Kapitel 4

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Am nächsten Tag schwebe ich wie auf Wolken zu meinem Arbeitsplatz und nicht nur Ernst, sondern auch Susanne und Valentin, unser Sportressortleiter, und sogar der junge Praktikant Sebastian werfen mir des Öfteren komische Blicke zu. Ist mein Grinsen wirklich so offensichtlich?

Nur Herbert scheint von alldem nichts mitzubekommen, oder zumindest lässt er sich nichts anmerken. Ist mir auch lieber so, denn auf blöde Kommentare von ihm kann ich gerne verzichten. Wäre ja nicht das erste Mal, dass er dumme Bemerkungen über mein Alter oder meinen Singlestatus ablässt. Dabei ist er mit seinen über 50 auch geschieden und Single, weil seine eigentlich gutmütige Frau es nach zwanzig Ehejahren endlich leid war, sich seine chauvinistischen Ansichten anzuhören und ihm ständig das Bier zu holen.

Als ich mir grade einen Kaffee im Pausenraum zubereite, pingt mein Handy und mein Herz schlägt schon schneller, bevor ich noch dazukomme auf das Display zu sehen.

Hast eh nicht vergessen, einen Tisch für heute bei Massimo zu reservieren?

Oh, Mist, ja natürlich ist mir das entfallen. Meine Tochter Kathi kennt mich und mein Siebgehirn nur zu gut. Wir zwei sind heute Abend zu einem schon längst überfälligen Mutter-Tochter-Schlemmen beim Italiener verabredet. Schnell tippe ich eine Antwort.

Mach ich gleich

Schuldbewusst wähle ich die Nummer vom Restaurant, einem hippen Innenstadtitaliener mit exzellenter Küche und deshalb heiß begehrt, und zu meiner Erleichterung ist noch ein Tisch für zwei zu haben, sogar in unserem bevorzugten, etwas abgeschirmten Bereich im unteren Gewölbe.

Schon erledigt. Tisch um 7 für zwei ist reserviert! Bussi

Freu mich schon! <3

Mein restlicher Arbeitstag verläuft recht ereignislos, wenn man davon absieht, dass ich einen Bericht, der eigentlich schon fertig war, noch mal überarbeiten muss, weil mir ein Fehler bei einem Namen unterlaufen ist. Ich sollte wohl versuchen, nicht die ganze Zeit mit meinen Gedanken bei Paul und unserem Kuss zu sein, und mich besser auf meine Arbeit zu konzentrieren. Schließlich bin ich mir sicher, dass er das auch tut, denn ich habe heute den ganzen Tag noch nichts von ihm gehört. Nicht, dass er dazu verpflichtet ist, sich bei mir zu melden, und außerdem könnte ja ich genauso gut die Initiative ergreifen, und ihn anschreiben, aber so offensichtlich will ich dann auch nicht mein Interesse an ihm kundtun.

Ich räume gerade meine Tasche ein, als doch noch sein Name auf meinem Display auftaucht.

Wie war dein Tag? Hättest du Zeit und Lust, dich Freitag Nachmittag mit mir zu treffen?

Meine Wangen werden ganz heiß und es kribbelt in meinem Bauch. Ich muss ein Grinsen unterdrücken. Schnell schnappe ich mir meine Tasche und mache mich aus der Redaktion davon. Im Auto sitzend kann ich ungestört und ohne neugierige Blicke meiner Kollegen antworten.

Mein Tag war ganz okay. Wie war es bei dir? Ja, ich hätte schon Zeit und Lust. Wann und wo schlägst du vor? 

Hoffentlich klingt das nicht zu übertrieben begeistert. Ich lasse das Handy wieder in meine Tasche fallen und beschließe, erst wieder zu Hause nachzusehen, ob er mir geantwortet hat, da ich mich jetzt beeilen muss, wenn ich mich noch duschen und ein wenig stylen will für heute Abend.

Daheim angekommen übermannt mich dann doch gleich die Neugier und ich ziehe sofort mein Handy aus der Tasche.

Das überlasse ich ganz dir. Ich hätte ab 15:00 Uhr Zeit. Mein Tag war auch okay, nichts Besonderes

Jetzt ist meine Kreativität gefragt. Vielleicht hofft er ja darauf, dass ich ihn zu mir einlade? Ich hole mir einen Smoothie aus dem Kühlschrank und als ich gedankenverloren daran nippe, fällt mein Blick auf die Tickets, die neben der Kinderzeichnung von Pauls Tochter an meiner Kühlschranktür prangen. Genau! Das ist es.

Der gestohlene MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt