Kapitel 6

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Ich hasse Wochenenden. Seit ich Paul kenne, sind Samstag und Sonntag die Tage, die mir am meisten zu schaffen machen. Es sind die Tage, die ohne Ausnahme seiner Familie vorbehalten sind. Die Tage, an denen ich nicht existiere. Nicht existieren darf. Keine einzige Nachricht bekomme ich von ihm in diesen achtundvierzig Stunden, die für mich zur Qual werden. Ich habe natürlich keinerlei Anrecht darauf zu verlangen, dass er mir schreibt, dass er überhaupt an mich denkt. Und doch schmerzt es, zu wissen, dass es Momente gibt, in denen ich in seinem Leben nichts zu suchen habe. Es sind ja noch nicht viele Wochenenden vergangen seit unserem ersten Kuss, genau genommen erst zwei, aber jedes einzelne davon hat sich in mein Bewusstsein eingebrannt wie ein Brandmal.

In der Woche nach unserem Ausstellungsbesuch konnten wir uns leider nicht sehen, da unsere beruflichen Termine keinen gemeinsamen Nenner zuließen und dann kam das nächste Wochenende. Ich habe es irgendwie überstanden, mit Laufen, einem improvisierten und völlig unnötigen Wohnungsputz und Bingen ohne Ende auf Netflix, während ich versucht habe, nicht daran zu denken, was Paul gerade mit seiner Frau macht. Flüstert er ihr süße Worte ins Ohr? Hat er heißen Sex mit ihr? Leider ist es mir nicht wirklich gelungen, drum bin ich froh, dass heute wieder Montag ist und ich in der Redaktion sitze. Ich spiele nachdenklich mit meinem Handy herum und als ich mich endlich dazu entschließe, ihm zu schreiben, kommt er mir zuvor.

Wie war dein Wochenende? Ich hab dich vermisst.

Und da ist es wieder, das Herzklopfen, das blubbernde Gefühl in meiner Brust. Alle Traurigkeit wie weggeblasen. Er hat mich vermisst. Er hat doch an mich gedacht. Trotzdem will ich nicht, dass er denkt, ich hätte mich durch mein Wochenende gequält. Auch wenn es stimmt.

Mein Wochenende war ganz ok. Hab dich auch vermisst. Wie wars bei dir?

Keine Ahnung warum ich ihn das frage. Was erwarte ich denn, dass er mir erzählt? Seine Nächte mit seiner Frau? Die Spielplatzbesuche mit seinen Kindern?

Anstrengend. Familienbesuch bei den Schwiegereltern. Wenig Schlaf und viel Gerede.

Erleichterung macht sich in meiner Magengrube breit. Hört sich nicht gerade ekstatisch an. Ich nicke mein Display verständnisvoll an und tippe eine schnelle Antwort.

Kling auch anstrengend. Wenigstens ist meine Tochter schon erwachsen und meine Schwiegereltern weit weg.

Du glückliche ;)

Nur wenn du bei mir bist :)

Das ist mir jetzt einfach so rausgerutscht, aber zurücknehmen ist zu spät. Irgendwie habe ich immer noch Bedenken, ihn zu nah an mich ran zu lassen und ihn auch wissen zu lassen, wie viel er mir bereits bedeutet. Denn ich weiß, das, was wir haben, ist nicht mehr als eine Beziehung auf Zeit, eine Affäre, und auch wenn er gerne mit mir zusammen ist, so bin ich mir doch sicher, dass er nie seine Familie verlassen würde. Deshalb muss ich mein Herz beschützen, aufpassen darauf, dass ich es nicht verliere, muss mich stets an die Flüchtigkeit unserer gemeinsamen Momente erinnern.

Geht mir genau so :) Wie wärs mit einem Treffen diese Woche? Hättest du Zeit?

Ist das wirklich wahr? Oder nur so dahingesagt? Ist er nur mit mir glücklich? Linda, du interpretierst schon wieder Sachen in einen Satz, die womöglich gar nichts bedeuten. Ich schiele kurz auf meinen Terminkalender, der wie immer vollgestopft ist. Einzig die Abende sind frei, aber ich weiß ja, dass die ebenso seiner Familie gehören wie die Wochenenden. Trotzdem werfe ich ihm das Angebot hin.

Wenn du an einem Abend Zeit hättest, dann ja.

Ich schicke die Nachricht und widme mich erstmal dem Artikel auf meinem Bildschirm, da ich nicht erwarte, dass er mir sofort antworten wird. Doch ich habe mich getäuscht.

Der gestohlene MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt