Kapitel 18

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Am nächsten Tag sitze ich im Büro und klicke mich mit Susanne durch die Fotos von der gestrigen ComicCon als eine E-Mail von Kathi auf meinem Desktop eintrudelt. Anscheinend habe ich wieder mal vergessen, mein privates E-Mailprogramm zu schließen. Na, wenigstens ist es keine Nachricht von Paul. Du musst echt besser aufpassen, ermahne ich mich selber, und ertappe mich dabei, wie ich sogar in meinem Kopf in Emis Tonlage verfalle. „Welche Wohnung ist die beste?" steht im Betreff und ich kann nicht anders als schmunzeln.

„Wird es denn ernst mit dem Übersiedeln?" Susannes Blick wandert vom Computerbildschirm zu mir und ich nicke vielsagend.

„Ja, sie ist an der Fachhochschule aufgenommen und wird wohl noch vor dem Sommer übersiedeln, um gleich an Ort und Stelle zu sein, wenn es im Herbst losgeht. Ein wenig Zeit zum Einleben braucht sie ja auch."

„Klingt aufregend."

„Kathi ist jedenfalls ganz begeistert davon." Ich klicke die E-Mail weg, um sie mir später in Ruhe durchzulesen.

„Und du? Wie gehts dir damit, dein Mädchen so weit weg von dir in der großen Stadt?"

Ich zucke mit den Schultern. „Für mich ist das okay. Ist ja nicht so, dass sie immer noch bei mir zuhause war. Sie lebt ja schon seit gut zwei Jahren mit ihrer Freundin Lea in einer WG. Der einzige Unterschied ist, dass sie jetzt weiter weg ist und sie nicht mehr so einfach meine Waschmaschine benutzen kann, wenn ihre kaputt ist."

Susanne klemmt sich eine ihrer wilden roten Locken hinters Ohr. „Du siehst das Ganze ja sehr gelassen. Da sind nicht alle Mütter so entspannt, wenn es um ihre Töchter geht, vor allem wenn es die einzige ist."

„Ich steh auf dem Standpunkt, dass Mamas auch das Loslassen lernen müssen. Das ist nicht einfach, aber notwendig. Nur, weil Kinder groß werden und wegziehen, hören sie ja nicht auf, unsere Kinder zu sein." Na toll, Linda, du hörst dich heute an wie so ein Selbsthilfeprogramm für einsame und verlassene Mütter.

„Ich seh schon, von dir können sich so einige Mütter in meinem Bekanntenkreis noch eine Scheibe abschneiden, und nicht nur die." Sie rollt demonstrativ ihre Augen. "Die Väter sind ja da oft noch viel schlimmer."

„Ja, Väter neigen leider oft dazu, ihre Töchter vor allem möglichen beschützen zu wollen." Nicht, dass mein Ex-Mann Thomas einer von der Sorte wäre, nein, der gehört eher dem Lager der gleichgültigen Väter an. Aber ich habe schon lange aufgegeben, mich darüber aufzuregen, auch wenn ich sehe, dass Kathi sich natürlich immer noch wünschen würde, ihr Erzeuger würde etwas mehr Interesse an ihrem Leben zeigen.

Paul ist da ganz anders. Auch wenn seine Töchter noch klein sind, ist es klar, dass sie für ihn auch in Zukunft an erster Stelle stehen werden. Und obwohl ich es seinen Töchtern gönne, gibt es mir doch einen kleinen Stich bei dem Gedanken daran, dass Kathi nie so einen bedingungslos hingebungsvollen Vater haben wird.

„Wo warst du denn gerade mit deinen Gedanken?" Susanne stupst mich an der Schulter an und zwinkert mir verschwörerisch zu. „Irgendein heißer alleinerziehender Vater, der dir den Kopf verdreht hat? Ich hab gehört, die sind äußerst begehrt am Datingmarkt."

„Nein, wo denkst du denn schon wieder hin. Ein Mann mit Kind hat auch irgendwo eine dazugehörige Ex-Frau, die ganz sicher noch im Hintergrund das Szepter schwingt. Ich muss mir mein Leben nicht unnötig verkomplizieren." Ich starre schnell auf meinen Computerbildschirm in der Hoffnung, dass Susanne meine plötzlichen roten Wangen nicht bemerkt.

„Da hast du auch wieder recht. Ich weiß schon, warum ich Single und glücklich bin. Beziehungen sind ein einziges emotionales Chaos." Sie schüttelt ihre Locken und folgt dann meinem Blick auf den Bildschirm. „Dann lass uns mal lieber die Fotos durchforsten, bevor Herbert sich aus seinem Büro schwingt, und uns beim Tratschen entdeckt."

Der gestohlene MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt