Kapitel 11

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Mist, verdammt. Ich zwinge mich zu einem Lächeln, während ich langsam eine Stufe nach der anderen hinuntergehe.

Komm schon, Linda, lass dir was einfallen. Und setz deine gleichgültige Fassade auf. Sie darf jetzt auf keinen Fall Verdacht schöpfen.

„Ja, das bin ich", sage ich und greife blindlings nach dem einzigen Strohhalm, den mir mein Gehirn bereithält. „Wir kennen uns vom Kindergarten, stimmts? Ich habe Sie bei der Eröffnung interviewt." Bleib unverfänglich und lass dir nichts anmerken. Hoffentlich ist mein Kleid nicht allzu verknittert. Ich schicke ein leises Stoßgebet an den Kosmetikhimmel für kussechten Lippenstift.

„Ja, genau, das ist es." Ihre Augenbrauen wandern nach oben und sie schenkt mir ein zurückhaltendes Lächeln. „Für einen Moment war ich mir nicht sicher und es ist mir dann zugegebenermaßen immer etwas unangenehm nicht zu wissen, woher ich jemanden kenne." Sie fährt sich über ihren Hals, um den eine dezente goldene Kette mit einem kleinen Herz geschlungen ist. Ich brauche kein Hellseher zu sein, um zu wissen, dass das wohl ein Geschenk von Paul war.

Die wenigen Stufen, die uns noch trennen, scheinen sich ins Unendliche auszudehnen. Ein schwarzer Abgrund, der nur darauf wartet, mich zu verschlingen. Meine Kehle schnürt sich zusammen, während ich zu ihr hinuntersteige und wir uns nun endlich gegenüberstehen.

Rechtmäßige Ehefrau und verbotene Geliebte.

„Kein Problem", sage ich und winke ab. „Ich kenne das, aber dank meiner Arbeit in der Redaktion habe ich es mir zur Angewohnheit gemacht, mir Namen und Gesichter zu merken. Das erleichtert mir die Arbeit ungemein."

„Kann ich mir denken." Ihre braunen Augen mustern mich neugierig und ich suche fieberhaft nach einer glaubhaften Entschuldigung, um mich zu verabschieden, ohne unhöflich zu wirken, doch sie kommt mir mit einer Frage zuvor. „Sind Sie denn beruflich hier heute?"

„Nein, ich bin heute rein zum Vergnügen da. Mit einem Arbeitskollegen", schiebe ich noch schnell nach. Sicher ist sicher.

„Ah, verstehe. Mein Mann ist im Dienst seiner Firma hier, aber wenn ich schon mal einen Abend ohne Kinder in Aussicht habe, dann konnte ich das natürlich nicht abschlagen. Sie wissen ja wie das ist. Sie haben ja auch Kinder, oder, wenn ich mich recht erinnere?" Sie sieht mich fragend an.

„Ja, ich habe eine Tochter, allerdings ist die schon lang dem Babysitteralter entwachsen. Das hat den eindeutigen Vorteil, dass meine Freizeitplanung um einiges einfacher geworden ist." Na siehst du, etwas belanglosen Smalltalk schaffst du doch.

„Das kann ich mir denken." Melissa wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr, ein goldfarbenes Gehäuse an einem femininen braunen Lederband. Ich kann zwar die Marke nicht erkennen, aber sie sieht alles andere als billig aus. Paul scheint einen Hang zu teuren Geschenken zu haben. Was, wenn das seine Art ist, sein schlechtes Gewissen zu beruhigen? „Na dann werde ich mal sehen, was Paul so lange treibt. Er sollte eigentlich mit dem Klienten aus Frankreich schon fertig sein."

Klient aus Frankreich? Das wäre dann wohl ich. Die klebrigen Überreste zwischen meinen Beinen sind der Beweis, dass er mehr als beschäftigt war. Sex ohne Kondom und ohne Unterwäsche ist definitiv nicht empfehlenswert, wenn man danach noch in der Öffentlichkeit unterwegs ist. Gegen die Kraft der Schwerkraft kann auch Pauls Einstecktuch nicht wirklich viel ausrichten.

„Dann will ich Sie nicht mehr länger aufhalten. Mein Kollege wartet sicher schon auf mich." Kalter Schweiß perlt meinen Rücken hinunter. Das unverbindliche Lächeln, das ich aufsetzte, kann nur dürftig mein vor Schuldgefühlen überquellendes Herzklopfen überdecken.

„Aber natürlich. Einen schönen Abend dann noch." Sie richtet sich den Träger ihres dunkelblauen Abendkleides und steigt die Treppe hinauf.

„Wünsche ich auch." Jedes einzelne Wort schmerzt. Ich zwinge mich dazu, ihr nicht nachzusehen, zu sehr sitzt mir die Angst im Nacken, Paul könnte plötzlich auftauchen und wir könnten uns doch noch irgendwie verraten.

Der gestohlene MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt