich sah wieder zwischen den Dreien hin und her und ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Sie hatten recht. Ich hatte keinen Grund, mir Gedanken um die Vergangenheit zu machen. Ich war zufrieden mit mir und liebte jeden Moment, den ich mit meinen Freunden erleben durfte. Was interessierte mich, was die anderen sagten?
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Don't leave me, Johnny || Maël und Jonas FF
FanfictionJenny unterstützt ihren Kumpel Nico bei den Dreharbeiten zur 10. Staffel von The Voice of Germany. Dabei trifft sie nicht nur viele talentierte Künstler, sondern auch jemanden, der ihre Welt ordentlich auf den Kopf stellt.