Friendship Goals - Nicos Sicht

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Zwei Wochen vor dem Halbfinale saß ich zusammen mit meinem Produzenten Kalli, der auch gleichzeitig mein Sidecoach bei The Voice war, im Studio und klimperte auf dem Klavier rum. Ich hatte im letzten Monat einige neue Songs geschrieben, an denen wir heute auch den Feinschliff vornehmen wollten. Dafür hatte ich auch Jenny einbestellt, die heute aus Hamburg anreiste. Sie hatte sich seit der After Show-Party ziemlich zurückgezogen. Vermutlich, um ihre Gedanken zu sortieren. Umso mehr hatte ich mich gefreut, dass sie zugesagt hatte, früher zu kommen. Ich kannte Jenny jetzt fast zwei Jahre und in dieser Zeit waren wir zu sehr, sehr guten Freunden zusammen gewachsen. Ich schätze ihre Meinung sehr und sie war schon oft eine Inspiration für mich gewesen. Manchmal kam es mir total surreal vor, wie ein Mensch so positiv sein konnte wie Jenny. Sie war fast immer gut gelaunt und behielt auch in stressigen Situationen einen klaren Kopf. Es war schon ein paar Mal vorgekommen, dass ich ziemlich down war und genau in diesen Situationen war sie es gewesen, die mich wieder aufgebaut hatte. Als es ihr dann neulich so schlecht ging, war es eine Selbstverständlichkeit für mich gewesen, für sie da zu sein. Es klopfte an der Tür und Jenny betrat das Studio. „Hey Jungs. Sorry, dass ich so spät bin. Auf der Autobahn war ein ziemlich schlimmer Unfall und es hat sich total gestaut", begrüßte sie uns. Ich stand auf und umarmte sie. „Ach, das macht doch nichts. Wir haben doch heute nichts mehr vor." Ich musterte sie prüfend. „Wie geht es dir, Jen?" Sie lächelte mich an. „Gut. Ich habe die Zeit mit Mel und Nina sehr genossen und hab total viele neue Ideen für Projekte, die man mal machen könnte." Sie begrüßte Kalli ebenfalls mit einer kurzen Umarmung, zog dann ihre schwarze Jacke aus und setzte sich auf das Sofa, das hier im Regieraum stand. Sie stellte ihre schwarze Handtasche neben sich und schlug die Beine übereinander. „Also, was habt ihr heute vor?" In diesem Moment wirkte sie wahnsinnig seriös mit ihrem prüfenden Blick durch ihre runde Brille. Schon als ich Jenny kennen gelernt hatte, war mir ihr Kleidungsstil direkt aufgefallen. Sie trug immer Hemden, Blusen oder Tops, die sie meistens mit einem Cardigan kombinierte, dazu Jeans und Stiefeletten. Ich hatte sie noch nie einen Hoodie oder eine schlabbrige Jogginghose tragen sehen und ich bezweifelte manchmal auch, dass sie diese Kleidungsstücke überhaupt besaß. Ihr Outfit rundete sie oft mit Ketten und Ringen ab. Unterm Strich konnte ich nur sagen, die Frau hat echt Stil. Besonders toll fand ich, dass sie es mit dem Make-Up nicht übertrieb. An einem stinknormalen Tag wie heute war sie nur dezent geschminkt. Man merkte ihr regelrecht an, dass sie sich in ihrer Haut wohlfühlte und nicht versuchte, irgendetwas zu kaschieren. „Nico? Hab ich was im Gesicht oder warum schaust du mich so an?" Jenny riss mich lachend aus meinen Gedanken. Ich schien sie wohl ein wenig zu lange angestarrt zu haben. „Was? Sorry, war gerade kurz mit den Gedanken wo anders." „Ist mir aufgefallen", kicherte sie. In den nächsten Stunden zeigten Kalli und ich ihr die Demos von den neuen Songs und sie war wirklich begeistert. Schon bei der Entstehung meines letzten Studioalbums hatte ich sie oft nach ihrer Meinung gefragt und ihr Feedback hatte wirklich sehr geholfen. Jenny hatte wahnsinnig viel Ahnung vom Musikbusiness und auch von der Musik selbst, auch wenn sie das selbst nicht gerne zugab. Sie schrieb selbst keine Songs, aber bei der einen oder anderen Melodie auf dem Album hatte sie mitgewirkt. Wir legten nach drei Stunden eine Pause ein, in der Jenny rüber in den Aufnahmeraum ging und sie an das Klavier setzte. Kalli verabschiedete sich, um kurz zu telefonieren und so folgte ich meiner besten Freundin. Sie sah mich mit ihren grünen Augen an, lächelte und meinte dann: „Ich hab dich noch gar nicht gefragt, wie es dir im letzten Monat so ergangen ist. Wie geht es Aileen? Sie ist doch jetzt neulich hierher gezogen, oder?" Ich nickte. „Ja, ich habe ihr die meiste Zeit geholfen, ihre Wohnung einzurichten." „Sie ist nicht bei dir eingezogen?", harkte Jenny mit gerunzelter Stirn nach. „Nein, momentan macht es aus verschiedenen Gründen mehr Sinn, dass wir noch getrennt leben." Sie sah mich immer noch skeptisch an, sagte aber nichts weiter. Jenny und Aileen verstanden sich sehr gut miteinander, was mich natürlich sehr freute. Während Jenny bei mir gewohnt hatte, war Aileen oft zu Besuch gewesen und sie hatten sich sofort gut verstanden. Jenny hatte meiner besseren Hälfte quasi sofort erklärt, dass sie und ich nur sehr gute Freunde waren und dies auch bleiben würden und damit waren dann alle möglichen Streitpunkte aus der Welt geschafft worden. Wenn ich unterwegs gewesen war, hatten die beiden Frauen zusammen Berlin unsicher gemacht. „Was spielst du da eigentlich die ganze Zeit?", fragte ich sie. Ich kannte die Melodie nicht, die sie da auf dem Klavier spielte. Sie zuckte mit den Schultern. „Ach, nur so eine Melodie, die ich in Hamburg gespielt habe, als ich versucht habe, die ganzen Erlebnisse zu verarbeiten." Sie sah mich an und wurde ein ganz kleines bisschen rot. „Ich musste dabei aber nie an Jonas denken, sondern irgendwie immer an dich. Ich bin dir so dankbar, dass du an dem Abend für mich da warst. Du hast mir dadurch wieder Halt gegeben." Sie haute auf die Tasten des Klaviers und seufzte. „Du weißt gar nicht, wie sehr es mich stört, dass ich dazu keinen Text zustande bringen kann." Ich setzte mich neben sie auf den Klavierhocker und bat sie, die Melodie noch einmal zu spielen. Während sie spielte, fing ich an, verschiedene Textzeilen zu singen. Ich dachte dabei an meine Freundschaft zu Jenny und was mir diese Freundschaft gab. An die Momente, die wir schon zusammen erlebt hatten, an die witzigen Aktionen wie Fotoshootings im Park oder spontanes Singen mitten in einer Berliner Fußgängerzone, an die Momente, in denen wir für einander da waren, zum Beispiel als ich mich von meiner letzten Freundin getrennt hatte oder sie Stress mit ihren Freunden hatte. Irgendwann fand ich einen Refrain, der wie die Faust aufs Auge zu passen schien. Jenny grinste mich breit an und sang mit mir zusammen:

"Pull me out, pull me out
Oh, when I'm goin' under
Pull me out, pull me out
When I'm underwater
When I need to come up for air
And I feel like there's no one there
Pull me out, pull me out."

Eine halbe Stunde später war auch der restliche Text fertig. „Woah, wie krass ist der Text denn bitte?", rief sie aus. „Woran hast du denn dabei bitte gedacht?" „Naja, an unsere Freundschaft", antwortete ich schulterzuckend und grinste sie an. Sie grinste breit zurück. In diesem Moment kam Kalli wieder in den Regieraum und wirkte ein wenig überrascht, als er uns beide da am Klavier sitzen sah. „Ey, Kalli, wir müssen dir mal was vorspielen." Jenny haute wieder in die Tasten und wir sangen meinem Produzenten zusammen den fertigen Song vor. Auch er war vollkommen begeistert. Wir beschlossen zusammen, noch weiter an dem Song zu arbeiten. Irgendwann gegen zehn Uhr abends lehnte sich Kalli zurück und drückte ein letztes Mal auf die Leertaste seiner Tastatur, um das Demo zu starten. Jenny saß wieder auf dem Sofa und hörte aufmerksam zu. Wir hatten den Refrain zusammen eingesungen, die Strophen hatte sie mir überlassen. Sie grinste von einem Ohr zum anderen, als der letzte Ton verlang und meinte: „Das ist besser, als ich es mir vorstellen konnte." Es freute mich, sie wieder so glücklich zu sehen. Ich hoffte nur, dass sie es nächste Woche auch schaffen würde, Jonas wieder gegenüber zu treten. Ich wusste nicht, ob sie ihn während ihrer Zeit in Hamburg wirklich losgelassen hatte oder ob sie ihm noch eine weitere Chance geben würde. Genauso wenig wusste ich, ob Jonas sie während der Drehpause in Ruhe gelassen hatte. Jetzt gerade wollte ich sie das aber nicht fragen. Die Dinge würden sich von selbst ergeben und jetzt gerade passte es auch nicht in die Situation. Jenny sah mich an und meinte: „Wenn du willst, kannst du den Song auch auf der Sonderedition deines Albums veröffentlichen." Meine Augen wurden groß. „Aber das ist doch dein Song", protestierte ich. Sie schüttelte den Kopf. „Wenn überhaupt ist das unser Song. Die Melodie ist von mir, der Text von dir." Der Song „Pull me out" landete tatsächlich auf dem Album, allerdings ohne Jennys Gesang. Sie wollte nicht, dass sie mit auf meinem Album war, deshalb hatte ich noch eine Soloversion aufgenommen. Die Duettversion wurde jedoch Jennys Klingelton auf meinem Handy und mein Klingelton auf ihrem. „Pull me out" wurde der Song, der unsere Freundschaft am besten beschrieb und somit auch einer meiner Lieblingssong, denn ich musste ihn nur anhören, um an die Momente mit meiner besten Freundin zu denken.

Don't leave me, Johnny || Maël und Jonas FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt