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Würgen. Ausspucken. Erneutes Würgen. Es dauerte einen Moment, bis sich mein Körper beruhigte und ich die Toilettenspülung betätigen konnte. Ich hoffte sehr, niemand war aufgewacht. Mein Bruder oder Yannick mussten nicht erfahren, wie es mir in Wirklichkeit ging. Mir hatte gereicht, dass Kilian zu viel mitbekommen hatte und wusste, dass mich die Situation mit dem fremden Mann nicht so kalt ließ, wie ich überall tat.

Mit zitternden Händen wusch ich mir das Gesicht, danach die Zähne, um anschließend noch einmal kaltes Wasser in das Gesicht zu spritzen. Noch immer rebellierte mein Magen. Das Zittern hörte nicht auf. Die Tränen drückten in meinen Augen. Ich bekam kaum Luft.

Als würde dieser Mann vor der Tür stehen und mich empfangen. Mir war selbstverständlich bewusst, dass er nicht hier sein konnte. Der Mann wusste nicht, wo ich untergekommen war. Er kannte meine Freunde nicht. Niemals konnte er mich finden und beenden, was er angefangen hatte.

Trotzdem brach die Panik über mich ein, wenn ich allein war. Niemand war bei mir, um mich abzulenken. Es gab keinen Grund, weshalb ich lächeln sollte. In der Dunkelheit der Nacht erfuhr keiner, was für Ängste ich durchlebte.

Ich wusste, ich konnte nicht in mein Zimmer. Alexander schlief dort. Yannick im ehemaligen Bett meines Bruders. Unten würde ich ungestört sein. Niemand würde etwas erfahren. Also öffnete ich die Badezimmertür, schaltete das Licht aus und schlich mich auf nackten Sohlen nach unten. Durch die Hitze trug ich keine Hose, hatte lediglich einen Pullover an, damit Alexander meinen Arm nicht zu Gesicht bekam. Für ihn war es zwar merkwürdig, mich in langer Kleidung zu sehen, aber er nahm es hin, als würde er ahnen, dass etwas gänzlich falsch lief und es mir elendig ging.

War elendig überhaupt das richtige Wort, um meine Verfassung zu beschreiben?

Mir fiel das Atmen unheimlich schwer. Jeder Atemzug schien mehr Kraft zu kosten. Es gelang viel zu wenig Sauerstoff in meine Lungen. Erst im unteren Flur, als ich mich an der Wand abstützte, bemerkte ich, wie abgehakt mein Atem ging. Ich konnte nicht richtig einatmen. Das Zittern war selbst bei dieser Arbeit meines Körpers deutlich zu spüren.

Tränen folgten schließlich, noch bevor ich das Wohnzimmer erreicht hatte. Immer wieder stellte ich mir vor, was der Mann mit mir getan hätte, hätte die Lampe nicht auf dem Nachttisch gestanden. Er hatte meine Brust in seiner Hand gehabt, sie gedrückt. Seine Zunge hatte meine Haut geleckt. Dieser Mann hatte seinen harten Schwanz an mir gerieben.

Hektisch öffnete ich die Terrassentür, als könnte mir dies den fehlenden Sauerstoff geben, der mich nicht erreichte. Ich sank an der Türschwelle auf die Knie, krallte mich mit einer Hand an den Rahmen. Durch meinen Körper schoss viel zu viel Angst, dabei war ich alleine. Hier war niemand, der mir schaden konnte. Keiner, der mich zum Sex zwingen würde. Dieser Mann war nicht hier. Der Mann war das verdammte Problem. Seine Art zu handeln, ohne irgendwelche Gewissensbisse zu verspüren. Er hätte seine Tat nicht einmal bereut. Ich war mir sicher.

„Tiana. Tiana, beruhige dich." Valentins Stimme drang nur gedämpft zu mir durch. Von mir kam darauf keine Reaktion. Ich war verloren in meiner Angst, wie in der ersten Nacht bei Kilian, als ich in seinem Badezimmer solch eine Panikattacke bekommen hatte. Es geschah schon wieder.

Valentin ging an mir vorbei, um vor mir auf die Knie zu gehen und mich in seine Arme zu ziehen. Seine Hand schob er in mein Haar, drückte meinen Kopf an seine Schulter. Beinahe sofort atmete ich seinen Duft ein.

„Atme, Tiana. Du weißt, wie es funktioniert. Ein. Aus", sprach er leise. Atmen tat ich plötzlich sehr gerne. Mit jedem Atemzug nahm ich seinen Geruch in mir auf und wurde die elendigen Gedanken los. Er umhüllte mich vollständig, während Valentin mit seiner Hand über meinen Rücken strich. Das funktionierte.

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