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Auch dieses Design des Flyers gefiel mir nicht. Es war grausam und nicht einladend. Niemand würde so zu unseren Cafés kommen, wodurch beide Klassen kein Geld einnehmen würden, um die Klassenfahrt nächstes Jahr finanzieren zu können. Das nervte gewaltig.

Ich klappte den Laptop frustriert zusammen und lehnte mich auf meinem Stuhl zurück. Dorian war gerade von drei Klassenkameraden umgeben, die ihm fehlendes Material aufzählten und er sich alles aufschrieb. Jemand würde die Sachen kaufen gehen. Vielleicht sogar er selbst, allerdings bezweifelte ich das, da Kilian und er hier gebraucht wurden. Als Organisatoren mussten sie hierbleiben.

Das Herbstfest schritt näher, kostete mich sämtliche Nerven, die ohnehin kaum vorhanden waren, wenn ich an die Tage zurückdachte, die ich einmal mehr mit Miriam und Valentin verbracht hatte. Ich hasste Wochenenden mit den Erwachsenen. Dagegen war mein Bruder am Sonntag freudestrahlend in meine Arme gelaufen und hatte noch heute Morgen von dem Zoobesuch gesprochen. Er hatte so begeistert geklungen. Ich war froh und dankbar, dass Kilians und Mikes Eltern meinen Bruder mit sich genommen hatten.

So hatte Alexander nicht mitbekommen, wie ich mich mit Miriam gestritten hatte. Mal wieder. Er hatte nicht gesehen, wie ich in meinem Zimmer geweint hatte.

Ich fuhr mir durch das hellblonde Haar. Es war zu hell für meine Hautfarbe, betonte dagegen meine hellblauen Augen. Die Haarfarbe hatte ich von meiner Mutter geerbt. Wir hatten beide sehr blondes fast silbernes Haar. Andere färbten sich ihre Haare platinblond, ich besaß es bereits. Mich störte es, doch meinem Bruder gefiel die Kombination und er hatte mich schon etliche Male am Kauf von Haarfarbe abgehalten. Ein anderes Aussehen wollte er bei mir nicht.

„Was hast du?", fragte mich Alexander und sah mich sorgenvoll an.

„Die Aufgabe nervt mich", antwortete ich wahrheitsgemäß. Warum ich mich für die Flyer gemeldet hatte, obwohl meine Computerkenntnisse sehr gering waren, wusste ich nicht. In der Sekunde hatte ich bloß den Arm gehoben, um mit keinem anderen Mitschüler zusammengesteckt zu werden. Ich wollte keine Teamarbeit. Mir war es lieber, ich war für mich alleine und musste bei anderen nicht noch öfter ein falsches Lächeln aufsetzen. Das fiel mir in der momentanen Zeit ohnehin sehr schwer, was nicht unbemerkt blieb. Kilian und Dorian beobachteten mich schon viel zu lange.

Alexander gab einen nachdenklichen Laut von sich. „Das war auch nicht schön", kommentierte er mein x-tes Design, das ich im Laufe des Tages hergestellt hatte.

„Danke, ich weiß", stöhnte ich und legte die Arme auf dem Tisch ab, um den Kopf darauf zu betten. Ich war müde von der Schule und dem Leben außerhalb dieses Ortes. Sechs Jahre waren eine lange Zeit und ich merkte immer mehr, wie ich mich mehr und mehr verlor. Die Nächte waren kürzer geworden, weil ich viel zu häufig auf meine Mutter abends wartete, um mit ihr zu diskutieren und es in einem Streit ausarten zu lassen. Alexander wurde älter, brauchte mehr und hatte etliche Wünsche, die ich ihm nicht erfüllen konnte. Obwohl er selbst nichts aussprach, merkte ich ihm seine Sorge um mich an. Er konnte seine Gefühle nicht vor mir verstecken und ich wusste, das Kind verschwand Stück für Stück, weil seine große Schwester und Mutter mit jedem Tag trauriger und erschöpfter wurde.

Und ich konnte nichts dagegen unternehmen. Gar nichts.

Ich opferte mein Leben, um seines zu beschützen.

Außerdem hatte ich am Donnerstag Geburtstag. Das war noch viel schlimmer.

„Soll ich heute kochen, Mama?", fragte mein Bruder. Kaum hatte er seine Frage ausgesprochen, zuckte er zusammen und sank beschämt in sich zusammen. Seine Sorge war nach außen gekommen, weshalb er für einen Moment unser Umfeld vergessen hatte.

Im Augenwinkel sah ich Dorian, wie er die Frage gehört hatte und irritiert die Stirn runzelte.

Ich lachte und wuschelte meinem Bruder durch die Haare. „Da hast du wohl zu schnell gesprochen, Alex", zog ich ihn auf und bekam ein kleines Lächeln zu Gesicht. „Mama ist arbeiten, aber ich lasse mich auch gerne von dir bekochen. Was möchtest du denn kochen?"

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