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„Was?", knurrte Kilian schlaftrunken. Man hörte seine Bettdecke rascheln. Ich kannte dieses Geräusch mittlerweile sehr gut. Ich telefonierte häufig mit ihm oder Dorian, wenn ich nachts kein Auge zubekam. Auch in dieser Nacht.

„Entschuldigung", murmelte ich kleinlaut. Die Bettdecke zog ich mir bis zum Hals, dabei war es entsetzlich heiß. Nicht einmal in dem großen Haus blieb die Hitze draußen. Die tropische Temperatur der Nacht war bloß ein kleiner Teil, der mich wach hielt. Mich beschäftigte der Mann und Miriam, besonders Miriam.

„Ich kann nicht schlafen", fuhr ich leise fort, obwohl ich nicht einmal leise sprechen musste. Valentin schlief oben, während ich auf dem Sofa in seiner Anwesenheit eingeschlafen war. Am Abend hatte er sich wohl zurückgezogen, das Licht ausgeschaltet und mich allein gelassen. Was ich mit meinem Arm gemacht hatte, hatte er nicht gefragt. Er hatte keine Fragen zu Miriam gestellt. Valentin war lediglich an meiner Seite geblieben, hatte den Fernseher eingeschaltet und mich an seine Seite gedrückt. Irgendwann hatte er eine Bettdecke geholt und gewartet, dass mich die Erschöpfung packte. Mal wieder.

„Weinst du?" Kilian ächzte, setzte sich vermutlich gerade hin. „Soll ich Dorian noch in das Gespräch einladen?"

Ich gab einen zustimmenden Laut von mir. „Fast", beantwortete ich seine erste Frage. Tränen hatten sich in meinen Augen gesammelt und der Kloß in meiner Kehle wurde nicht kleiner. Mein Körper bebte, der linke Arm schmerzte. Ich hatte mir so viele Schnittwunden zugefügt, trotzdem reichte der Schmerz nicht aus, dass es mir besser ging. Miriam war zu weit gegangen.

„Alter, geht's? Hast mal auf die Uhr geguckt?"

„Dorian", flüsterte ich mit bebender Stimme, welcher sich augenblicklich beruhigte. Zwar klang er mindestens genauso verschlafen wie Kilian, aber er war nicht länger böse über die nächtliche Störung. Beide waren für mich da.

„Tiana? Was ist los?"

„Hat Miriam irgendwas gemacht?"

Wieder gab ich einen zustimmenden Laut von mir, nickte, obwohl sie es nicht sehen konnten. Seit einiger Zeit saß ich auf dem Sofa, hatte mir den Kopf über die Szene mit dem Mann zerbrochen. Es war unmöglich, dass Miriam mich nicht gehört hatte. Ich war zu laut gewesen. Sie ließ die Männer normalerweise nicht einmal unbeaufsichtigt durch die Wohnung laufen. Was mir geschehen war, hatte sie vorsätzlich geplant. Miriam hatte gewollt, dass mich der Mann vergewaltigte.

Davon war ich überzeugt.

„Indirekt." Ich schniefte.

Wie hatte Miriam so weit gehen können? Besaß sie wirklich kein Herz mehr? Hätte sie ohne Gewissen zugehört, wie ich unter dem Mann geschrien und gefleht hätte, während sich dieser an mir vergriff? Hätte ihr das nichts ausgemacht? War ich ihr so egal?

Zum Glück hatte sie das Sorgerecht für Alexander verloren. Wer wusste, was sie ihm angetan hätte.

„Willst du zu einem von uns kommen?", fragte Dorian ernst. Der Sonnenschein von früher war er mir gegenüber schon lange nicht mehr. Wie ich herausgefunden hatte, war das seine Fassade für die Schule gewesen. Außerhalb der Schule war er nicht dauernd am Grinsen. Er war viel ernster, als ich es ihm zugetraut hätte.

„Ich bin bei Valentin."

„Was?", kam es von beiden.

„Ich wollte euch eigentlich um Hilfe bitten, aber hab versehentlich Valentin geschrieben", begann ich zu erzählen. Hinter der Terrassentür konnte ich beobachten, wie es langsam hell wurde. Es musst früher Morgen sein. „Valentin hatte noch den Schlüssel von der Wohnung und ist einfach reingekommen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viel Glück ich hatte, dass er meine Nachricht bekommen hat. Ihr wisst nicht mal wo ich wohne und hättet mir nicht helfen können."

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