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Mein Cousin versperrte mir den Weg aus der Küche und hielt mich ab, zu Alexander und Valentin zu gehen, die im Wohnzimmer waren und dort miteinander redeten. Wir wollten gleich fahren. Selbst Valentin würde uns begleiten und das Grab meines Vaters kennenlernen.

„Was soll das?", fragte ich.

„Verletzt du dich selbst?", fragte er ohne Umschweife nach. Seine Augen funkelten mich säuerlich an. Er hatte den Verband an meinem Arm gesehen. Den Moment, als der Ärmel etwas nach oben gerutscht war, hatte er mitbekommen und gesehen, dass ich den Arm verbunden hatte.

Ich verzog das Gesicht, blieb ihm eine Antwort schuldig. Dorian und Kilian hatten das Ritzen von Anfang mitbekommen, Valentin hatte ich es nur erklärt, weil meine Freunde dabei gewesen waren. Wie sollte ich es meinem Cousin erklären? Niemand hatte für dieses Verhalten Verständnis. Das erwartete ich nicht einmal. Mir war nämlich durchaus bewusst, wie falsch mein Handeln war und ich es sein lassen sollte, aber ich konnte nicht. Ich brauchte ein Ventil, um den Schmerz in meiner Brust zu lindern. Irgendwo musste ich den Schmerz auslassen.

„Mini, sag es mir. Was hat der Verband zu bedeuten?" Yannick legte seine Finger um mein linkes Handgelenk und zog den Arm zu sich. Das Entsetzen auf meinem Gesicht ignorierte er, schob den Ärmel hinauf und offenbarte meinen Unterarm, der komplett mit einem Verband bedeckt war.

Wie sollte ich das bloß erklären? Dass ich mich gerne verletzte, weil es mir danach besser ging? Dann konnte mich Yannick gleich zur nächsten Psychiatrie bringen und wegsperren lassen. Ich gehörte mit meinem selbstverletzenden Verhalten und Gedanken nicht auf die Straße. Kein Arzt würde mich für gesund halten, würde man mir in den Kopf sehen können.

„Oder war es Miriam?"

„Nein", antwortete ich sofort. Miriam war handgreiflich geworden, hatte mir nicht geholfen, als ihre Freier mit mir geflirtet hatten oder jener Mann zu mir ins Bett gekommen war, aber sie würde keine Waffe in die Hand nehmen und mich verletzen. Sie wünschte sich, ich würde aus ihrem Leben verschwinden, nicht mehr. Für diesen Wunsch ließ sie zu, dass mich fremde Männer anpackten und mir Angst einjagten.

Ich entriss ihm meinen Arm und zog den Ärmel wieder darüber. Über dieses Thema wollte ich nicht mit ihm reden, ihm nicht erzählen, was mir bei Miriam zugestoßen war. Das war mein Problem. Yannick musste nicht alles wissen. Er hatte mit Alexander bereits genug um die Ohren und brauchte nicht noch mehr Sorgen, die ich ihm definitiv bereiten würde.

„Warum verletzt du dich selbst?" Yannick blieb weiterhin vor mir stehen und wollte mich nicht vorbei gehen lassen. Er wollte Antworten und verstehen, warum ich auf diese Weise handelte, statt mir endlich richtige Hilfe zu suchen. Dass ich den Mund aufmachte, die Polizei einschaltete und für mich professionelle Hilfe suchte, darauf warteten einige Leute. Meine Verwandten, Dorian, Kilian und Valentin warteten nur auf den Tag, an dem ich endlich den richtigen Weg einschlug und aufhörte, mich weiter zu zerstören. Ich müsste mich nur endlich dazu aufrappeln, aber da war nun dieses ungeborene Kind, das ich nicht dem Jugendamt überlassen konnte. Das war nicht meine Art.

„Ist alles in Ordnung?", fragte Valentin, der zu uns stieß und Yannick und mich nacheinander ansah. Man konnte sofort erkennen, dass seine Frage verneint werden würde. Mein Cousin war aufgewühlt, gleichzeitig sauer.

„Weißt du, dass sie sich selbst verletzt?"

Valentin schaute mich kurz an, dann nickte er. „Ja, ich versuche gerade, dass sie damit wieder aufhört", erklärte er. Mit den Worten stellte er sich gegen Yannick und auf meine Seite. Ihm musste doch bewusst sein, dass er zu Yannick halten musste. Selbst Valentin musste wissen, dass ich so nicht weiterleben konnte und Hilfe brauchte, stattdessen verteidigte er mich. Das war in so vielen Hinsichten falsch, das sah sogar ich ein, dabei war ich so kaputt.

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