Kapitel 20

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„Nizza, hm?" Emi sieht mich forschend an, während sie nachdenklich ihren Eiskaffee umrührt.

Wir sitzen in unserem Lieblingskaffeehaus im Stadtpark, und dank der bereits  frühsommerlichen Temperaturen können wir unser Eis im schattigen Gastgarten genießen. Ein großer Kastanienbaum fächert seine breiten Äste über uns aus und taucht das Licht in ein grünes Gold. Helles Kinderlachen und Gläserklirren erfüllen die Luft, und im Hintergrund murmelt der alte Springbrunnen im Park sein beständiges Liedchen.

„Er scheint es ja doch ernst zu meinen." Emis zusammengezogene Augenbrauen zeigen mir aber ganz deutlich, dass sie davon nicht wirklich überzeugt ist.

„Er meinte, es wäre ein erster Schritt." Ich lasse mir mein Erdbeereis auf der Zunge zergehen. „Ich kann ja nicht erwarten, dass er jetzt plötzlich die Scheidung einreicht und mir einen Heiratsantrag macht." Obwohl ich mir das natürlich schon in meinen geheimsten Fantasien ausgemalt habe, um es dann schnell als unrealistische Kleinmädchenträume ganz weit hinten in meinem Kopf zu begraben. Genau dort, wo auch die Und-sie-lebten-glücklich-bis-ans-Ende-ihrer-Tage-Idealvorstellungen hingehören. Eine gemeinsame Dienstreise ist eine Sache, eine offizielle Beziehung etwas ganz anderes.

Emi lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. „Für einen ersten Schritt ist es sicher nicht schlecht, auch wenn ich mich an deiner Stelle nicht zu früh freuen würde."

Ich verziehe meinen Mund. „Komm schon, Emi, sei doch nicht immer so pessimistisch."

„Ich bin nicht pessimistisch, sondern bloß realistisch." Sie knabbert an ihrem Waffelröllchen. Ein paar Spatzen kommen aufgeregt angeflogen und picken eifrig die hinunterfallenden Brösel auf.

„Paul meint das wirklich ernst mit der Veränderung. Er hat ja auch schon die Sache mit seinem neuen Job ins Rollen gebracht, da ist alles andere nur eine Frage der Zeit." Ja, ein wenig Wunschdenken meinerseits ist da sicher dabei, aber was wäre denn das Leben ohne ein Fünkchen Hoffnung?

„Hat er denn konkret anklingen lassen, dass er eine Trennung von seiner Frau anstrebt? Und was ist mit seinen Kindern? Du hast mir doch gesagt, es liegt ihm sehr viel an seinen Töchtern. Da kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er da so plötzlich eine Drehung um 180° veranstaltet. Ein fürsorglicher Vater hört nicht plötzlich auf, sich um seine Kinder zu kümmern. Das stimmt hinten und vorne nicht zusammen, oder der gute Paul verschweigt dir etwas." Emi schüttelt ihren Kopf, so als würde sie versuchen, einen kniffligen Kriminalfall zu lösen.

Ich schaufle mir einen großen Löffel Erdbeer- und Zitroneneis in den Mund. „An dir ist echt ein Sherlock verloren gegangen." Wenn ich nicht wüsste, dass Emi nur um mein Wohl besorgt ist, dann wäre ich jetzt schon genervt von ihrem fast schon chronischen Misstrauen was Paul betrifft. „Ich freue mich jetzt einfach mal über ein paar Tage Urlaub an der französischen Riviera, um alles andere zerbreche ich mir erstmal nicht den Kopf."

„Hast schon recht, du hast dir ja auch ein paar Tage Abwechslung verdient." Sie seufzt und widmet sich wieder ihrem Eiskaffee. „Dann soll dein Paul dich mal gehörig verwöhnen und vielleicht kommt dann ja auch eines zum anderen, auch wenn ich an deiner Stelle noch immer vorsichtig wäre."

„Mein Paul — daran könnte ich mich übrigens gewöhnen — wird schon alles richtig machen. Er hat mich bis jetzt noch nie enttäuscht." Ich hebe meinen Zeigefinger, um Emi zuvorzukommen. „Ich weiß schon, was du jetzt sagen wirst. ‚Es gibt immer ein erstes Mal', aber das lass ich jetzt nicht gelten."

Emi grinst mich an und leckt sich ein Fleckchen Schlagobers von ihren Lippen. „Dann wechseln wir jetzt das Thema. Wann gehen wir gemeinsam shoppen? Du brauchst doch sicher noch mindestens einen sexy Bikini und ein paar extravagante Sommerkleider, wenn ihr wirklich in einem 5-Sterne-Hotel absteigt."

Der gestohlene MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt