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„Was hast du heute gemacht?", fragte mein Bruder mit einem fröhlichen Grinsen im Gesicht. Er war neugierig über dem Tisch gebeugt, den ich herangezogen hatte. Seit ein paar Tagen liefen die Vorbereitungen für das Herbstfest. Die einen bastelten, andere nähten und dann gab es jene, die alles planten. Dorian und Kilian kümmerten sich um das Organisatorische. Sie liefen dauernd hin und her, waren Ansprechpartner für beide Klassen.

Wir hatten uns für das Klischee entschieden, machten ein Café in beiden Klassenräumen. In einem gab es zusätzlich einen Spielbereich für Kinder, damit diese keine Langeweile bekamen, wenn die Eltern in Gespräche vertieft waren. Beide Räume sollten der Jahreszeit entsprechend gestaltet werden, hell und freundlich wirken und dazu trugen wir Kostüme.

Schon jetzt war man froh, dass wir über einen größeren Zeitraum Zeit hatten, um all die Pläne umsetzen zu können.

„Papas Suppe." Ich lächelte Alexander an und nahm den Deckel von der Tupperdose ab. Mein Bruder strahlte noch mehr und betrachtete die Kartoffelsuppe aus großen, hellblauen Augen. Er sah mir ungeduldig zu, wie ich zwei Schüssel auspackte, die ich ebenfalls mitgenommen hatte, und die Suppe umfüllte. Eine Schüssel reichte ich ihm und gab ihm einen Löffel dazu.

Lächelnd sah ich zu, wie er sich auf die Suppe stürzte und zwischendurch von seinem Brötchen abbiss. Ich wusste, die Suppe war nicht nach demselben Geschmack meines Vaters gemacht worden. Die Gewürze waren anders. Von all seinen Gerichten war mir bei diesem bisher nicht gelungen, sie genauso zuzubereiten, wie er es all die Jahre gemacht hatte. Mir fehlte der vertraute Geschmack darin.

„Ihr habt es echt gut", meinte Dorian, der mit Kilian zu uns stieß. Er hielt ein Sandwich in der Hand, das man in der Cafeteria kaufen konnte. Es war nichts Besonderes und der Geschmack meiner Meinung sehr lasch. Man hätte aus den Sandwiches mehr machen können, sie aufpeppen können, wie mein Vater immer gesagt hatte.

„Ihr nicht so", antwortete ich und deutete auf die Sandwiches. „Sehen matschig aus."

„Sind sie." Mein Klassenkamerad nahm sich einen Stuhl von hinten und stellte ihn an unseren Tisch. Kilian tat es ihm gleich.

Ich ignorierte, dass die beliebten Jungen bei mir am Tisch saßen. Die Mädchen wollten ihre Zeit mit den Kerlen verbringen, sie anhimmeln und ein Date mit ihnen aushandeln, vermutlich bloß ein paar Stunden im Bett mit ihnen verbringen, aber Dorian und Kilian setzten sich häufig zu mir. Wenn Alexander noch in der Grundschule war, verbrachte ich die Pausen mit ihnen am Schultor. Hin und wieder rauchte ich mit Dorian eine Zigarette, wenn es mir nicht gut ging.

Dass sich Dorian, frech wie er war, ein Stück Brötchen von meinem abriss und es in die Tupperdose tunkte, in der sich noch Suppe befand, kommentierte ich mit einem Augenrollen. Er war in der Hinsicht wirklich unmöglich. Zurückhaltung gab es für ihn nicht.

„Alter, das schmeckt ja voll gut!", lobte Dorian begeistert und versank das Brötchenstück noch einmal in die Suppe.

„Das ist unsere Suppe!", meckerte mein Bruder.

„Du stellst dich mal wieder an, Alex", entgegnete Kilian nüchtern. Er lehnte gegen die Stuhllehne, hatte ein Bein über das andere geschlagen, sodass der Fußknöchel auf dem Oberschenkel abgelegt war. Die Hände waren in seine Hosentaschen geschoben.

„Halt den Rand", wandte ich mich an Kilian und warf ihm einen finsteren Blick zu. Wir sahen einander kurz in die Augen. Es wirkte jedes Mal so, als würden wir uns nicht leiden können. Jedes Mal gingen wir uns in der Schule an, während er fast nett auftrat, wenn ich Alexander zu Kilian und dessen jüngeren Bruder brachte. Ich nahm an, dass er gegenüber den beiden Kindern kein Arschloch sein wollte.

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