47 - sarcasm

361 18 0
                                    

L

Ich stand vorsichtig auf und hob ihn vorsichtig hoch.
Das Handtuch fiel auf den Boden, aber es war mir scheißegal.
Er war so zerbrechlich.
Ich fasste es nicht.
42,8.
Mir schossen Tränen in die Augen.
Ich legte ihn behutsam auf mein Bett.
Er war kurz davor, einzuschlafen.
Ich ging nach unten.
Jetzt, wo er fast schlief, konnte ich ihn auch mit gutem Gewissen alleine lassen.
Meine Mutter schlief mit einer Spritze neben ihrem Arm.
Ich nahm mir zwei mittelgroße Baggies aus ihrer Tasche.
Dann ging ich wieder hoch und setzte mich auf das Fensterbrett.
Dort kramte ich Mamas alte Methpipe aus meinem Geheimversteck hinter der Heizung und rauchte einfach.
Ich wollte nur, dass alles wieder so war wie früher.
Ich wollte zurück nach Hause.
Zurück in mein altes Leben.
Ich ließ den bitteren Rauch in meine Lunge fließen.
Ich vermisste mein altes Zuhause.
Meine alten Freunde.
Mein altes Umfeld.
Ich hatte keine Freunde.
Ich hatte nur Nico.
Und ich hatte nichts gegen Nico.
Wirklich nicht.
Aber scheiße.
Nico wollte mehr sterben, als dass es mir früher gut ging.
Ich schaute aus dem Fenster.
Dort waren spielende Kinder auf der Straße, die sofort wegrannten, wenn ein Auto kam.
Wenn die Eltern auch nur eine leiseste Ahnung hätten, was in unseren zwei Häusern vorginge, würden sie wahrscheinlich wegziehen.
Ich meine, wer hat denn schon gerne Junkies als Nachbarn?
Ich rauchte noch eine Kippe hinterher und legte mich zu ihm.
Ich hatte nur einen winzigen Rand meines Bettes frei, weil er sich so breit machte, aber es war egal.
Er brauchte dringend Schlaf.
Ich streichelte mit meinen Fingern über seinen Körper.
42,8.
Ich schluckte.
Scheiße.
Er brauchte ganz dringend Hilfe.
Und mit Hilfe meinte ich nicht, dass er normal zu seinen Therapeuten gehen sollte.
Er musste einfach in eine Klinik, mit Schlauch in der Nase, verschlossener Tür und Betreuern, die auf ihn aufpassen konnten.
Weil ich das einfach nicht mehr konnte.
Am Anfang dachte ich, wir hätten das alles im Griff.
Aber wir hatten gar nichts im Griff.
Als ich das gedacht hatte, wusste ich noch gar nichts über ihn.
Ich dachte, er hätte Schlafprobleme und ein bisschen ADHS.
Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Er nahm seine Tabletten nicht mehr.
Traurig kämmte ich seine zerstrubbelten Haare mit meinen Fingern.
"Nico?"
"Hm?"
Er öffnete seine Augen.
"Nimmst du deine Medikamente?"
Er schüttelte den Kopf.
"Von denen wirst du nur fett. Ich meine Quetiapin fickt alles."
42,8.
"Du musst unbedingt zunehmen", flüsterte ich.
"Mhm."
"Das ist wirklich nicht mehr schön", fügte ich leise hinzu.
Er sah mich traurig an.
"Ich war noch nie schön."
Entsetzt sah ich ihn an.
"Du bist der schönste Junge... nein der schönste Mensch, den ich jemals gesehen habe. Ich war von Anfang an so fasziniert von dir. Du bist wunderschön. Nur leider bist du krank."
"Warum muss immer jeder erwähnen, dass ich krank bin?", fragte er enttäuscht.
"Es tut mir leid. Du bist wunderschön, aber dein Körper..."
Er nickte.
"Vielleicht hast du ja Recht, aber das geht einfach nicht in meinen behinderten Kopf rein."
Ich schluckte.
"Diese Gedanken sind genauso tödlich wie die Drogen, die du nimmst."
"Ich bin nicht der einzige, der hier Drogen nimmt", sagte er leise.
Er hatte ja Recht.
Aber ich hatte auch Recht.
Ich starrte die Wand an.
Dann hörte ich ein leises, regelmäßiges Atmen von der anderen Seite des Bettes.
Ich musste lächeln.
Immerhin schlief er und konnte jetzt keine Scheiße bauen.

nicotine (bittersüße vodkaküsse)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt