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Mit klopfendem Herzen lag ich in Valentins Armen, die mich fest umschlangen und an seine Brust drückten. Er hatte sich seit Stunden nicht von mir weggedreht, war so mit mir eingeschlafen und in dieser Position war ich aufgewacht. Sein warmer Atem kitzelte mich etwas am Nacken, aber das ignorierte ich und konzentrierte mich stattdessen auf meinen schnellen Puls und dieses Lächeln, das nicht aus meinem Gesicht verschwand.

Was hatte er mit mir gemacht? Was war es, was mich so lächeln ließ? Was bedeutete das Kribbeln in meinem Bauch oder das Klopfen in meiner Brust?

Ich sah gedankenverloren vor mich auf die weiße Wand, lauschte den tiefen Atemzügen meines Freundes. Mir war all die Jahre bewusst gewesen, welche Art von Liebe ich für meinen Vater und meinen Bruder gefühlt hatte, doch das war neu. Noch nie hatte ich mich in jemanden verliebt. Es hatte nie einen Jungen gegeben, dem ich meine Liebe hätte gestehen müssen. Das war unbekanntes Terrain, welches ich unbedingt erkunden wollte.

Wie tief gingen meine Gefühle? Wie tief konnten die Gefühle gehen? Wohin konnte mich die Liebe führen, die ich für Valentin entwickelt hatte?

Liebe. Welch seltsamer Gedanke, nachdem ich ihn monatelang von mir geschoben hatte. Ich hatte mich nicht verlieben wollen. Schon gar nicht in Valentin, doch genau das war geschehen. Ich liebte Valentin. Ich liebte seine schwarzen Haare, die zu jeder Tageszeit perfekt auf seinem Kopf lagen, während er sie sich immer wieder zurechtlegte. Ich liebte seine dunkelblauen Augen, die mich genau beobachteten und alles in sich aufnahmen, denen niemals etwas entgingen und mich mit so viel Hingabe ansahen. Ich liebte seine Lippen, die die schönsten Worte ausgesprochen und mein Innerstes berührt hatten. Ich liebte seine Hände, die mich jedes Mal voller Zärtlichkeit berührten. Ich liebte seine tiefe Stimme, die schon bei unserer ersten Begegnung nicht spurlos an mir vorbei gegangen war.

Ich liebte Valentin.

Ich liebte ihn.

„Du treibst dich zu sehr in deinen Gedanken herum", flüsterte Valentin und küsste mich auf die nackte Schulter. Er legte seinen Arm enger um meinen Bauch, versuchte, noch näher an mich heranzurücken. Seit Stunden waren wir ein Herz und eine Seele. Wir hatten viele Male miteinander geschlafen, waren zusammen duschen gegangen, hatten uns die halbe Nacht im Bett gewälzt. Er musste erschöpft sein, wie ich es war, doch das würde er sicherlich genauso von sich schieben. Valentin wollte jede Minute mit mir auskosten, etwas, was ich genauso sehr wollte.

Es fühlte sich bei ihm viel zu schön an, als die Zeit mit Schlaf zu verbringen.

„Ich habe nur aufgezählt, was ich an dir liebe", gab ich lächelnd zu.

„Ist es viel?" Sein eigenes Lächeln war herauszuhören. So viel Glück schwang in seiner Stimme mit. Dass wir ein Paar waren, machte ihn so glücklich, wie ich es noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte. Ich mochte diesen Anblick, wollte diese Momente festhalten, denn ich hatte bereits gestern bemerkt, dass sie mir guttaten und Kraft gaben. Sie waren wichtig und bedeutsam. Nicht nur für die Beziehung, sondern auch für meine geschundene Seele. Valentin brachte Licht in mein Leben, welches durch Alexanders Auszug völlig verschwunden war. Seine Liebe, seine Worte waren das, was mich in den letzten Stunden immer mehr mit Leben gefüllt hatten.

„Ja", antwortete ich und drehte mich zu ihm herum. „Es ist sehr viel. Ich liebe diese Momente sehr mit dir, Valentin."

„Aber nicht nur den Sex, hoffe ich", meinte er neckisch und grinste mich an.

„Der ist viel zu soft", konterte ich ebenso grinsend und streckte ihm kurz die Zunge heraus.

„Oh, da habe ich aber was ganz anderes von dir gehört." Er gab mir einen Kuss. „Du willst mir doch nicht etwa weismachen, dass ich die kleine Fesselaktion entschieden hätte", wisperte er, als könnten andere seine Worte hören. Sein Grinsen kehrte gleich zurück, kaum dass er meine Reaktion vom Gesicht abgelesen hatte. Es glühte, die Lippen waren aufeinander gepresst. Meine Vorlieben laut auszusprechen war doch etwas peinlich. Ich konnte doch auch nichts dafür, dass ich etwas härter angepackt werden wollte.

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