Proben in Coronazeiten

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Es wurde Montag und die Dreharbeiten bei den Proben waren im vollen Gange. Ich lief die meiste Zeit hinter der Kamera von einem Battleteam zum nächsten, fragte, ob es bei allen gut lief und koordinierte, wer wann zu Nico ins Coaching ging. Über einen Knopf im Ohr hörte ich die Anweisungen der Regie für das Team Nico. Alles in allem machte die Arbeit zwar Spaß, aber war für mich sehr stressig. Nach drei Stunden Herumgerenne läutete es zur Mittagspause. Ich hatte mir bis eben die Proben von Max und Sion angesehen und ging jetzt, nachdem die Kameras ausgeschaltet und alle Leute verschwunden waren, zu dem roten Klavier und setzte mich. Ich fing an, den Titelsong aus „Ziemlich beste Freunde" zu spielen. Plötzlich stand Nico mit zwei Tellern neben mir und grinste. „Auch wenn es sehr schön ist, wenn du spielst, darfst du nicht das Essen vergessen, liebe Jenny." „Ja, ja", lachte ich und nahm den Teller mit einem „Danke." entgegen. Kartoffelpüree mit Ei, mein Lieblingsessen. Ich merkte jetzt erst, wie hungrig ich war. Nico holte sich einen Barhocker herbei und setzte sich zu mir. „Schon irgendwie komisch, dass man so durcheinander Pause machen muss, was?", stellte ich fest und schob mir einem Löffel Kartoffelpüree in den Mund. Nico nickte. „Sind verrückte Zeiten. Aber zum Glück können wir drehen." „Ey, es wäre bei mir geldlich sonst ganz schön eng geworden, wenn das hier ins Wasser gefallen wäre", meine ich zwischen zwei Löffeln. „Kommst du gerade klar? Du weißt, dass du sonst wieder zu mir ziehen kannst?" Ich musste lächeln. Es war echt süß, wie Nico sich so Sorgen um mich machte. „Alles gut. Dadurch, dass ich momentan mit in dem Hotel der Talents wohne und The Voice das bezahlt, komme ich ganz gut klar." Ich stellte den mittlerweile leeren Teller auf das Klavier, wischte mir mit der Serviette einmal über den Mund und legte dann die Finger wieder ans Klavier. „So, dann sag mal, was spielen wir jetzt?" „Junge, hast du deinen Teller schnell leer gegessen. Ich hab noch nicht mal die Hälfte auf." Ich lachte laut und stimmte „Halo" an. Ich liebte den Song. Nico hörte mir aufmerksam beim Singen zu, während er aß. Kaum hatte er seinen Teller beiseite gestellt, wechselte ich zu unserer Klavierversion von „Bad" von Michael Jackson. Nico grinste breit. Er hatte mich, während ich bei ihm gewohnt hatte, mit seiner Begeisterung für den „King of Pop" angesteckt und so hatten wir den Song irgendwann einmal aus Langeweile gecovert. Er sprang auf und fing an, wie sein Idol zu tanzen und zu singen. Auch mich hielt es irgendwann nicht mehr auf dem Klavierhocker. Ich sprang auf und spielte den Song im Stehen weiter. Am Ende des Liedes lachte ich Nico offen an, haute den letzten Akkord in die Tasten und rief mit meinem Kumpel zusammen: „Who's bad?" Wir brachen in schallendes Gelächter aus. Es war so toll, mit Nico Zeit zu verbringen. Er war ein unfassbarerer Gute-Laune-Mensch, der fast immer am Singen und Lachen war und genau diese Einstellung hatte in dem letzten halben Jahr ordentlich auf mich abgefärbt. Er zog seine Maske auf, schnappte sich die leeren Teller vom Klavier und sagte: „Ich bring die mal eben wieder weg." Ich nickte lächelnd und als er um die Ecke verschwunden war, zog ich den Klavierhocker wieder heran und nahm wieder Platz. „Hey", hörte ich plötzlich von der Tür und ich sah überrascht auf. „Jonas, du bist zu früh. Hier machen alle noch Pause." Er stand in der Tür, grinste mich beinah schüchtern an und gab dann zu: „Ich wollte, ehrlich gesagt, kurz mit dir reden." Ich hob überrascht die Augenbrauen und zeigte auf den Barhocker neben dem Klavier. „Dann nimm gerne Platz. Wo drückt der Schuh?" Er blieb jedoch vor dem Klavier stehen und knetete nervös seine Hände. „Weißt du, ich bin eigentlich nur wegen Maël hier, weil er ja nicht alleine auf die Bühne wollte." Ich runzelte die Stirn, ließ ihn jedoch weiter reden. „Und jetzt schiebt er total Panik und weiß gar nicht mehr, ob das hier noch das ist, was er wirklich will. Er zweifelt gerade so sehr an sich, dass ich Angst habe, dass er aussteigen will." Er kam sehr schnell zum Punkt, das musste man ihm lassen. Ich stützte meinen Kopf auf meine Hände und überlegte, was ich ihm sagen konnte. Dabei sah ich ihn an und er erwiderte meinen Blick. Er hatte sehr schöne blaue Augen, fiel mir auf. „Meinst du wirklich, dass du nur wegen Maël hier bist?", fragte ich ihn. Er sah mich verblüfft an. „Wie meinst du das?" „Weißt du, Jonas, ich glaube, dass du vielleicht am Anfang nur wegen Maël hier warst, aber wenn du jetzt mal ehrlich zu dir bist, dann genießt du die Zeit hier auch." Er schaute auf den Boden und gab zu: „Das stimmt schon. Ich liebe es auf der Bühne zu stehen und zu spielen, aber das hier ist anders als ein normaler Auftritt." „Das würde ich so nicht sagen. Letztendlich steht ihr hier auch auf einer Bühne und unterhaltet Leute. Um jetzt aber mal zu dem eigentlichen Problem zurückzukommen, ich weiß gerade nicht so recht, was ich dazu sagen soll. Du kennst Maël besser als ich und weißt eher, wie er tickt. Ich weiß nur, dass es mega Spaß macht euch zuzusehen und ihr voll die gute Laune mitbringt. Man merkt, dass ihr zusammen funktioniert und euch aufeinander verlassen könnt. Jeder von euch beiden ist mit seiner Stimme einzigartig und zusammen seid ihr der absolute Knaller. Nico hat das auch bemerkt, also müsst ihr euch keine Sorgen machen, dass ihr euch blamiert oder an etwas scheitert. Er supportet seine Talente und hilft ihnen, sich weiterzuentwickeln. Vertraut ihm." Jonas sah wieder vor sich auf den Boden. „Jetzt fühle ich mich voll kindisch", murmelte er. „Musst du nicht. Jeder hat mal Zweifel. Die Situation ist für alle neu und ungewohnt. Es braucht eine Weile, bis man verstehen kann, dass man hier wirklich hingehört. Ich kann verstehen, dass ihr euch Sorgen macht, aber Nico und sein Team glauben an euch. Und ich tue das auch." Ich lächelte ihn aufmunternd an und auch Jonas' Mundwinkel hoben sich wieder. Er sah auf und sagte: „Danke, Jenny. Vielleicht hatte ich selbst auch ein bisschen Angst. Ich stand zwar schon einige Male auf der Bühne und wie du gerade schon meintest, ist es auch nur eine Show, aber irgendwie ist es hier doch ein anderes Gefühl." „Das glaube ich." Ich hörte über meinen Knopf im Ohr, dass das Kamerateam und Nico aus der Pause kamen und fügte hinzu: „Du solltest jetzt gehen. Wir machen gleich mit den Aufnahmen weiter. Ich wünsche euch viel Glück. Das wird super, glaub mir." Jonas winkte mir zum Abschied zu und kaum war er durch die Stahltür verschwunden, bog das Kamerateam mit Nico um die Ecke. „Dann lasst uns mal weitermachen", sagte er und setzte sich wieder auf den Hocker neben dem Klavier, von welchem ich jetzt aufstand. Ich verschwand wieder hinter die Kamera und die Aufnahmen gingen weiter. Es machte irre Spaß zuzusehen, wie die Songs immer mehr Gestalt annahmen. Am späten Nachmittag kamen Mohammed, Maël und Jonas die Treppe hoch. Nico begrüßte die drei, sie stellten sich auf ihre Plätze und dann sagte der Coach: „Na, Männer, was sagt ihr zum Song? Kanntet ihr den?" Die drei nickten, wenn auch zögernd. Nico grinste breit. „Alles klar. Dann würde ich vorschlagen, wir probieren das einfach einmal aus." Der erste Durchgang klappte eher mittelmäßig und das merkte auch Nico. Er runzelte die Stirn und meinte: „Ja gut. Ich würde mal sagen, da war schon viel Brauchbares dabei. Aber trotzdem fehlt mir da noch irgendwas." „Ähm, darf ich einen Vorschlag machen?", meldete sich Mohammed zu Wort. „Sicher." „Wie wäre es, wenn ich meinen Text auf Hebräisch singe?", schlug er vor. Nico bekam wie alle anderen vor und hinter der Kamera große Augen. „Es gibt davon einen hebräischen Text?" Mohammed nickte, zog sein Handy aus der Tasche und sing mir Klavierbegleitung an zu singen. Er erntete viel Applaus von allen. „Alles klar. Dann machen wir das so", meinte Nico und schmiss seine Textzettel in die Luft, was bei seinen drei Talenten und auch bei mir Lachen auslöste. „Was ich mir jetzt aber trotzdem noch wünschen würde, ist, dass ihr diese Sehnsucht nach ‚Aïcha', die der Song übermitteln will, mehr fühlt und rüberbringt. Darf ich fragen, ob ihr momentan jemanden habt, der dieses Gefühl in euch auslöst?", fragte Nico vorsichtig. Maël und Mohammed nickten, während Jonas' Blick kurz zu mir huschte und er dabei kurz lächelte. Dann sah er schnell wieder zu dem Coach. Ich war überrascht. Hatte ich mich versehen oder was sollte das denn bedeuten? „Gut, dann denkt mal an die Person und probiert es nochmal", bat Nico die Drei. Gesagt, getan und der zweite Durchgang war um Längen besser als der erste. Nico entließ die drei und damit dann war die Aufnahme für heute beendet. Er kam zu mir und sah mich mit gerunzelter Stirn an. „Hast du das auch mitbekommen?" „Was denn?", fragte ich unschuldig. „Dass Jonas bei der Frage nach seiner ‚Aïcha' kurz zu dir gesehen hat?" „Nö, hat er? Da muss ich wohl gerade was auf dem Tablet nachgesehen haben", wich ich aus. Es war ihm also auch aufgefallen. Aber was hatte das jetzt zu bedeuten? War das Zufall gewesen oder steckte tatsächlich mehr dahinter?

Don't leave me, Johnny || Maël und Jonas FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt