46 - time

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N

Zögerlich folgte ich ihr in das Badezimmer.
Ich hatte keine Ahnung, was sie vorhatte, aber mir schwante Böses.
Sie nahm eine Waage aus einer Schublade und mir schossen die Tränen in die Augen.
Scheiße.
Ich wollte gerade normal draufsteigen, aber sie unterbrach mich.
"Wag es ja nicht."
Sie drehte mich um.
Ich stieg rückwärts drauf und schluckte.
Ich musste es einfach tun.
Dann schubste ich sie weg und drehte mich um.
Die leuchtenden Buchstaben drehten meinen Magen um.
42,8
Lynn starrte mich an, das konnte ich spüren.
42,8
Zu viel.
Ich wollte wieder unter 40.
42,8
Wie vor 2,5 Jahren.
Da musste ich zwangsernährt werden.
42,8
Aber immerhin war ich zufrieden.
Ich hatte mir diesen scheiß Schlauch so oft rausgezogen.
42,8
Alle waren abgefuckt von mir.
Aber ich war zufrieden.
42,8
"Nico, bitte iss was", sagte Lynn leise.
Ich schüttelte den Kopf.
42,8
Am liebsten würde ich diese scheiß Waage aus dem Fenster schmeißen.
Ich schaute auf die Narben auf meinem Bauch.
Da stand tief "FAT" eingeritzt.
Stimmte auch.
42,8
Mit zitternden Beinen stieg ich runter.
40,5
30,1
23,6
11,2
5,4
0
Scheiße.
Ich verdiente es nicht, zu essen.
Morgen würde ich ganz bestimmt wieder nichts essen.
Auch nicht Lynn zuliebe.
42,8
"Scheiße Nico, ich will nicht, dass du verhungerst!", schrie sie schon fast.
Tränen liefen über ihre Wangen.
Ich verkniff mir das "Ich aber schon" und murmelte nur ein "Mhm."
Dann murmelte ich ein leises "Kannst du mal raus gehen?"
Sie nickte und tat, was ich sagte.
Kaum war sie verschwunden, sank ich auf den Boden und schlug gegen meinen Kopf.
42,8
Ich steckte mir drei Finger so tief in den Hals, wie ich nur konnte und kotzte lauter Galle in die Dusche.
Scheiße.
Ich stellte mich noch einmal auf die Waage.
42,7
Ich zog mich komplett nackt aus.
41,2
Das war immer noch zu viel.
Ich brauchte etwas gegen diesen Hunger, doch der Appetit war mir schon lange vergangen.
41,2
Ich wusch die Kotze aus der Dusche und stellte auf ganz heiß.
Dann setzte ich mich auf den Boden der Dusche und ließ das dampfende Wasser auf meinen kaputten Körper träufeln.
41,2
Der Verband seichte durch und ich schmiss ihn aus der Dusche raus auf den Boden.
Das Wasser, das jetzt in den Abfluss floss, war rot.
41,2
Ich ließ die Tränen einfach fließen.
Auf einmal stand Lynn im Zimmer.
Aber sie war mir egal.
Sie stellte vorsichtig die Dusche ab und legte ein Handtuch um meine Schultern.
"Mund auf", sagte sie leise und legte mir eine Xanny auf die Zunge.
Dann gab sie mir ein Glas Wasser, mit dem ich diese runterspülte.
Ich beobachtete, wie das Handtuch rot wurde.
Sie nahm meine Arme.
Ich weinte immer noch.
41,2
Dann wickelte sie sorgsam Verbände um meine Arme und Hände.
"Danke", flüsterte ich.
Dann fügte ich noch ein leises "Ich liebe dich. Viel mehr als du mich. Und das ist das Problem. Ich will nur Schluss machen, weil ich nicht will, dass du mich langsam sterben siehst.
Aber ich liebe dich auch viel mehr als du mich, deshalb will ich nicht Schluss machen."
Jetzt weinte auch sie und setzte sich zu mir in die Dusche auf den immer noch nassen Boden.
"Geh raus, nicht dass du 'ne Blasenentzündung kriegst."
"Halt's Maul", sagte sie leise und lächelte mich mit Tränen in den Augen an.
"So fühlt sich also Liebe an", sagte ich leise und nahm ihre Hände.
Sie beugte sich zu mir und küsste mich.
"Ich bleibe bei dir, egal was passiert. Auch wenn du sterben solltest. Aber bis dahin gebe ich alles, dass das nicht passiert."
"Wenn du mich liebst, dann lass mich los", murmelte ich.
"Wenn du mich liebst, dann lass mich niemals los."
Sie lächelte ein bisschen.

nicotine (bittersüße vodkaküsse)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt