Teil22

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"Josie?", stellte Felix fragend fest, als er aus der Tür sah.

Zögernd antwortete ich: "Ich wollte dir nur deine Jacke wieder bringen und mich nochmal bedanken." Ich hielt ihm die Jacke hin, doch er nahm sie mir nicht ab. 

"Ist irgendwas?", fragte ich etwas irritiert von seinem Verhalten.

Wieder sagte er nichts. 

"Es tut mir leid, Felix, ich wollte dich vorhin nicht so anschreien, ich habe keine Ahnung was da in mich gefahren ist."

Sein Blick senkte sich:" Schon okay, habe schon verstanden."

"Was hast du verstanden?" 

"Das du ihn liebst." - "Du spinnst doch!", langsam dämmerte mir worauf er hinaus wollte, "Wie kommst du da drauf? Hab ich das jemals gesagt?"

Er fuhr sich mit seiner Hand über den Hinterkopf: "Können wir das nicht einfach vergessen?" - "Nein, wir klären das jetzt.", sagte ich bestimmt.

Felix trat einen Schritt zurück und bedeutete mir mit einer Handbewegung in seine Wohnung einzutreten: "Dann lass uns das aber nicht auf dem Flur besprechen, wenn alle uns zuhören können."

Wir setzten uns auf sein Sofa. Ich zog die Beine an und schlung meine Arme um sie: "Ich höre?", versuchte ich ruhig zu bleiben.

"Man, es sieht doch jeder, dass du ihn liebst! Anscheinend nur du selber nicht."

Hatte mir nicht gerade mein Bruder noch genau das Gleiche zu Felix gesagt?

"Du hast uns nicht mal angeguckt als er da war.. Und wie du ihm nachgelaufen bist."

"Ist das dein Ernst?" 

Fassungslos starrte ich an die Wand. Hatte ich mich wirklich so verhalten?

"Ich.. Ja."

Er wich meinem Blick aus. 

"Felix was du da erzählst ist totaler Schwachsinn."

"Ach ja? Dann sag mir wie es wirklich ist.", murmelte er.

Ich atmete tief durch und stand auf: "Du kennst mich doch gar nicht, du weißt rein gar nichts über mich." Mit diesen Worten verließ ich den Raum und verschwand.

So etwas musste ich mir nicht bieten lassen, dachte ich, als ich in meine Turnschuhe schlüpfte und in die kühle Abendluft trat.

Eigentlich wollte ich nur ein wenig joggen um den Kopf frei zu bekommen, aber irgendwie rannte ich. Ich rannte und rannte.

Ich lief an Wohnhäusern vorbei, an Parks, an Supermärkten und alle Menschen denen ich über den Weg lief schauten mich schief an. 

Irgendwann ließ ich mich auf einem Klettergerüst eines heruntergekommenen Spielplatzes nieder. Mein Herz zersprang fast in meiner Brust. Meine Lungen konnten kaum genug Sauerstoff aufnehmen. 

Die Splitter des Holzes vom Klettergerüst bohrten sich durch meine Hose in meine Haut. Es war mir egal. Es war mir so ziemlich alles egal, hauptsache ich musste die Erinnerungen nicht wieder hochkommen lassen.

In der Ferne hörte ich Verkehrslärm. Mein Körper wollte sich einfach nicht erholen, stattdessen legte sich eine Müdigkeit über mich. Am liebsten hätte ich mich auf der Stelle in mein Bett gelegt.

Wieso war ich nur weg gelaufen? Ich konnte nicht immer vor allem weg laufen.

Eine einsame Träne kullerte über meine Wange. 

Ich war definitiv verwirrt und ich hatte den labilen Gefühlszustand immer noch nicht überwunden. Was um alles in der Welt wollte ich. Was fühlte ich? Ich liebte ihn nicht, oder? Liebte ich Felix? Da war definitiv etwas. Warum war Felix nur so komisch? 

In meinem Kopf war ein Chaos ausgebrochen über das ich nicht Herr wurde.

Ein penetrantes Geräusch holte mich aus meinen Gedanken zurück. Bis ich verstand, dass es mein Handy war vergingen einige Sekunden.

Es war Rewi. Ich drückte ihn einfach weg. Ich wollte jetzt nicht reden, erst musste ich Herr über meine Gefühle werden.

Ich kam allerdings nicht weit, denn erneut klingelte mein Handy. 

"Was?", meldete ich mich gereizt.

"Verdammt wo bist du? Warum drückst du mich weg?" 

"Bin laufen."

"Hast du mal auf die Uhr geguckt?"

Nein, die Zeit hatte ich völlig aus den Augen verloren. Erst jetzt fiel mir auf, dass es schon stock dunkel draußen war.

"Josie?", erklang die Stimme meines Bruders.

"Jaa." - "Wo bist du?" - "Weiß ich nicht." - "Wie du weißt nicht wo du bist?" - "Ich bin einfach los gelaufen, ich weiß halt nicht wo ich bin." 

Er seufzte: "Und wie willst du dann nach hause kommen?" - "Hab ich noch nicht drüber nachgedacht.", gab ich zu.

"Du Rewi ich leg jetzt auf und lauf zurück, ich find das schon." - "Weißt du wie gefährlich das um diese Zeit hier ist?" - "Nein und mir wird auch schon nichts passieren." 

"Bleib wo du bist, ich hole dich ab." - "Und wie willst du mich finden?" - "Wozu hast du ein Smartphone? Mach dein GPS an und sag mir deinen Standort."

Ich blieb noch eine Weile zusammengekauert auf dem Klettergerüst sitzen. Noch einmal ließ ich den Tag an dem ich mit Felix auf dem Dorffest gewesen war revue passieren. Bei dem Gedanken, wie Felix mich beruhigt hatte begann meine Haut zu kribbeln. 

Was war nur los mit mir? Und warum war ich so blöd und verhielt mich Felix gegenüber so affig, er hatte mir nichts getan. Er war immer nett und zuvorkommend gewesen. Warum stieß ich ihn so weg? 

Weil ich etwas für ihn empfand und weil ich Angst hatte. Angst davor diese Art der Gefühle zu zulassen. Sagte mir mein Herz.

"Joosiee!" - "Ich bin hier!"

Vorsichtig stieg ich die Holzleiter herab. 

Erst im Moment bevor ich schon auf den Boden aufschlug realisierte ich, dass eine Sprosse unter meinem Gewicht nachgegeben hatte. 

"So ein Dreck!", fluchte ich, als mich aufrappelte. 

"Alles klar bei dir?", erkundigte sich Rewi aus der Ferne. 

"Jaaa!"  Gekrümmt lief ich in die Richtung seiner Handytaschenlampe.

Ich war ihm dankbar, dass er keine dummen Fragen stellte und einfach schwieg. Auch im Treppenhaus sagte er nichts. Ich hielt mir die schmerzende Stelle am Rücken und folgte ihm.

Eine Tür wurde geöffnet als wir die Stufen beklommen. Felix schaute uns entgegen. 

Er setzte gerade an und wollte etwas sagen, als er mich ansah und verstummte. 

Ich blieb stehen und sah ihn ebenfalls an. 

Wortlos nahm er mich in den Arm.

Vielleicht war es ja gar nicht so schlecht Gefühle zu zulassen.

Ich würde es versuchen, egal was passiert.

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