2 - unsainted

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N

Die Anspannung verschwand zum Großteil, als sie endlich den Bus verließ.
Und vielleicht machte ich jetzt ein bisschen mehr Umsatz.
Draußen stand sie im Schnee und übertrug den Benutzernamen in ihr Handy.
Meins vibrierte darauf.

𝖑𝖞𝖓𝖓🖤 hat dich geaddet.

Lynn also.
Schöner Name.
Aber ich kam gar nicht auf sie klar.
Vielleicht änderte sich das, wenn ich mal high in ihrer Gegenwart war.
Oder druff.
Wobei... ich sollte es nicht übertreiben.
Dann würde ich wahrscheinlich Sachen erzählen, die sie nichts angingen.

Nächste Haltestelle: Klinikum.

Meine Tante.
Haha.
Ich hatte nicht mal eine Tante.
Ich stieg in die eiskalte Welt hinaus und ging mit hängendem Kopf in die Notaufnahme.
"Was ist passiert?"
"Ich hab mir ausversehen mit einem Messer in den Arm geschnitten."
"Okay, nehmen Sie einfach Platz und füllen sie diesen Bogen aus."
Sie lächelte mich an.

Endlich war ich dran.
"Dann zeig mal her."
Der Arzt sah mich streng an.
"Das ist schon wieder so tief wie gestern."
"Zick nicht rum und sei froh, dass ich überhaupt noch komme."
"Ein bisschen netter und respektabler könntest du schon mit mir reden."
"Du hast mich schon 3 Mal in die Klapse gesteckt, warum sollte ich nett zu dir sein?"
"Ich will dir nur helfen."
Er spritzte mir Betäubungsmittel.
Ich wusste genau, was jetzt kam.
"Schau da nicht so drauf. Das triggert dich nur."
Ich atmete hörbar aus und ließ ihn die Wunde nähen.
"Und wieder auf Station zu gehen, ist wirklich keine Option?"
"Ganz sicher nicht."
Er seufzte.
"Dann ruf nächstes Mal wenigstens einen Rettungswagen, statt einfach wieder alleine hier einzutrudeln."
Er wickelte sorgsam einen Verband um meinen Arm.
"Du darfst jetzt gehen. Aber vergiss den Verbandswechsel nicht."
"Endlich, echt."
Ich verdrehte die Augen.
Er konnte sich seinen scheiß Verbandswechsel in den Arsch schieben.
Ich zog meinen Hoodie wieder zurück auf meinen Arm und ging zurück zum Bus.
Ich war so froh, dass ich die beschissene Schule geschmissen hatte. Ich dachte, dass es besser werden würde ohne die zusätzliche Belastung durch das Mobbing, aber das Trauma saß zu tief in mir.
Ich setzte mich ganz hinten in die Ecke und senkte meinen Kopf.
Dann hörte ich Unsainted von Slipknot.
Mein Handy vibrierte.

𝖑𝖞𝖓𝖓🖤 (16:45): Geht fux 17:00?
nicotine (16:46): okey du kennst dich nich aus oder?
𝖑𝖞𝖓𝖓🖤 (16:46): ne nich wirklich haha
nicotine (16:46): ok dann einfach haltestelle dann gehen wir zu so nem baunhaus haha

Es war eigentlich ein Wunder, dass ich ihr das Baumhaus zeigen wollte.
Das war mein geheimer Ort.
Das Baumhaus hatten mein Vater und die Eltern des Jungen, der gegenüber von mir wohnte gebaut als ich noch ein normales Kind mit kokainsüchtiger Mutter war.
Manchmal vergaß ich komplett, dass ich überhaupt eine hatte.
Was gut war.
Ich stieg aus und zündete mir eine Kippe an.
Warum nicht gleich Kippe exen.
Ich zog die Zigarette durch, als wolle ich ins Guinness Buch der Rekorde.
Dann spuckte ich auf den Boden.
Und dann kam Lynn.

nicotine (bittersüße vodkaküsse)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt